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Vorfälle auf Palästina-DemosSozialarbeiter kritisieren Polizeigewalt gegen Jugendliche

Beschäftigte aus Neuköllner Jugendeinrichtungen haben Erfahrungsberichte zu Polizeigewalt gesammelt. Am Donnerstag diskutiert der Jugendhilfeausschuss.

Festnahme am Rande einer propalästinensischen Demonstration in Berlin am 6. Oktober 2024 Foto: Christian Mang/reuters

Berlin taz | Ein Satz ist dem Sozialarbeiter Osman Tekin besonders in Erinnerung geblieben: „Warum hasst die Polizei uns so sehr?“, habe ihn ein Jugendlicher gefragt, der regelmäßig auf propalästinensische Demonstrationen geht.

Osman Tekin leitet die Jugendfreizeiteinrichtung „Manege“ auf dem Campus Rütli in Neukölln und ist Sprecher der AG 78, der bezirklichen Vertretung der freien Träger und öffentlichen Einrichtungen der Jugendhilfe. Viele der Kinder und Jugendlichen, die er und seine Kol­le­g*in­nen betreuen, hätten einen palästinensischen Hintergrund, berichtet Tekin. Einige hätten in den vergangenen Monaten Familienangehörige verloren, in Gaza und im Westjordanland – und beteiligten sich an den Protesten in Berlin.

„Die Jugendlichen gehen auf die Straße, damit der Krieg aufhört, sie sagen mir, sie wollen nicht, dass noch mehr Menschen sterben – auf beiden Seiten“, erzählt der Sozialarbeiter. Doch die Polizei gehe immer wieder hart gegen die Demonstrierenden vor: „Viele Jugendliche haben schon Polizeigewalt erlebt.“

Gemeinsam mit anderen Neuköllner Ju­gend­so­zi­al­ar­bei­te­r*in­nen hat Tekin deshalb in den vergangenen Monaten die Erfahrungen von Kindern und Jugendlichen auf Palästina-Demos dokumentiert. Die Tonaufnahmen und Videos, die dabei entstanden sind, werden am Donnerstagabend dem Neuköllner Jugendhilfeausschuss vorgelegt. Außerdem bringt die AG 78 ein Positionspapier zum Thema Polizeigewalt gegen Kinder und Jugendliche in den Ausschuss ein.

„Ein starkes Zeichen nach außen“

„Das ist kein alltäglicher Vorgang“, sagt die Vorsitzende des Jugendhilfeausschusses, Beate Bruker, mit Blick auf die Dokumentation und das Papier der AG 78. „Unser Ziel ist, dass wir uns in nächster Zeit gemeinsam positionieren. Das wäre ein starkes Zeichen nach außen, das eine öffentliche Diskussion anregen kann“, so die Grünen-Bezirkspolitikerin zur taz.

Seit dem Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 und dem seitdem andauernden Krieg in Gaza finden in Berlin regelmäßig Demonstrationen zur Situation im Nahen Osten statt. Mehr als 900 Versammlungen wurden in den vergangenen zwölf Monaten bei der zuständigen Polizeibehörde angemeldet.

Davon hat die Polizei rund 500 als „propalästinensisch“ eingestuft und mehr als 20 verboten. Bei den Demonstrationen kommt es regelmäßig zu Ausschreitungen, strafbare Parolen werden skandiert, immer wieder gibt es verletzte Teil­neh­me­r*in­nen und Po­li­zis­t*in­nen sowie zahlreiche Festnahmen.

„Uns und den Jugendlichen ist völlig klar: Auch das Verhalten einzelner Teilnehmer gegenüber der Polizei ist manchmal problematisch“, sagt Osman Tekin. Das zeigten auch Videos, die er mit den Jugendlichen ausgewertet habe. Doch das Anliegen der allermeisten Teilnehmenden sei, friedlich und aus Betroffenheit auf die Straße zu gehen.

Ruf nach Schutzkonzept

Bereits im Juni hatten Tekin und seine Kol­le­g*in­nen eine Stellungnahme zu dem Thema verfasst. In dem Dokument, das der taz vorliegt, heißt es: „Kinder und Jugendliche haben Angst vor der Polizei und Angst vor Gewalt.“ Die Betroffenen würden erleben, dass Polizist*innen, die Gewalt ausüben, keine Konsequenzen zu fürchten haben.

„Wir sind verpflichtet, auf diese Missstände hinzuweisen und gegen Polizeigewalt vorzugehen“, schreiben die Verfasser*innen. Sie fordern unter anderem ein Schutzkonzept der Polizei zum Umgang mit Minderjährigen, „damit keine weiteren Kinder und Jugendlichen durch die Polizei Berlin zu Schaden kommen“.

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1 Kommentar

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  • Wenn "die Jugendlichen" das Agieren von Mitdemonstranten problematisch finden, warum greifen sie dann nicht ein, vor allem, wenn es angeblich nur wenige sind?



    Thematisieren die Sozialarbeiter:innen mit den Jugendlichen auch, dass nicht nur das "Verhalten gegenüber der Polizei" sondern auch Antisemitismus und radikale religiose Parolen ein Problem sind?