Von der Leyen als EU-Kommissionschefin: Personalie mit Sprengkraft
Die SPD ist dagegen, Ursula von der Leyen zur Präsidentin der EU-Kommission zu machen. Bringt die Empörung der GenossInnen die Groko zu Fall?
Die Widerstände gegen die 60-jährige Christdemokratin sind groß. Seit die EU-Staats- und Regierungschefs von der Leyen als EU-Kommissionspräsidentin aus dem Hut zauberten, geistern Fragen durch die Berliner Koalition: Kann die das? Warum ausgerechnet sie? Und darf Kanzlerin Angela Merkel (CDU) vom Spitzenkandidatenprinzip abweichen, das man für die Kommissionspräsidentschaft verabredet hatte?
Nein, darf sie nicht, findet die SPD – und stemmt sich entschieden gegen den Vorschlag, den EU-Ratspräsident Donald Tusk am Dienstagabend bekannt gegeben hatte. Die kommissarischen SPD-Vorsitzenden Malu Dreyer, Thorsten Schäfer-Gümbel und Manuela Schwesig gaben die Linie vor.
Sie verwiesen darauf, dass sich die SPD dem Prinzip verpflichtet fühle, nur SpitzenkandidatInnen der Parteienfamilien für das Amt zu berücksichtigen. Mit dem niederländischen Sozialdemokraten Frans Timmermans, dem CSUler Manfred Weber und der Liberalen Margrethe Vestager seien drei veritable Kandidaten bei der Europawahl angetreten, argumentierten die SPD-ChefInnen.
Koalitionskrise mit Sprengkraft
Dass nun keiner der drei zum Zuge kommen solle, sondern jemand, der nicht zu Wahl gestanden habe, könne nicht überzeugen. „Damit würde der Versuch, die Europäische Union zu demokratisieren, ad absurdum geführt.“ Deshalb lehne die SPD Ursula von der Leyen als Kommissionspräsidentin ab.
Damit führt die Personalie zu einer Koalitionskrise mit Sprengkraft. Könnte es zum endgültigen Ermüdungsbruch kommen? Der ehemalige SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel sprach dieses Szenario offen an.
Von der Leyens Benennung gegen den Willen der SPD sei ein „beispielloser Akt der politischen Trickserei“, sagte er dem Tagesspiegel. Die SPD müsse das Vorhaben im Kabinett aufhalten. Ein einseitiges Vorgehen der Union wäre „ein Grund, die Regierung zu verlassen“.
Gabriel will auch einen Hebel entdeckt haben: Von der Leyen müsse erst von Deutschland als Kommissarin benannt werden, bevor sie von anderen Staatschefs als Kommissionspräsidentin nominiert werden könne. Dafür sei das Bundeskabinett zuständig, also auch die SPD-MinisterInnen. Aber diese Deutung ist faktisch falsch.
Artikel 17 des EU-Vertrags sieht ein solches nationales Kabinettsvotum nicht vor. Dort heißt es lediglich, dass der Europäische Rat dem EU-Parlament „nach entsprechenden Konsultationen mit qualifizierter Mehrheit“ einen Kandidaten vorschlage. Hinzu kommt: Gabriel, der schon früher mit einem Koalitionsbruch liebäugelte, hat in der SPD nichts mehr zu sagen.
Mehrere Motive hinter SPD-Protest
Aber wahr ist: Der Unmut unter den SozialdemokratInnen ist groß. Von der Leyen werde im Europäischen Parlament keine Mehrheit bekommen, twitterte Seeheimer-Chef Johannes Kahrs. Der SPD-Linke Karl Lauterbach schimpfte: „Die EU ist keine Versorgungsstruktur für schwächelnde Minister.“ Der Vorgang gefährde die Entwicklung des EU-Parlaments und sei nicht demokratisch.
Empfohlener externer Inhalt
Auch Stephan Weil, der mächtige Ministerpräsident Niedersachsens, kritisierte die Nominierung als schweren Fehler. „Man kann nicht bei Wählerinnen und Wählern wochenlang mit bestimmten Personen für europäische Parteifamilien um Stimmen werben, ihre Bilder an die Straßen hängen, um nach der Wahl zu erklären, dass diese Personen jetzt keine Rolle mehr spielen.“ Das EU-Parlament würde, würde es dies absegnen, „auf Dauer seine eigene Herabstufung mitbeschließen.“
Hinter dem Protest der SPD stecken mehrere Motive. Viele SozialdemokratInnen hatten gehofft, den eigenen Mann Frans Timmermans durchbringen zu können. Merkel und Macron hatten sich zwischendurch für ihn starkgemacht, waren aber am Widerstand der Konservativen der Visegrád-Gruppe gescheitert.
Dann ist da das Lebenswerk von Martin Schulz. Schulz, ehemals EU-Parlamentspräsident, hat das Prinzip der SpitzenkandidatInnen einst mit erfunden, um BürgerInnen für die EU-Wahlen zu begeistern. Bis heute ist die SPD stolz auf das engagierte Europakapitel im Koalitionsvertrag.
Von der Leyens wäre ein progressives Signal
Die Koalition, heißt es darin, wolle Europa „bürgernäher und transparenter machen“, sie wolle „ein Europa der Demokratie mit einem gestärkten Europäischen Parlament“. Im Grunde liest sich das wie ein Bekenntnis zum Spitzenkandidatenprinzip.
Gerade passiere das Gegenteil dessen, was verabredet worden sei – so empfinden es viele SPDler. Katarina Barley, die SPD-Spitzenkandidatin im Europawahlkampf, erklärte bereits im „ZDF-Morgenmagazin“, dass sie im EU-Parlament nicht für von der Leyen stimmen werde.
Die Frage ist allerdings, ob die SPD wegen der Personalie am Ende wirklich die Eskalation sucht. Merkel hat ja immerhin versucht, Timmermans nach vorne zu schieben. Und eine Kommissionspräsidentin von der Leyen vorzuschlagen ist nicht ungeschickt: Die Christdemokratin, die in Brüssel aufwuchs, ist ein Vollprofi mit 14 Jahren Erfahrung im Bundeskabinett.
Sie ist klar proeuropäisch positioniert und sprach schon 2011 von ihrer Vision der „Vereinigten Staaten von Europa“. Außerdem wäre sie die erste Frau an der Spitze der EU-Kommission überhaupt.
Kann die SPD ignorieren, dass von der Leyen angesichts der verfahrenen Lage ein progressives Signal wäre? Eine Ironie ist es ja, dass die Rechtspopulisten der Visegrád-Staaten, etwa der Ungar Viktor Orbán, eine erklärte Proeuropäerin unterstützen. Die Wege der EU sind eben manchmal unergründlich.
In der Kabinettssitzung am Mittwoch spielte die Empörung der Sozialdemokraten jedenfalls keine Rolle. Drei SPD-Minister fehlten, Olaf Scholz, Heiko Maas und Hubertus Heil sind schon im Urlaub. Merkel habe über den EU-Sondergipfel vom Vortag berichtet, hieß es aus Teilnehmerkreisen. Eine Diskussion habe es nicht gegeben. Business as usual also.
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