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Volksinitiative gegen WerbetafelnVerfassungsgericht gibt grünes Licht

Die Volksinitiative „Hamburg werbefrei“ will Reklametafeln per Gesetz reduzieren. Vor Gericht bekam sie recht. Eine Schlappe für den rot-grünen Senat.

Beeinflussen aus Sicht der Volksinitiative „Hamburg werbefrei“ den öffentlichen Raum negativ: digitale Werbetafeln Foto: Hanno Bode/imago

Hamburg taz | Das Volksbegehren „Hamburg Werbefrei“ darf durchgeführt werden. Mit diesem Urteil des Hamburgischen Verfassungsgerichts ist die Volksinitiative ihrem Ziel, Reklametafeln in der Stadt per Gesetz deutlich zu reduzieren, einen Schritt näher gekommen. Insbesondere problematisiert die Initiative die wachsende Zahl energieintensiver digitaler Werbeflächen, weil die sich negativ auf den öffentlichen Raum auswirkten.

Dem Urteil von Freitag zufolge ist das Volksbegehren grundsätzlich mit höherrangigem Recht vereinbar und inhaltlich nachvollziehbar – und darf daher grundsätzlich durchgeführt werden. „Der Gesetzesentwurf führt einen Ausgleich zwischen den grundrechtlich geschützten Informationsinteressen der Bevölkerung und dem Ziel der Reduzierung von Werbeanlagen und ihrer Dominanz im öffentlichen Raum herbei“, entschied das Landesverfassungsgericht.

Erik Flick, eine der Vertrauenspersonen der Volksinitiative „Hamburg Werbefrei“, bewertete das Verfassungsgerichtsurteil als schwere Schlappe für den rot-grünen Senat. „Die Werbeindustrie und der Senat sind mit ihren Argumenten nicht durchgekommen. Das ist das Beste, was unserer Stadt passieren kann“, so Flick. „Nun liegt die Entscheidung, wie unsere Stadt in Zukunft aussehen soll, in der Hand der Bürger:innen. Das ist auch ein Sieg für die Demokratie.“

Senat folgte der Volksinitiative nicht

Die Initiative „Hamburg werbefrei“ hatte bereits 2022 mehr als 15.000 Unterschriften gesammelt, um ein Volksbegehren als zweite Stufe des Volksgesetzgebungsverfahrens angehen zu können. Der Hamburger Senat entschied aber, den angestrebten Gesetzentwurf der Initiative vom Landesverfassungsgericht überprüfen zu lassen, weil der aus seiner Sicht vor allem in zwei Punkten gegen geltendes Recht verstoße.

Er greife, so der Senat, zum einen unzulässig in das Recht der Bürgerschaft ein, allein über den städtischen Haushalt zu entscheiden. Zum anderen sei es ein unverhältnismäßiger Eingriff ins Eigentumsrecht, Ei­gen­tü­me­r:in­nen zu verbieten, Werbeflächen aufzustellen.

Verfassungsgericht folgt der Initiative

Der Gesetzesentwurf der Initiative „Hamburg werbefrei“ sieht die Änderung der Bauordnung des Landes Hamburg vor. So sollen unter anderem digitale Werbeanlagen außerhalb der Stätte der Leistung verboten sein. Heißt: Ein Supermarkt beispielsweise darf weiter auf seinem Grundstück mit digitalen Reklametafeln für sich werben, nicht aber anderswo im öffentlichen Raum.

Die Initiative nimmt besonders digitale Werbetafeln in die Kritik: Mit schnellen Bildwechseln erhöhten sie die Ablenkung und die Unfallgefahr im Straßenverkehr. Die Lichtverschmutzung schädige darüber hinaus Insekten und Vögel. Gegen klassische Litfaßsäulen soll das Volksbegehren nicht vorgehen. Die Unterscheidung lehnte der Senat in seiner Klage ab – eine Beschränkung auf analoge Werbung sei unverhältnismäßig.

Das Gericht dagegen folgte der Argumentation der Initiative. Die weitreichende Beschränkung „dieser im öffentlichen Raum besonders dominanten Form von Außenwerbung“ mit ihren negativen Auswirkungen sei, so urteilten die Richter, zur Erreichung der Ziele des Volksbegehrens erforderlich.

Die Werbeindustrie und der Senat sind mit ihren Argumenten nicht durchgekommen. Das ist das Beste, was unserer Stadt passieren kann. Das ist auch ein Sieg für die Demokratie

Erik Flick,Volksinitiative „Hamburg werbefrei“

Dem stehe nicht entgegen, dass die digitalen Anlagen für die Grundstückseigentümer wirtschaftlich besonders attraktiv seien. Auch werde für neu zu errichtende Anlagen ein Interessensausgleich geschaffen: Denn Eigenwerbung sei in größerem Umfang weiter erlaubt.

Weiter sieht der Gesetzentwurf vor, dass die Werbeanlagen hälftig für kulturelle, politische, sportliche und ähnliche Veranstaltungen genutzt werden. „Das betrifft das Leben in der Stadt – und ist quasi eine Kulturförderung, weil es positive Auswirkungen für Kulturveranstalter hat“, sagt der Anwalt der Initiative, Fadi El-Ghazi.

Auch dem folgte das Gericht: „Einschränkungen kommerzieller Werbung, die nach abstrakt bestimmten Inhaltsarten anhand ihres gesellschaftlichen Kontexts differenzieren, sind weder ein Verbot einer bestimmten Meinung noch richten sie sich gegen die Meinungsfreiheit als solche.“

Bestehende Werbanlagen dürfen bleiben

Das Gericht widersprach auch der Argumentation des Senats, ein Wegfall von Einnahmen in Höhe von knapp 70 Euro Millionen jährlich aus Werbeverträgen würde das Haushaltsrecht der Bürgerschaft beeinträchtigen. Zwar werde das fiskalische Handeln der Stadt erheblich beschränkt – es wäre aber nicht mit einem vollständigen Wegfall der Einnahmen aus privatrechtlichen Werbeverträgen zu rechnen.

Lediglich die Forderung der Initiative, bereits errichtete Werbeflächen wieder abzubauen, sei nicht rechtens, so die Verfassungsrichter. Das Vertrauen der Grund­stücks­ei­gen­tü­me­r:in­nen in den Fortbestand ihres früher erworbenen Rechts habe Vorrang.

Für die Initiative ist das kein Problem. „Durch den Wegfall der Änderung entsteht uns kein großer Nachteil – denn Ende 2026 laufen die Verträge der Stadt mit Wall und Ströer sowieso aus“, sagt El-Ghazi. Die Firma Wall und Ströer betreibt Hamburgs öffentliche Werbeanlagen.

Initiative geht nun nächsten Schritt

Die Volksinitiative wird nun voraussichtlich im April und Mai 2025 Unterschriften für das Volksbegehren sammeln – knapp 66.000 brauchen sie, um ihren Gesetzesentwurf zur Abstimmung stellen zu können. Angestrebt wird die Abstimmung parallel zur Bundestagswahl. „Ich hoffe, dass die Hamburger diese Chance nutzen“, sagt Anwalt El-Ghazi. „Denn der öffentliche Raum hat identitätsstiftende Wirkung.“

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17 Kommentare

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  • Mir reicht das noch lange nicht: Auch die Werbung in der U-Bahn ist total nervig, besonders diese Monitore, denen man sich kaum entziehen kann.

  • Eine sehr gute Idee. Immer wenn ich in Kuba bin, freue ich mich, dass dort so gut wie keine Werbung in der Öffentlichkeit zu sehen ist

  • Schön dass jemand etwas gegen den Wahnsinn macht. Welche Ressourcenverschwendung für Aufmerksamkeit! Diese Dinger gehören weltweit verboten. Die Entwicklung bleibt ja auch nicht stehen: Schon länger gibt es digitale Werbetafeln die Passanten "verfolgen". Etwa werden Bluetooth oder WLAN MAC Adressen der Handys gelesen um festzustellen, wie lange jemand nahe der Tafel ist oder wie häufig jemand vorbeikommt... Gut wenn solche Entwicklungen sich nicht mehr lohnen!



    Ich würde gerne weitergehen und zum Wohl unserer Demokratie und Umwelt jegliche personalisierte Werbung verbieten. Vor allem natürlich auf Handys. Die Vorteile wären immens.

  • Gut. Vollste Unterstützung.

    Diese Verseuchung des öffentlichen Raums mit Werbung muss aufhören.

  • Schade, so verschwinden auch die letzten positiven Bilder aus der Stadt.



    Die Werbung ist die letzte Heimat für fröhliche Familien, nette Menschen und Genussfreude am Essen.

  • Wegweisend für ganz Deutschland hoffentlich,diese Tafeln sind ein Unding , nicht nur in Hamburg

  • Werbung per Gesetz zu verbieten ist eine Idee.

    Nur wie kann ich Kultur (Museen, Indie-Konzerte, Diskussionsabende) zur Ausnahme machen, und das in einem Satz verpacken, der nicht länger als 140 Zeichen lang ist? Menschen finden kurze, knackige Sätze interessant.

    • @Troll Eulenspiegel:

      Es geht ja nicht um Werbung insgesamt, sondern nur um digitale Werbetafeln, welche mit Blinken, wackeln und tamtam die Aufmerksamkeit über Gebühr auf sich ziehen.



      Ein einfaches Plakat, welches außer Farbe und Form keine Gestaltungsmöglichkeiten hat, bleibt weiter erlaubt.



      Wer das Blinken sehen will, kann den aufgedruckten QR-Code einscannen.

  • Alleine die Attitüde, Werbung zu einem Grundrecht erklären zu wollen, weil es ein Informationsrecht der Bevölkerung gibt, ist an Zynismus nicht mehr zu überbieten. Die Informationen, welche die Bevölkerung wirklich bräuchte, werden nie auf Werbetafeln stehen, sondern auf immer in verschlossenen Schubladen in irgendwelchen Beamtenstuben in Ministerien, oder sogen. Giftschränken von Unternehmen vergammeln. Wohingegen Werbung von jeher ausschließlich gezielte einseitige Desinformation durch einen Marktteilnehmer ist, um sich (wirtschaftliche) Vorteile vor anderen Marktteilnehmern zu verschaffen.

  • Derzeit werden die unterirdischen S-Bahn Stationen in einer Weise mit digitalen Werbetafeln/Leinwänden aufgerüstet, daß es keinen Ort mehr (auf den Bahnsteigen) gibt, wo man keine Werbung zu sehen bekommt. Ähnliches deutet sich in den Zügen an.

    Nun gibt es aber Menschen, die eben keine Werbung sehen wollen..

    In einer freiheitlichen Gesellschaft muss der Grundsatz gelten:

    *die Menschen sollten eine Wahl haben*

    ...ob sie sich den Werbetafeln aussetzen wollen oder eben auch nicht. Dieser Grundsatz wird aber in HH nicht eingehalten. Und das kann man nur als Eingriff in das Informationelle Selbstbestimmungsrecht bezeichnen (oder wahlweise auch als *Konsumterror*).

    Die Initiative für ein Werbeverbot ist überfällig und es ist sehr zu hoffen, daß damit auch den Senatsvertretern ein Licht aufgeht.. Denn Werbeeinnahmen über die Bedürfnisse und Rechte der Bürger zu stellen, daß ist einer Stadt wie Hamburg einfach unwürdig..

  • Es ist doch zu ärgerlich wenn der Souverän mal außerhalb der Wahlkabine wirklich Einfluß nehmen will.



    Da muss man sich natürlich mit aller (juristischen) Gewalt gegenstemmen, nicht wahr ?

    • @Bolzkopf:

      Auch innerhalb der Regierung werden Gesetzesänderungen auf juristische Haltbarkeit geprüft. Das ist ein normales Vorgehen in einem Rechtsstaat.

      • @Herma Huhn:

        Meinen sie nicht auch, dass es einen gewissen Unterschied gibt ob man zur Prüfung das Verfasssungsgericht bemüht oder ein juristisches Gutachten im Ministerium ?

  • In Linz an der schönen Donau werden auch immer mehr von diesen Werbetafeln, wobei hier das besondere Schmankerl ist: Die aufstellende Firma ist nicht etwa aus der freien Wirtschaft oder zumindest eine der zahlreichen stadteigenen Firmen, sondern gehört über nicht wenige Umwege zur Stiftung der seit Jahrzehnten in Linz regierenden SPÖ. Besonders schön ist diese Optik nicht in meinen Augen.

  • Sehr gut. Ich freue mich auf etwas weniger digitales Bestromtes in der Stadt.

  • Ich unterstütze diese Initative.



    Weiterhin sollte die Werbung insg. unter die Lupe genommen werden.



    Gesundheitsdienliche Aussagen sind nämlich nicht erlaubt. Die Werbefuzzies wissen das genau und formulieren das so, dass es hart an der Grenze verläuft.



    "Wirkt nachweislich" zum Beispiel. - Ja was wirkt genau? Dass die Geldbörse schmaler wird, wenn ich den Mist kaufe?



    Kinder sollten völlig aus der Werbung verschwinden. Achtet mal darauf, wie oft glückliche Kinder in der Werbung auftauchen.

  • Die Stimmen gegen die Reklametafeln kommen bei der Volksbefragung locker zusammen. Was für eine Blammage vor allem für die Grünen, dennen nichts mehr heilig zu sein scheint. Einst eine kapitalismuskritsiche Partei hat sie jetzt nichts dagegen, dass der öffentliche Raum durch absolut klimaschädliche elektrische Reklametafeln verseucht wird. Bei der Bildsprache der eigenen Werbeplakte betonten die Grünen: "Menschen dürfen auch in die Kamera schauen, sofern der Blick nicht aufdringlich oder gekünstelt ist".