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Volksentscheid Enteignung in BerlinGespaltener Senat

Berlin stimmt über die Vergesellschaftung von Wohnungskonzernen ab. Der rot-rot-grüne Senat hat keine klare Haltung dazu.

360.000 Unterschriften für Enteignungen: So viele hat noch kein Volksbegehren in Berlin gesammelt Foto: Christian Mang

Berlin taz | In Berlin steht in diesem Jahr eine Super-Super-Wahl an: Wahlberechtigte stimmen am 26. September nicht nur über Bundestag und Abgeordnetenhaus ab, sondern auch noch über einen Volksentscheid. Die Kampagne Deutsche Wohnen & Co enteignen hat knapp 360.000 Unterschriften gesammelt für eine Frage, die es in sich hat: Sollen große private Wohnungsunternehmen mit mehr als 3.000 Wohnungen gegen Entschädigung vergesellschaftet werden?

Die Enteignungsforderung ist die Antwort der gut organisierten Mietenbewegung Berlins auf jahrelange Mietsteigerungen durch private Wohnungskonzerne wie die Deutsche Wohnen und Vonovia. Seit der Finanzkrise und Niedrigzinspolitik haben in vielen Ballungsräumen Konzerne Wohnraum als Investitions- und Spekulationsobjekt genutzt – mit entsprechenden sozialen Folgen.

Ein erfolgreiches Volksbegehren wäre eine Kehrtwende in der Wohnungspolitik und soll 226.000 Wohnungen renditeorientierter Konzerne in Kommunalbesitz überführen. So soll dauerhaft günstiger Wohnraum entstehen und eine sozial gemischte Innenstadt erhalten bleiben. Vorbild ist Österreichs Hauptstadt Wien, in der große Teile des Wohnraums in öffentlicher Hand und trotz Innenstadtlage durchaus erschwinglich sind.

Ob die Vergesellschaftung wohnraumpolitisch zielführend ist, darüber streitet die Stadtgesellschaft seit Kampagnenbeginn. Der rot-rot-grüne Senat des Regierenden Bürgermeisters Michael Müller (SPD) hat am Dienstag eine Stellungnahme zum Volksbegehren abgegeben, die neutral klingen soll und doch bei genauem Hinsehen etwas ablehnend ausfällt: Enteignungen wären teuer und Berlin unternehme schon viel gegen hohe Mieten, heißt es dort. Allerdings steht in dem Statement auch, dass der Wohnungsmarkt trotz aller Maßnahmen stark angespannt bleibt.

Lifehack Artikel 15 Grundgesetz

Das Für und Wider der Stellungnahme zeigt die Gespaltenheit der Landesregierung in der Enteignungsfrage: Die SPD, in Berlin traditionell nah an der Immobilienwirtschaft, lehnt Vergesellschaftung rigide ab. Die Linke befürwortet sie deutlich und diskutiert bereits Entwürfe für ein Vergesellschaftungsgesetz.

Ein etwaiges Gesetz wäre gemäß juristischer Mehrheitsmeinung zulässig

Die Grünen befürworten die Ziele nach einem Parteitagsbeschluss ebenfalls. Berlins demokratische Oppositionsparteien CDU und FDP lehnen das Volksbegehren mit ähnlichen Argumenten wie die Immo-Wirtschaft grundsätzlich ab. Die großen Gewerkschaften und Mietervereine hingegen unterstützen die Kampagne.

Weitgehend unstrittig ist in der Enteignungsfrage eigentlich nur eines: Das Ziel des Volksbegehrens – ein Gesetz zur Vergesellschaftung großer Wohnungskonzerne – ist juristisch zulässig, wie auch Berlins SPD-geführte Innenverwaltung nach langer Prüfzeit etwas zähneknirschend bestätigte.

Ein etwaiges Gesetz wäre gemäß juristischer Mehrheitsmeinung zulässig – im Gegensatz etwa zum gekippten Berliner Mietendeckel, der in Konkurrenz zur Bundesgesetzgebung stand. Der noch nie zur Anwendung gekommene Artikel 15 des Grundgesetzes ermöglicht dies gegen angemessene Entschädigung.

Was kostet der Enteignungs-Spaß?

Und hier fangen auch schon die Diskussionen an: Wie hoch müssten etwaige Entschädigungen ausfallen? Die Initiative will in einem Gesetz eine Entschädigungssumme deutlich unter Verkehrswert verankern und rechnet mit Kosten in Höhe von 8 Milliarden Euro (eine Milliarde mehr als der Flughafen BER). Man wolle die Konzerne nicht auch noch für Spekulation entlohnen, heißt es sinngemäß. Für die Kosten sollen Kredite oder Schuldverschreibungen über einen langen Zeitraum haushaltsneutral mit Einnahmen abbezahlt werden.

Der Senat geht in seinem Statement allerdings von Kosten zwischen 29 und 39 Milliarden Euro aus – gemäß der amtlichen Kostenschätzung, für die mit Marktpreisen gerechnet wurde. Das entspräche dem Jahreshaushalt Berlins und würde laut Senatsstatement den Haushalt stark belasten. Wie viel schließlich zu zahlen wäre, müsste ein etwaiges Gesetz ausformulieren. Letztlich würden wohl Gerichte über die Kosten entscheiden.

Umfragen legen nahe, dass der Ausgang des Volksentscheids offen ist. Im April befürworteten laut Infratest Dimap 47 Prozent der Ber­li­ne­r*in­nen Enteignungen, 44 Prozent waren dagegen. Die Zahl der Befürworter sei nach dem gekippten Mietendeckel deutlich gestiegen. Mittlerweile sind laut Umfrage selbst 33 Prozent der CDU-Wähler für Enteignungen.

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15 Kommentare

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  • @PAUL RABE:

    "Objektiver Wert" also. Schauen wir, was so in Art 14 GG steht:

    "(3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. [...] Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen."

    (Art. 15 bezieht sich hierzu auf Art. 14).

    Also nix mit Versteigerung. Es ist klar, dass harte Verhandlungen anstehen, aber ich ermuntere den Senat, in meinem und unserer aller Namen mit genau denselben harten Bandagen zu kämpfen, die DW & Co anlegen werden.

    Es wird Zeit, dass wir das Goldene Kalb Eigentum wieder auf seinen Platz tun. Ja, Eigentum ist ein Teil der Existenzsicherung und geniesst in unserer Gesellschaft zu Recht einen wichtigen Platz -- wenn es jedoch zur Existenzvernichtung anderer missbraucht wird, wie zunehmend der Fall ist, dann muss die Gesellschaft einschreiten.

    • @tomás zerolo:

      Welche Summen anzusetzen sind, dafür gibt es längst eine etablierte Rechtsprechung:



      Der betroffene Eigentümer bekommt einen angemessenen Ausgleich für den Verlust seines Eigentums.

      Dieser soll ihn grundsätzlich in die Lage versetzen, sich einen vergleichbaren Gegenstand zu beschaffen.

      In aller Regel wird der Eigentümer deswegen mit dem aktuellen Verkehrswert entschädigt, den sein Eigentum zum Zeitpunkt des Enteignungsbeschlusses hatte.

      Wieso sollte der Senat glauben, daß Gerichte davon plötzlich abweichen ?

      Die Feststellung des aktuellen Verkehrswertes obliegt dann einem Gutachter.

    • 8G
      83379 (Profil gelöscht)
      @tomás zerolo:

      Wird unter Marktwert enteignet hat das Auswirkungen auf die Attraktivität Deutschlands als Ort für Investitionen und die Kreditwürdigkeit Deutschlands, das sind auch Interessen der Allgemeinheit. Was da also raus kommt ist schwierig vorherzusagen, weil man diese Paragraphen in alle möglichen Richtungen interpretieren kann. Theoretisch könnte ein positives Abstimmungsergebnis trotzdem vor Gericht gekippt werden wenn die Kläger darlegen können das die Enteignung nicht dem Wohle der Allgemeinheit dient.

      Es würde den beteiligten Politikern gut tun vom schlimmsten Fall 150% Marktwert (da zum Verkauf gezwungen) auszugehen und entsprechend zu planen, alles andere ist unverantwortlich.

  • Leider fehlt in dem Beitrag ein wichtiger Aspekt: Der Schuldenberg, den Berlin ohnehin schon seit Jahren mit sich herumschleppt! Der Berliner Senat meldete:



    „Die Schulden des Landes Berlin sind im ersten Halbjahr um 3,22 Milliarden Euro gewachsen. Sie lagen Ende Juni bei 57,18 Milliarden Euro, wie das Statistische Bundesamt am 29. September 2020 mitteilte. Das entsprach einem Zuwachs von knapp sechs Prozent“ www.berlin.de/aktu...%20sechs%20Prozent.



    Das war vor 1 Jahr. Um wieviel mögen die Schulden inzwischen weitergewachsen sein? Und nun nochmal wegen Entschädigungszahlungen 8 Mrd, bzw. 29 bis 39 Mrd obendrauf? Wen kümmert’s?!



    In einer Kabarett-Aufführung vor einiger Zeit fiel der Satz: „Wenn der Betrag im Millionen-Bereich liegt, ist es eigentlich egal, ob es sich um Guthaben oder Schulden handelt“. Gilt wohl auch für Milliarden!

  • Frage das Volk nach Kuchen statt Brot und es wird Liberté, égalité, fraternité rufen.

  • Artikel 15 des Grundgesetzes ist (in Berlin) noch nie zur Anwendung gekommen? Auch nicht bei Infrastrukturbaumaßnahmen?



    Das klingt ja ziemlich unglaublich!

  • "Gespaltenheit"



    Was für eine Wortschöpfung. Spaltung.

  • Nach der Verfassung ist eine Entschädigung zu zahlen.

    Die Höhe legt natürlich nicht eine der beiden beteiligten Parteien fest (denn wenn der Empfänger der Immobilien den Preis festlegen könnte, dann könnte mit gleichem Recht auch der Abgebende den Preis willkürlich festlegen)

    Der Preis bemisst sich am objektiven Wert. Dieser wird bei Immobilien in anderen Streitfällen, z.B. bei Scheidungen, durch Versteigerungen festgestellt.

    Der Preis der dabei herauskommen würde, dürfte deutlich näher an der Schätzung der SPD liegen.

    Das wären dann viele, viele Milliarden die im Berliner Haushalt für Schulen, Straßen, Kitas, Schwimmbäder etc. etc. fehlen.

    Auch nur eine einzige zusätzliche Wohnung gäbe es auch nicht in Berlin.

    • @Paul Rabe:

      Vielleicht lesen Sie erstmal zur Sache nach und informieren sich, als wie Andere die immer gleichen alten Socken rauszukramen?



      www.dwenteignen.de/positionen/



      www.dwenteignen.de...en/entschaedigung/



      Da Sie sich ja so Gedanken um mögliche finanzielle Schwierigkeiten machen - Wie wäre es mit höherer Erbschaftssteuer, Einführung einer Vermögenssteuer? ... ;-)

    • 1G
      17900 (Profil gelöscht)
      @Paul Rabe:

      "Auch nur eine einzige zusätzliche Wohnung gäbe es auch nicht in Berlin."

      Was bitte hat das mit der Vergemeinschaftung zu tun?



      Wer privat bauen will, dem stehen die Türen doch offen.

      Die Immobilienkonzerne sind stark an der Preistreiberei und Spekulation im Bereich Wohnen beteiligt. Dem muss man Einhalt gebieten, auch wenn es erstmal Geld kostet. Auf Dauer zahlt sich das aber aus, vor allem für die Mieter!

      • @17900 (Profil gelöscht):

        "Die Immobilienkonzerne sind stark an der Preistreiberei und Spekulation im Bereich Wohnen beteiligt"

        Das stimmt so wohl nicht, denn auch in Städten wie z.B. München oder Gegenden wie Oberbayern in denen Immobilien kaum im Besitz großer Konzerne sind, steigen die Preise seit Jahrzehnten.

        Es ist das Verhältnis von Angebot zu Nachfrage

    • @Paul Rabe:

      Es kann in Berlin nur endlich gebaut werden ... und im Falle privater Bauherren erfolgt dies überwiegend hochpreisig.

      Darum ist es sinnvoll, den Anteil der Wohnungen im Einfluss der öffentlichen Hand zu vergrößern.

      Die Kreditfinanzierung und Tilgung über die Mieteinnahmen führen daneben auch nicht dazu, dass Berlin Milliarden fehlen.

      Zur Bemessung des Wertes gibt es verschiedene Ansichten, dass die Gegner dieses Vorhaben sehr teuer und die Befürworter weniger teuer darstellen, liegt in der Natur der Sache. Welche Zahlen am Ende stimmen, kann seriös keiner sagen.

      • 0G
        06792 (Profil gelöscht)
        @Pepun:

        Eigentlich kann man es sogar ziemlich seriös sagen. Es gibt bei anderen Themen wie z.B. Autobahnen, Kohle usw. ja ständig Enteignungen.

        Hier ist das Argument auch das Allgemeinwohl und es gibt über Jahrzehnte übliche Entschädigungssummen.

        Es gibt keinen Grund anzunehmen daß es in Berlin mit den Wohnungen anders ist, nur weil es dann leichter wäre oder man es gerne so hätte.

    • @Paul Rabe:

      Es geht bei der Enteignung nicht um mehr Wohnraum, sondern um bestehenden Wohnraum der bezahlbar sein soll.

    • @Paul Rabe:

      Es wäre aber der einzig richtige Schritt nach dem Verfehlungen der letzten Jahre, bei denen die meisten Wohnungen in kommunalen Besitz verkauft wurden. Das ist ja eine der Ursachen der Wohnungsnot (= für niedrigere und mittlere Einkommen bezahlbare Wohnungen). Jetzt nur mit den Kosten zu argumentieren, und dann noch unsere "armen Kinder" und Freizeitwerte, Infrastruktur und Bildung dagegen in den Ring zu werfen, ist polemisch.