Vorläufiges Endergebnis: SPD gewinnt Bundestagswahl
Nach vorläufigem Endergebnis landen die Genossen mit 25,7 Prozent knapp vor der Union (24,1). Beide wollen die Regierung anführen. Maaßen scheitert in Thüringen.
Nach dem vorläufigen Ergebnis verbessert sich die SPD auf 25,7 Prozent (2017: 20,5). Sie schafft damit einen steilen Aufschwung, noch im Frühsommer hatte sie in Umfragen mit rund 15 Prozent auf Platz drei gelegen. Die Union dagegen erlebt ein historisches Debakel, sie kommt nur noch auf 24,1 Prozent (32,9). Die Grünen erzielen mit Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock ihr bislang bestes Ergebnis im Bund, bleiben mit 14,8 Prozent (8,9) aber hinter den Erwartungen zurück. Die FDP verbessert sich auf 11,5 Prozent (10,7).
Die AfD, bisher auf Platz drei, kommt nur noch auf 10,3 Prozent (12,6). In Thüringen und Sachsen wird sie aber stärkste Partei. In beiden Ländern steht die AfD im Visier des Landesverfassungsschutzes, in Thüringen wird sie als „gesichert extremistisch“ eingestuft und seit dem Frühjahr beobachtet. Die Linke rutscht auf 4,9 Prozent ab (9,2). Da sie aber drei ihrer zuletzt fünf Direktmandate verteidigt, kann sie trotzdem wieder entsprechend ihrem Zweitstimmenergebnis in den Bundestag einziehen. Das legt die Grundmandatsklausel fest.
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Die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag ändern sich damit erheblich. Die Sitzverteilung sieht so aus: SPD 206 (2017: 153), CDU/CSU 196 (2017: 246), Grüne 118 (67), FDP 92 (80), AfD 83 (94), Linke 39 (69). Der Südschleswigsche Wählerverband, als Partei der dänischen Minderheit von der Fünf-Prozent-Hürde befreit, zieht mit einem Abgeordneten in den Bundestag ein. Die Wahlbeteiligung lag mit 76,6 Prozent auf dem Niveau der vergangenen Wahl (76,2).
Schwierige Regierungsbildung
Deutschland steht nun vor einer schwierigen Regierungsbildung. Einzig mögliches Zweierbündnis wäre eine neue große Koalition, die aber weder SPD noch Union wollen. Deshalb dürfte es zum ersten Mal seit den 50er Jahren ein Dreierbündnis im Bund geben.
Scholz sieht einen klaren Auftrag für die SPD. Viele Wähler hätten deutlich gemacht, dass sie einen „Wechsel in der Regierung“ wollten und der nächste Kanzler Olaf Scholz heißen solle, sagte er. Und mit Blick auf die Union: Einige Parteien hätten Zuwächse erzielt – andere nicht. „Auch das ist eine Botschaft.“ Es gilt als wahrscheinlich, dass der bisherige Vizekanzler und Finanzminister ein Ampel-Bündnis mit Grünen und FDP anstrebt, wie es in Rheinland-Pfalz seit 2016 regiert.
Aber auch Laschet will trotz seiner Niederlage versuchen, sich mit Grünen und FDP auf eine Koalition zu verständigen. Die CDU/CSU werde alles daran setzen, eine Regierung unter ihrer Führung zu bilden, sagte der CDU-Chef. „Deutschland braucht jetzt eine Zukunftskoalition, die unser Land modernisiert.“ CSU-Chef Markus Söder sagte: „Wir glauben fest an die Idee eines Jamaika-Bündnisses.“ Im Wahlkampf hatte er noch massive Bedenken dagegen geäußert, dass die Union wieder den Regierungsanspruch erhebt, wenn sie nicht stärkste Kraft wird. Nun sagte er: „Wir wollen gemeinsam in diese Gespräche gehen mit dem klaren Ziel, den Führungsauftrag für die Union zu definieren, dass Armin Laschet dann der Kanzler der Bundesrepublik Deutschland wird.“
Lindner bekräftigt Jamaika-Präferenz
FDP-Chef Christian Lindner bekräftigte am Abend seine Präferenz für eine Koalition mit Union und Grünen. „Die inhaltliche Nähe zwischen Union und FDP ist die größte“, sagte er. Zugleich betonte er, demokratische Parteien sollten Gespräche nie ausschließen.
Die Bildung eines Jamaika-Bündnisses, wie es in Schleswig-Holstein regiert, war 2017 im Bund an der FDP gescheitert. Diesmal dürften eher die Grünen bremsen. Vor allem in der Finanz- und der Klimapolitik sind die Differenzen zwischen Grünen und FDP groß.
Lindner schlug vor, dass sich die Liberalen vorab mit den Grünen treffen, um Schnittmengen und Streitpunkte auszuloten. Grünen-Chef Robert Habeck hielt seiner Partei alle Optionen offen. Man habe „gute Chancen, stark in die nächste Regierung zu gehen“, sagte er. „Wir wollen regieren.“ Baerbock sagte: „Es geht ja nicht um die Mittel, sondern es geht um das Ziel, was am Ende erreicht werden muss.“
Normalerweise lädt die stärkste Partei zu Gesprächen ein. In der Geschichte der Bundesrepublik gab es aber auch Fälle, dass die zweitstärkste Partei den Kanzler stellte. Willy Brandt wurde 1969 Kanzler einer sozialliberalen Koalition, obwohl die SPD nur auf Platz zwei gelandet war. Genauso war es bei Helmut Schmidt 1976 und 1980.
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Für die Union ist das Ergebnis zum Ende der Ära Merkel ein schwerer Schlag – auch für Söder, der sich im April einen heftigen Machtkampf mit Laschet um die Kanzlerkandidatur geliefert hatte. Nach Auszählung aller Wahlkreise stürzt die CSU auf ihr schlechtestes Ergebnis seit 1949 bei einer Bundestagswahl. Sie erreicht in Bayern nur noch 31,7 Prozent (2017: 38,8), das entspricht 5,2 Prozent bundesweit.
Dem neuen Bundestag wird eine Rekordzahl von Abgeordneten angehören. Laut vorläufigem Endergebnis der Bundestagswahl wird das Parlament 735 Mitglieder haben. Bisher waren es 709 – das war bereits die bis dahin höchste Zahl von Bundestagsabgeordneten. Der neu gewählte Bundestag wächst, aber nicht so stark wie von Experten vor der Wahl befürchtet.
Scholz vor Baerbock, Maaßen scheitert
SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz hat den Wahlkreis Potsdam als Direktkandidat mit deutlichem Vorsprung für sich entschieden. Scholz kam bei der Bundestagswahl am Sonntag auf 34,0 Prozent, wie der Landeswahlleiter Brandenburg mitteilte. Auf dem zweiten Platz in dem Promi-Wahlkreis lag Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock mit 18,8 Prozent. Das Ergebnis im Wahlkreis 61 (Potsdam – Potsdam-Mittelmark II – Teltow-Fläming II) wurde bundesweit mit Spannung verfolgt, da gleich zwei Kanzlerkandidaten um ein Mandat rangen.
Ex-Bundesverfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen (CDU) ist mit seiner Kandidatur für ein Direktmandat im Bundestag deutlich gescheitert. Der umstrittene CDU-Politiker kam nach Auszählung aller Stimmen im südthüringer Wahlkreis 196 auf 22,3 Prozent der Erststimmen. Sein SPD-Kontrahent, der Olympiasieger und Ex-Biathlon-Bundestrainer Frank Ullrich, holte das Direktmandat mit 33,6 Prozent der Erststimmen.
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Erstmals haben die Grünen bei einer Bundestagswahl Direktmandate im Südwesten erobert. Grünen-Spitzenkandidatin Franziska Brantner (42) holte das erste Direktmandat für ihre Partei in Baden-Württemberg am Sonntagabend in Heidelberg. Im Wahlkreis Stuttgart I setzte sich Ex-Grünen-Chef Cem Özdemir (55) durch. Und in Freiburg und Karlsruhe siegten die jungen Kandidatinnen Chantal Kopf (26) und Zoe Mayer (26).
Mit Kanzleramtschef Helge Braun, Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner und Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer verpassten drei weitere CDU-Polit-Promis die Direktmandate. Klöckner erreichte im Wahlkreis Kreuznach in Rheinland-Pfalz laut Landeswahlleiter nur 29,1 Prozent – und verlor damit gegen den Konkurrenten von der SPD. So erging es auch Braun, der in seinem hessischen Wahlkreis Gießen 29,6 Prozent der Erststimmen bekam. Im Wahlkreis Saarbrücken verlor Kramp-Karrenbauer mit 25,1 Prozent der Stimmen. Kramp-Karrenbauer hatte das Direktmandat im Wahlkreis Saarbrücken für die CDU zurückerobern wollen, nachdem dieses 2017 an die SPD gegangen war.
Nach mehr als 30 Jahren hat die CDU bei einer Bundestagswahl nicht das Direktmandat in Angela Merkels bisherigem Wahlkreis geholt. Für den Wahlkreis 15 zieht nun die 27-jährige Anna Kassautzki von der SPD mit 24,3 Prozent der Erststimmen in den Bundestag ein, wie auf der Homepage der Landeswahlleiterin veröffentlicht wurde. Auf Platz zwei landete im Wahlkreis Vorpommern-Rügen – Vorpommern-Greifswald I Merkels Nachfolger als CDU-Direktkandidat, der 33-jährige Georg Günther. Für ihn stimmten 20,4 Prozent der Wählerinnen und Wähler.
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