Volksbefragung in Italien: Weder Sieg noch Niederlage
Vier von fünf Referenden stießen auf eindeutige Zustimmung. Nur ist das Ergebnis aufgrund der niedrigen Beteiligung nicht gültig.
W ar das nun eine „vernichtende Niederlage“ für Italiens Linke, wie die Rechtsparteien der Regierungskoalition unter Giorgia Meloni behaupten? Oder war es wenigstens ein Achtungserfolg für die Opposition, wie ihre Vertreter*innen erklären? Gleich fünf Volksabstimmungen standen am Sonntag und Montag in Italien an, vier zu Arbeitsrecht und Kündigungsschutz, eines zu schnelleren Einbürgerungen.
Und alle fünf sind – bei einer Wahlbeteiligung von 30 Prozent – an der 50-Prozent-Hürde gescheitert, die überwunden werden muss, damit das Resultat gültig wird. Daran ändern auch die fast 90 Prozent Ja-Stimmen nichts, die es bei den vier Arbeitsrechtsreferenden gab, während die Zustimmung mit 65 Prozent beim Einbürgerungsreferendum weit bescheidener ausfiel. Dennoch versucht die oppositionelle Partito Democratico (PD) sich mit Zahlenspielen über die Schlappe hinwegzutrösten.
Ihr Fraktionsvorsitzender im Senat, Francesco Boccia, rechnet vor, immerhin hätten doch rund 15 Millionen Menschen an die Urnen gefunden, und das seien schließlich mehr als die 12 Millionen, die im Jahr 2022 die Parteien der Meloni-Koalition gewählt hätten. Wahr hieran ist, dass auch die jetzt erfolgten Volksabstimmungen bewiesen haben, dass die linke Hälfte Italiens lebt – und dass sie gegenüber der Rechten konkurrenzfähig ist. Doch ein „Räumungsbescheid für die Regierung“ wird aus der Abstimmung nicht, auch wenn Boccia das behauptet.
Das Meloni-Lager hat die Linke per Aufruf nicht etwa zum Nein, sondern zur Stimmenthaltung geschickt ausgebremst, wohl wissend, dass 50 Prozent Wahlbeteiligung kaum erreicht werden können, wenn eines der politischen Lager einfach nicht mitspielt. Denn selbst bei den letzten Parlamentswahlen von 2022 lag die Beteiligung bei nicht einmal 64 Prozent – und da waren alle Parteien am Start, anders als jetzt bei den Volksabstimmungen.

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Die Opposition ist gestärkt
Umgekehrt wird aus dem Scheitern der Referenden auch nicht die krachende Niederlage der Linken, die jetzt Melonis Rechtskoalition lautstark feiert. Ihr eigenes Wahlvolk mobilisierten die Oppositionsparteien ja durchaus; Millionen Menschen gingen an die Urnen, obwohl den meisten von ihnen bewusst war, wie gering die Chancen standen, das 50-Prozent-Quorum zu erreichen.
Und schon die Tatsache, dass die drei wichtigsten Parteien des progressiven Lagers – die PD, die Fünf Sterne, die radikal linke Alleanza Verdi e Sinistra (AVS -Grün-linke Allianz) – Seite an Seite in der Referendumskampagne agierten, hat den Zusammenhalt der Oppositionskräfte weiter gestärkt. Giorgia Meloni kann sich jetzt zwar erst einmal zurücklehnen – doch sie weiß, dass diese Opposition ihr in Zukunft durchaus gefährlich werden kann.
Nein, dieses Referendum sah weder einen klaren Sieger noch einen klaren Verlierer. Eher schon war es ein torloses Unentschieden, das für die Zukunft alles offenlässt.
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