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Von einem, der keine Maske trugBöse Blicke

Ein Mann steht im Bus und trägt keine Maske. Sofort wird er zum Außenseiter. Das macht mich traurig.

Noch gehört dieses schwarze Schaf dazu. Aber der Ausschluss geht schnell Foto: dpa

D ie Maske juckt. Der Bus schweigt. Es dämmert. Draußen endet der Sommer und eine Atmosphäre der Unsicherheit liegt um die Stadt, wie es mit Corona weitergeht. Alle schauen unter ihren Masken stumm vor sich hin oder auf ihr Handy. Menschen mit Masken in der Öffentlichkeit reden weniger miteinander. Als wären sie durch unsichtbare Wände voneinander getrennt. Die Mimik ist verdeckt, das Sprechen fällt schwerer, es bedeutet, einen Schritt mehr aus sich herauszutreten.

Ein Mann steigt ein, um die 50, im Anzug, groß mit breiten Schultern und kinnlangem Haar, ein Hüne. Er sieht aus wie ein Dirigent, ein bekannter Künstler, den man erkennen müsste. Ein schöner, stolzer Mensch. Er hält sich beim Einsteigen noch ein rotes Taschentuch vor den Mund, dann steckt er es fort. Er steht im Gang vor den Türen des Mittelausgangs: „Der trägt keine Maske“, zischt ein Mann seiner Frau zu. Er schaut den Mann böse an, aber er sagt nichts.

Wir alle starren den Mann an. Maskengesichter, die wie zu einem Verräter blicken. Mich stört es auch: Die Infektionszahlen auf der Welt geben Anlass zur Sorge. Wir bemühen uns alle, und ihm es wie selbstverständlich egal. Was lässt ihn die Maske nicht tragen? Ist er zu stolz, zu frei?

Als der Bus bei der nächsten Station hält, schaut der Busfahrer durch den gebogenen Spiegel nach hinten: „Maske“, sagt er laut. Der Mann läuft nach vorn, als wollte er schneller sein als die Stimmung, die gegen ihn kippt. Er beugt sich zum Busfahrer, spricht nur einen Satz. Es ist nicht zu hören. Der Busfahrer nickt sofort. Der Mann ohne Maske läuft zurück zum Gang und stellt sich vor die Mitteltüren. Er schaut nun starr nach vorn, scheint unsere Blicke zu spüren. Er zieht die Schultern ein. Der große Mann hat nun etwas Geducktes, Verschüchtertes, als wollte er nicht hier sein, sich am liebsten auflösen.

Ist es richtig, was wir tun, wie wir denken, wen wir ausschließen und worüber wir im bitteren Ernst urteilen?
Christa Pfafferott

ist Autorin und Dokumentarfilmerin. Sie hat über Machtverhältnisse in einer forensischen Psychiatrie promoviert. Als Autorin beschäftigt sie sich vor allem damit, Unbemerktes mit Worten sichtbar zu machen.

Plötzlich schaue ich wie aus einer anderen Perspektive auf uns. Woran wir uns gewöhnt haben. Dass wir einen mit unseren Blicken klein kriegen, der sich nicht der Norm entsprechend verhält. Wie der Mann hier im Bus zu einem Anderen, einem Außenseiter wird. Gerade dass keiner etwas sagt. Diese Übereinkunft im Schweigen. Diese selbstgerechte Unzufriedenheit: Auf einmal macht mich das traurig.

Ich denke an meine Bekannte, die keine Maske aufsetzen kann. Sie bekommt dann Erstickungsanfälle, weint. Sie hat ein Attest vom Arzt, aber sie wird oft schräg angeschaut, im öffentlichen Verkehr, in Geschäften. Deswegen meidet sie diese Orte. Sie kann schlicht keine Maske tragen. Mir kommt es manchmal wie ein Bild vor: Dass sie keine Maske aufsetzen kann, mit allen Nachteilen, die das bedeutet. Wer weiß, warum der Mann sie nicht trägt? Was lässt uns über ihn richten?

In „Fabian“, dem Roman von Erich Kästner aus dem Jahr 1930, den ich in diesen Tagen lese, erzählt der Protagonist einer Freundin, wie man am besten mit den Menschen klarkommt. Man müsse jeden – ausgenommen sind nur Kinder und Greise – als verrückt betrachten. Alle. Alle sind verrückt, bevor sie einen nicht stichhaltig vom Gegenteil überzeugen. Daran denke ich jetzt.

Über die Wirklichkeit staunen, um achtsam zu bleiben. In einer Zeit, in der wir Masken tragen, sollten wir uns vielleicht umso mehr selbst einen Spiegel vors Gesicht halten. Ist es richtig, was wir tun, wie wir denken, wen wir ausschließen und worüber wir im bitteren Ernst urteilen? Es geht so schnell. Der Mann im Gang schaut vor sich hin. Dann läuft er plötzlich nach vorn, schlüpft auf den Sitz schräg hinter dem Fahrer, sucht die Nähe zu dem, der ihn akzeptiert hat. Für uns ist jetzt nur noch sein Hinterkopf zu sehen. So nahe beim Fahrer ist er wie von einer Autorität beschützt.

Die Stimmung hinten entspannt sich ohne sein maskenloses Gesicht. Vorn sitzen der große Mann und der Busfahrer. Sie schauen auf die Straße, in die Dämmerung hinein. Wir fahren weiter, hinein in eine fragile Zeit.

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19 Kommentare

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  • Ich persönlich trage jetzt in Öffis eine ffp2 Maske. Die schützt andere und mich (natürlich die ohne Ventil). Fühle mich damit besser und muss niemanden auf irgendwas hinweisen. In engen Innenräumen z.B. auch mit Freunden und deren Kinder im Auto spart das unnütze Diskussionen. Kann manchmal alles ganz einfach sein...

  • Der "schöne stolze Mann" kann auch einen Gesichtsschirm aus transparentem Plexiglas tragen, genauso wie alle anderen, die aus medizinischen Gründen keine Maske tragen können.



    Oder wie Gehörlose (untereinander) zwecks Kommunikation.



    Und ja, ich weiß, die Dinger bringen eher wenig Punkte, vermeiden aber eben solche unangenehmen Situationen für alle Beteiligten. Kann mensch ja auch so kommunizieren: Plexiglas=Attest =/= (ungleich) "Covidiot".

  • Man könnte die Person ja auch höflich ansprechen und den Grund erfahren.

    Aber wenn panisches Denunziantentum und Eindreschen auf vermeintlich gegen die Regeln Verstoßende dieNorm werden. Braucht man sich nicht zu wundern.

    Die deutsche Mentalität hat sich auch nach 75 Jahren nicht geändert. Die Volksgesundheit geht vor. Heute nennt man das eben Solidarität.

    • @J_CGN:

      Wievielen Mitbürgern gegenüber möchtest Du als "Attestträger" tagtäglich rechtfertigen, dass Du keine Maske trägst?

      Oder vielleicht doch lieber gleich eine Armbinde mit einem grossen A, erhältlich beim Ordnungsamt nach eingehender amtlicher Überprüfung des vorgelegten Attests?

      • @Long John Silver:

        Wenn es soo lästig ist, wie wäre es mit einem Plastikvisir?

        • @Normalo:

          Du meinst die Teile, die in Hamburger Schulen nicht angewendet werden sollen mangels effektiven Schutzes?

  • Abstand ist das neue Zusammenhalten!

    Freitag hatte ich zum 1.Mal seit Langem vergessen meine Maske auszusetzen. Bin frohgemut und ahnungslos mit dem Einkaufswagen auf der Rolltreppe aufwärts zum Supermarkt. Zufällig sehe ich auf der abwärts führenden Rolltreppe zwei verzweifelt zu mir herüber gestikulierende Leute, die auf ihre Maske deuten. Schreck lass nach! Das hätte in der jetzigen Zeit wohl teuer werden können. Fast wie im Auto, wenn man zu schnell unterwegs ist und der Entgegenkommende anzeigt, dass man zu schnell unterwegs ist.

    Danke an die Mitbürger, für die Aufmerksamkeit!

    • @noevil:

      Ich meine natürlich ...'aufzusetzen' und natürlich habe ich mich mitsamt Wagen sofort wieder nach unten begeben und meine Maske (schwitz/stöhn) aufgesetzt. War dennoch dankbar für den freundlichen Hinweis!

  • Zwei Einwände: Zum Einen kursieren jede Menge falsche Atteste die notorische Maskenverweigerer nutzen um ihrem rücksichtslosen Handeln den Anschein von Legalität zu verleihen, sei es selbst gefälscht, als Gefälligkeitsgutachten vom Hausarzt oder unter dubiosen Bedingungen aus dem Internet oder EU-Ausland bezogen.



    Zum Anderen sollte auch wer zu der kleinen Gruppe von Menschen gehört die aus gesundheitlichen Gründen tatsächlich keinen MNS tragen können und deshalb berechtigterweise ein Attest hat, dies nicht einfach als Freifahrtschein betrachten seine Mitmenschen gefährden zu dürfen, sondern sich um wirksamen Alternativen bemühen, also entweder chirurgische Masken verwenden oder wenn auch das nicht geht wenigstens den Menschenmassen wie im ÖPNV meiden, es gibt schließlich auch andere Möglichkeiten ans Ziel zu kommen.



    www.rnd.de/gesundh...G3Z7HNF25G62I.html



    www.zdf.de/nachric...ko-attest-100.html

    • 0G
      01068 (Profil gelöscht)
      @Ingo Bernable:

      Der Artikel sollte meines Erachtens für mehr Empathie werben. Die haben wir unglaublich nötig. Unterstellungen, Verdächtigungen und Denunziaionen heizen die eh schon angespannte Atmosphäre weiter auf.

    • @Ingo Bernable:

      2019 gab es in Deutschland 402.100 berufstätige Ärzte und 123.600 Ärzte ohne ärztliche Tätigkeit.

      Quelle: de.statista.com/st...schland-seit-1990/

      RND schreibt:

      "Die Initiative Mediziner und Wissenschaftler für Gesundheit, Freiheit und Demokratie (MWGFD) aus Passau listet auf ihrer Internetseite mehr als 30 Ärzte und Heilpraktiker, an die man sich wenden könne, wenn man ein Attest zur Befreiung von der Maskenpflicht brauche. Darunter sind auch Mediziner, die im Ausland ansässig sind."

      Das ist also schon rein quantitativ ein Problem, das im Promillebereich liegt. Es sei denn, viel mehr Ärzte stellen sich durch ihr tatsächliches Handeln hinter das, was die Initiative "Mediziner und Wissenschaftler für Gesundheit, Freiheit und Demokratie" propagiert. In diesem Fall hätten die Gesundheitsbehörden das Problem, relevanten Teilen der Ärzteschaft ihr Vorgehen nicht plausibel machen zu können.

    • @Ingo Bernable:

      "Zum Einen kursieren jede Menge falsche Atteste ..."

      Also 153 falsche Atteste ?

      Ansonsten können Sie glaube ich sicher sein, dass jene mit einer Befreiung von der Maskenpflicht bereits der eigenen Gesundheit wegen (Asthmatiker bspw. mit einer Befreiung sind immer auch Risikogruppe) nur im notwendigen Rahmen sich in die Öffentlichkeit begeben.

      Aufs Rad, wie Sie vorschlagen, gehören die "Gesunden". Eben weil die Risikogruppen auf ÖPNV angewiesen sind.

      Gesund zu sein ist kein Freifahrtschein, chronisch Kranke mit Maskenpflichtbefreiung aus den Bussen zu eckeln.

      • @Rudolf Fissner:

        "Ansonsten können Sie [...] sicher sein, dass jene mit einer Befreiung [...] nur im notwendigen Rahmen sich in die Öffentlichkeit begeben."



        Da bin ich mir eben keinesfalls sicher. Wenn Leute angeblich weder eine Alternative zur Maske noch zum ÖPNV haben, dafür aber ein Attest aus einer Praxis in Bukarest und jede Verwunderung darüber dann empört als Diffamierung zurückweisen, bin ich eher nicht geneigt das zu glauben.

        • @Ingo Bernable:

          Sie machen Wenn-Dann Sätze auf ohne irgendwelche Zahlen zu haben, reden von Praxen in Bukarest und erzeugen ein Bild wonach Maskenbefreite durchgehend nur noch Attestfälscher sind.

          So geht das nicht!

          • @Rudolf Fissner:

            Ich gehe lediglich von dem aus was ich selbst gesehen habe. Was nicht geht, ist die Augen vor der Realität zu verschließen nur weil aus normativer Warte etwas Anderes wünschenswert wäre.

        • @Ingo Bernable:

          Oh, welch wunderschöne Welt der Vorurteile.

          Um heutzutage ohne Maske durch Deutschland zu fahren, muss man:

          a.) ein fanatischer Glaubenskrieger sein,

          b.) stark masochistisch veranlagt sein

          oder

          c.) wirklich nicht gesund sein.

          Können wir uns wirklich nicht an der Sachlichkeit unserer dänischen Nachbarn orientieren? Zitat aus amtlichen Quellen:

          "The Danish Health Authority has determined that the following people may be exempt from wearing a face mask in public transport:

          - Children under the age of 12.



          - People with difficulty breathing, reduced levels of consciousness or people with physical or mental impairments that prevent them from wearing a face mask or visor.



          - People who have significant discomfort with wearing a face mask."

          Quelle: www.sst.dk/en/Engl...fection/Face-masks

    • @Ingo Bernable:

      Nicht alle können sich ein Taxi leisten!

      Trotzdem könnte man - auch um Missverständnisse zu vermeiden -- vielleicht ein Visier tragen. Das schützt zwar wesentlich weniger, ist aber ein deutliches Zeichen, dass man das Virus anerkennt und nicht zu den wirren Spinnern gehört.

      • @Hannes Hegel:

        Auch das Taxi ist ja nicht ohne Alternative. Viele Strecken würden sich bei kritischer Betrachtung ohnehin komplett vermeiden lassen, wenn das partout nicht möglich und das Taxi zu teuer, kann man den Weg auch per Rad antreten oder Freunde und Verwandte bitten einen zu fahren. Und ja, natürlich wird es auch wieder Leute geben denen auch das nicht möglich ist, aber da sprechen wir von der Splittergruppe einer Splittergruppe (Community-Maske geht nicht, FFP2/3 auch nicht, kein Auto, Taxi zu teuer, kein Fahrrad, keine Freunde/Verwandte) und nicht von jenen die das oben beschriebene Problem darstellen.

  • Scheiss Zeiten! Nichts mehr mit dem Zusammenrücken der Gesellschaft i.d. Not. Auseinanderdividieren ist grad' angesagt.