Atteste zur Maskenpflicht-Befreiung: Maskenfrei und Stress dabei

Ärztekammern warnen vor falschen Attesten zur Befreiung von der Maskenpflicht. Wer wirklich keine Maske tragen kann, dem droht ein Spießrutenlauf.

Anti-Corona-Demo in Hannover

Mit Masken haben es die Corona-Skeptiker*innen nicht so – wie hier in Hannover vergangenen Samstag Foto: Moritz Frankenberg/dpa

HAMBURG taz | Die Ärztekammern in Hamburg und Schleswig-Holstein wollen gegen falsche und leichtfertig erteilte Atteste zur Befreiung von der coronabedingten Maskenpflicht vorgehen. Mediziner*innen, die solche Bescheinigungen ausstellten, ohne die Patient*innen überhaupt untersucht zu haben, drohten sie berufsrechtliche Konsequenzen an. Die Art der Sanktion hänge vom Einzelfall ab. Ärzt*innen, die falsche Atteste ausstellen, können wegen des „Ausstellens unrichtiger Gesundheitszeugnisse“ mit Geld- oder Haftstrafen bis zu zwei Jahren belangt werden.

Die Rechtslage ist klar: Von der Maskenpflicht befreit werden kann – nach eingehender ärztlicher Untersuchung – wem die Mund-Nasen-Bedeckung aus gesundheitlichen oder psychischen Gründen nicht zuzumuten ist. Häufigster Befreiungsgrund sind Atemwegs-, Lungen- und Herzerkrankungen. Doch im Kreis der Coronaleugner*innen ist es längst zum Volkssport geworden, sich auch ohne gesundheitliche Einschränkungen und Arzt-Visite ein Befreiungs-Attest zu besorgen.

Und es gibt genügend Mediziner*innen, die aus ideologischen oder finanziellen Gründen, etwa im Internet, Blanko-Befreiungen für kleines Geld anbieten. Listen solcher Ärzt*innen kursieren in den einschlägigen Foren der Coronaverharmloser*innen und Verschwörungstheoretiker*innen. Die so zustande gekommenen Bescheinigungen zeichnen sich oft durch stereotype Befreiungs-Begründungen aus. „Uns ist eine Reihe von Attesten zugegangen, bei denen der Verdacht nahe liegt, dass keine Untersuchungen stattgefunden haben“, klagt der Präsident der Hamburger Ärztekammer, Pedram Emani. Zur Zeit ermittelt die Hamburger Ärztekammer gegen fünf Mediziner*innen.

Der Schwindel mit den fahrlässigen Mund-Nasenschutz-Befreiungen hatte am vergangenen Wochenende für Schlagzeilen gesorgt. Um die Maskenpflicht zu umschiffen, hatten etwa 70 Teilnehmer*innen der „Anti-Coronamaßnahmen“ – Demo in Hannover der kontrollierenden Polizei Befreiungs-Atteste unter die maskierte Nase gehalten. Die meisten davon waren offenbar gefälscht. Die Polizei leitete Ermittlungen ein.

Im Netz werden Blanko-Atteste angeboten

„Immer mehr Personen bestehen darauf, ohne Maske einzukaufen“, sagt der Chef der norddeutschen Biomarktkette Aleco, Georg Appel. Bei etwa 90 Prozent dieser Kund*innen habe er den sicheren Eindruck, „dass ideologische und nicht medizinische Gründe“ den Ausschlag für die Ablehnung der Mund-Nasen-Bedeckung geben. „An falsche Atteste ist leicht ranzukommen und wir können unseren anderen Kund*innen nicht zumuten, dass immer mehr Personen ohne Maske durch die Läden marschieren.“

Deshalb gebe es in den Aleco-Filialen ab sofort nur noch in „sehr begrenzten Einzelfällen Ausnahmen von der Maskenpflicht“, hat Appel entschieden. Er räumt aber auch ein: „Wer aus medizinischen Gründen keine Maske tragen kann, ist da gekniffen. Aber wir haben kaum eine andere Wahl.“

Eine, die den Missbrauch mit der Maske ausbaden muss, ist die Hamburger Rechtsanwältin Diana L., die wegen einer Atemwegserkrankung von der Maskenpflicht befreit ist. Jeder Einkauf ist ein Spießrutenlauf“, berichtet die 49-Jährige. Bei dem Lebensmittelhändler ihres Vertrauens musste sie das Attest und eine Kopie ihres Personalausweises zu den Akten geben, um das Geschäft weiterhin maskenfrei betreten zu können. Doch nicht alle Angestellten wüssten davon, sodass sie permanent „sehr unfreundlich angesprochen“ werde.

Eine Kundin habe sie wegen der fehlenden Maske mal „so zur Sau gemacht“, dass sie das Geschäft unter Tränen verlassen habe. „Meine Einkaufsmöglichkeiten haben sich sehr eingeschränkt“, berichtet die Juristin. Ikea etwa sei für sie nun tabu. „Dort hat mir die Security unmissverständlich klar gemacht, dass man alle Produkte im Internet bestellen könne und meine Einkauf überdies ja nicht lebensnotwendig sei.“ Die Türen des skandinavischen Möbelriesen bleiben für Diana L. seitdem verschlossen.

Berichte wie der von Diana L. mehren sich dieser Tage. Auch der in Mecklenburg ansässige Verein „Stark machen“, der Opfer sexualisierter Gewalt betreut, berichtet, dass Klient*innen, die aus gesundheitlichen Gründen keine Maske tragen, in den vergangenen Monaten viel Intoleranz und Aggressivität in der Öffentlichkeit erfahren hätten – sei es beim Einkaufen oder in öffentlichen Verkehrsmitteln. Immer mehr Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen keinen Mund-Nasenschutz tragen könnten, würden so von der gesellschaftlichen Teilhabe ausgeschlossen und in die Isolation getrieben – für Opfer häuslicher Gewalt eine Katastrophe. Es müsse darum gehen, die Ausnahmeregelungen zur Maskenpflicht öffentlich besser zu kommunizieren. Denn große Teile der Bevölkerung würden zwar die Maskenpflicht kennen, nicht aber wissen, dass diese nicht für alle gelte.

Beim Bremer Landesbehindertenbeauftragten, Arne Frankenstein, gehen derzeit wöchentlich zehn bis zwölf Anfragen von Bürger*innen ein, die Probleme bekommen haben, weil sie ohne Maske unterwegs waren. Selbst wenn sie ein Attest vorlegen konnten, und obwohl in der aktuellen Coronaverordnung keine Nachweispflicht vorgeschrieben sei. „Wenn Ladenbesitzer sich auf ihr Hausrecht berufen und das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung zur Bedingung machen, ohne Ausnahmen für Menschen, die eine Maske nicht tragen können, verstoßen sie gegen das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz“, sagt Frankenstein.

Doch genau auf dieses Gesetz berufen sich auch die Coronaleugner*innen mit ihren Fake-Attesten.

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