piwik no script img

Vor der Wahl in FrankreichEs gilt die Trennlinie „Frexit“

Der Wahlkampf in Frankreich nimmt eine bizarre Fahrt auf. Es geht nicht mehr um rechts und links, sondern zunehmend gegen die EU.

Der Einzige, der noch für die EU wirbt Foto: dpa

Paris taz | In der Europapolitik geht die Trennlinie bei den elf Präsidentschaftskandidaten quer durch die üblichen Lager von Links und Rechts. Nichts illustriert Frankreichs Verhältnis zur EU besser, als die Frage, inwieweit die traditionelle Zweiteilung noch gilt.

Der einzige Kandidat, der sich noch traut, mit den Errungenschaften und Perspektiven der politischen Integration Europas Wahlkampf zu machen und in seinen Veranstaltungen EU-Sternenbanner schwenken zu lassen, beansprucht für sich die Mitte: Exwirtschaftsminister Emmanuel Macron.

Der Konservative François Fillon versucht eine Gleichgewichtsübung: Ausgehend von seiner Analyse, dass die EU in der „Sackgasse“ steckt, wünscht er eine Konzentration auf die Euro-Zone und zugleich neue Prioritäten in den Bereichen Sicherheit und Verteidigung. Tiefgreifende Änderungen, die an die Substanz der EU gehen, will auch der Sozialist Benoît Hamon.

Die übrigen Kandidaten stehen der EU, zumindest in ihrer heutigen Form, sehr kritisch bis offen ablehnend gegenüber. Während Außenseiter wie Nicolas Dupont-Aignan, François Asselineau oder Jacques Cheminade klipp und klar einen Austritt aus der EU, aus dem Euro oder auch aus der Nato fordern, drohen der Linke Jean-Luc Mélenchon und auf der Gegenseite die Rechtsextreme Marine Le Pen mit einer „Frexit“-Abstimmung, falls die europäischen Partner nicht einer Totalrevision der EU-Verträge zustimmen, die Frankreich mehr Selbstbestimmung gewähren und von der Haushaltsdisziplin des Stabilitätspakts befreien sollen. Beide tragen mit ihrer Taktik der Erpressung mit einem eventuellen Frexit einer widersprüchlichen öffentlichen Meinung Rechnung.

Nur ein Kandidat macht mit den ­Errungenschaften der EU Wahlkampf

Laut der letzten Untersuchung in Les Echos denken 37 Prozent Befragten, die EU-Mitgliedschaft bringe mehr Nachteile als Vorteile, 31 Prozent sagen das Gegenteil. Der fast gleichgroße Rest (32 Prozenten) denkt, Vor- und Nachteile würden sich etwa die Waage halten. Beim Euro dagegen ist eine klare Mehrheit von 72 Prozent für dessen Beibehaltung und gegen eine Rückkehr zum Franc.

Ganz offensichtlich ist es aber für die meisten Kandidaten effizienter einen Frexit als Lösung für Frankreichs Probleme zu verkaufen. Der Tonfall der Kampagne wird durch die Skepsis gegenüber einer Erneuerung der EU geprägt. Dies erklärt für Le Monde, dass man in Brüssel und Berlin die zunehmend EU-skeptische Dynamik des Wahlkampfs mit größter Sorge verfolge. Denn ein Sieg der EU-Gegner in Frankreich wäre nach dem Brexit wohl der Todesstoß für die Gemeinschaft.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

13 Kommentare

 / 
  • Für mich gilt die Trennlinie Arbeitnehmer-Entrechtung - ja oder nein? Solidarische Gesellschaft - nein oder ja?

    Und ich möchte behaupten, dass jeder, der wie Balmer eine andere Trennlinie als primäre ausgibt, in dieser wichtigsten Frage sein "camp" gewählt hat.

    Ob Europa schlussendlich von Le Pen und Co. oder von Leuten Macronschen Kalibers zu Grabe getragen wird, ist im besten Fall eine Frage des guten Geschmacks (sprich kulturellen Kapitals der Kommentatoren). Mehr ist's nicht und wird's auch nicht mehr.

  • Der große Unterschied

     

    Le Pen und Mélanchon europapolitisch in einen Topf zu werfen, wie auch in diesem Beitrag wieder geschehen, ist, freundlich gesagt, „kontra-faktisch“. Während Le Pen wie Cameron in GB die EU per Referendum verlassen will, schlägt Mélanchon ihre „demokratische, soziale und ökologische Neugründung“ durch Neuverhandlung der europäischen Verträge vor. ("une refondation démocratique, sociale et écologique des traités européens par la renégociation") Das ist nicht dasselbe. Sollte dies am Widerstand Brüssels scheitern, dann sieht der „Plan B“ vor, die EU-Beiträge Frankreichs in Höhe von 22 Mrd. € auszusetzen, die Banque de France zu „requirieren“, um wieder die Kontrolle über die Kreditpolitik und die Bankenregulierung zu erlangen, ein alternatives Währungssystem mit jenen Partnern in der EU ins Auge zu fassen, die an einer Umwandlung des Euro von einer Einheitswährung in eine Gemeinsame Währung interessiert sind und Maßnahmen gegen Kapitalflucht, spekulative Währungsattacken und Sozialdumping zu ergreifen. Die kulturelle und wissenschaftliche Zusammenarbeit mit den Ländern, die dies wünschen, soll auf ein neue Grundlage gestellt werden.

     

    Mélanchon ist also sowenig „antieuropäisch“ wie er gegen das Wetter ist. Er ist nur gegen die gegenwärtige proto-liberale Grundierung der Brüssel-EU. Er will keinen „Frexit“ sondern eine EU-Reform, um im Sinne de Gaulles den Hoheitsrechten der souveränen Mitgliedstaaten wieder die Bedeutung zu verleihen, die ihnen zukommt.

    • @Reinhardt Gutsche:

      Der Letzte, der eine Notenbank in staatlicher Hand wissen wollte, hieß Viktor Orban und die Reaktion aus Brüssel war ziemlich klar...

    • @Reinhardt Gutsche:

      Und die Reform der EU ist unabdingbar, soll das Gebäude noch eine Weile bewohnbar bleiben.

      • @Pink:

        Melanchon will der Europa nicht den Kopf sondern nur b-plan-movie-mäßig die Hand abschlagen.

  • Ohne gegen die EU wettern zu wollen, wäre der erste Schritt zur Besserung die völlige Entmachtung des Mephistopheles Mario Draghi.

    Dieser Mann brachte und bringt Unglück über uns alle.

    Weg mit ihm !!!

    • @Pink:

      Warum wollen Sie Draghi weg haben? Damit die Irren dann völlig unter sich sind? Draghi versucht doch nur, den Wahnsinn der Anderen so abzuschwächen, dass der politische Zusammenbruch noch eine Weile verzögert wird.

  • Also, diese Sache mit der Austeritätspolitik, die angeblich so schlimm ist, habe ich noch nie verstanden. Das bedeutet doch eigentlich nur, dass man nicht mehr Geld ausgeben soll als man hat.

    Ich finde, das ist ein vernünftiger Grundsatz, und jeder derals Privatmann anders handelt, wird dabei schwer Schiffbruch erleiden.

     

    Klar, Staaten können Schulden machen und immer noch mehr Schulden machen. Aber daraus ergeben sich ja nur drei Ausgänge:

    1.: Am Ende ist man völlig in den Klauen der Gläubiger, und muss nach ihrer Pfeife tanzen.

    2. Man wirft die Gelddruckmaschine an; das führt dann früher oder später zur Inflation. Was dfas für Rentner und Geringverdiener bedeutet, kann man sich unschwer ausmalen. Und jetzt komme bitte keiner mit "das muss man dann sozial abfedern" oder so einem Quatsch. In Krisensituationen galt noch immer der Grundsatz "Rette sich wer kann", bzw. "jeder ist sich selbst der Nächste."

    3. Man fordert die Solidarität der Staaten ein, die nicht so viel Schulden gemacht haben. Das bedeutet dann: die einen haben das Geld ausgegeben, die anderen bezahlen die Zeche. Und als Gesellschaftschicht werfden das dann die Rentner und Geringverdiener der reichen Staaten sein. Und der Mittelstand. Aber ganz bestimmt nicht die Superreichen. Den - Achtung Spoiler - die sind aus so etwas wie nationalstaatliche Wirtschaftssysteme gar nicht angewiesen, sondern haben ihr Geld schon längst anderswo in Sicherheit gebracht.

     

    Manchmal könnte man heulen über den intellektuellen Zustand der Linken in den westlichen Gesellschaften .... (Und das sage ich als Nicht-Linker)

    • @Breitmaulfrosch:

      Das Problem der €-Austeritätspolitik (Neuverschuldung etwas drosseln) ist kein Staatsproblem, es ist ein Staatenverbundsproblem. Einzelstaaten können bei eigener Währung machen was sie wollen. Inflation durch Überschuldung/Gelddrucken kann durchaus eine Option gegen unliebsame Reformen sein. Ebenso kann ein Einzelstaat durch Reformen und Haushaltsdisziplin soziale (Generationsgerechtigkeit, Lebensplanung) Erfolge aufweisen. Bei einer Gemeinschaftswährung unterschiedlicher Wirtschaftstraditionen führt das zu Interessenskollisonen.

      Wenn Staaten entgegen Vereinbarungen weder Reformen, Steuermoral, Korruption usw. in den Griff bekommen (wollen) und das nicht traditionell durch Schulden/Inflation regeln können, ist dann ein Solidaritätsanspruch gerechtfertigt ? Ist dann eine Transferunion die Lösung ? Oder die Fortsetzung der Lirapolitik der EZB etwa Gerechtigkeit ? Reichtum und Armut ist in den Problemstaaten (z.B. Griechenland) höher als in den Nordstaaten (z.B. Deutschland). Sollten nicht die reichen Griechen, Italiener usw. zuerst mit ihren armen Landsleuten solidarisch sein ? Warum sollen andere Steuerzahler "solidarisch" gerade stehen ? Das €-Korsett wird die EU erwürgen, ansonsten steht es jedem "Umverteiler" frei, persönlich sein Geld an notleidende Staaten zu spenden, mein Segen sei ihnen gewiss, mein versteuertes Geld behalte ich aber lieber selber.

      @ Werner W.

      Sie haben Recht was Einzelstaaten angeht. Das gilt aber nicht für Haftungsgemeinschaften, welche nicht ohne Spielregeln auskommen können. Spielverderber / Betrüger müssen dann entweder raus oder "durchgefüttert" werden.

    • @Breitmaulfrosch:

      sie vermischen mikroökonomik (sie als privatmann) und makroökonomik (z.B. staaten)

      • @nutzer:

        Auch Nationalstaaten können zahlungsunfähig werden und das passiert sogar recht häufig (Argentinien, Griechenland (4x in den letzten 150 Jahren), Island).

         

        Der von Ihnen vermutete Unterschied existiert eben nicht.

  • falls die europäischen Partner nicht einer Totalrevision der EU-Verträge zustimmen, die Frankreich mehr Selbstbestimmung gewähren und von der Haushaltsdisziplin des Stabilitätspakts befreien sollen.

     

    falls das der einzige weg ist, die unsinnige und für frankreich selbstmörderische austeritätspolitik zu beenden, liegen die kandidaten mit ihrer position ganz richtig.

    es ist keine frage von links oder rechts gegen eine politik zu sein die frankreich schadet.

    wenn die EU, d.h. Deutschland nicht bereit ist etwas zu ändern, dann bleibt nur der weg gegen die EU zu agieren. das hat mit links oder rechts rein gar nichts zu tun.

  • 8G
    82236 (Profil gelöscht)

    Ist ja wohl klar, dass bei dem Austeritätswahn Schäubles, von dem nur Deutschland profitiert hat, aber nicht alle Deutschen, viele europäische Wähler von dieser liberalen Interessensgemeinschaft die Nase voll haben. Es gibt aber dennoch Unterschiede zwischen Hamon/Mélenchon, die ein solidarisches und soziales Europa wollen und keins, dass nur den Banken dient oder Unternehmern, die entweder ihre Produktion in EU-Billiglohnländer auslagern oder billige Arbeitskräfte aus diesen Ländern anheuern und die obendrein keine Steuern zahlen, weil Herr Juncker ihnen sein Steuerparadies zu Vefügung stellt und Marine Le Pen, die von Solidrität gar nichts hält und Ausländer, die in Franreich arbeiten höher besteuern will. Macron und Fillon wollen das liberale Europa aufrechterhalten, mit Kürzungen im Haushalt, Sozialabbau, Ausweitung des prekären Niedriglohnsektors. Fillon hat offen zugegeben, dass er die deutsche Agendapolitik,d.h, weniger Arbeitslose und mehr Arme für richtig hält, um die Staatskasse zu sanieren. Auch einer von denen, Wirtschaftspolitik mit Buchhaltung verwechseln. Es ist auch kein Wunder, dass Deutschland noch nie einen Ökonomoinobelpreisträger hatte. Die Sparpolitik ist auch das richtige für eine alternde Nation wie Deutschland, das entpricht der Mentalität der Besitzstandswahrung alter Geizhälse. Eine junge kinderfreundliche Nation wie Frankreich muss rentabel und sinvoll für die Zukunft investieren und dabei auch Schulden machen, sofern das Geld später wieder reinkommt.