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Volksbefragung in ItalienWeder Sieg noch Niederlage

Michael Braun
Kommentar von Michael Braun

Vier von fünf Referenden stießen auf eindeutige Zustimmung. Nur ist das Ergebnis aufgrund der niedrigen Beteiligung nicht gültig.

Auszählung der Stimmen nach dem Referendum in Italien Foto: Maurizio Maule/dpa

W ar das nun eine „vernichtende Niederlage“ für Italiens Linke, wie die Rechtsparteien der Regierungskoalition unter Giorgia Meloni behaupten? Oder war es wenigstens ein Achtungserfolg für die Opposition, wie ihre Ver­tre­te­r*in­nen erklären? Gleich fünf Volksabstimmungen standen am Sonntag und Montag in Italien an, vier zu Arbeitsrecht und Kündigungsschutz, eines zu schnelleren Einbürgerungen.

Und alle fünf sind – bei einer Wahlbeteiligung von 30 Prozent – an der 50-Prozent-Hürde gescheitert, die überwunden werden muss, damit das Resultat gültig wird. Daran ändern auch die fast 90 Prozent Ja-Stimmen nichts, die es bei den vier Arbeitsrechtsreferenden gab, während die Zustimmung mit 65­ Prozent beim Einbürgerungsreferendum weit bescheidener ausfiel. Dennoch versucht die oppositionelle Partito Democratico (PD) sich mit Zahlenspielen über die Schlappe hinwegzutrösten.

Ihr Fraktionsvorsitzender im Senat, Francesco Boccia, rechnet vor, immerhin hätten doch rund 15 Millionen Menschen an die Urnen gefunden, und das seien schließlich mehr als die 12 Millionen, die im Jahr 2022 die Parteien der Meloni-Koalition gewählt hätten. Wahr hieran ist, dass auch die jetzt erfolgten Volksabstimmungen bewiesen haben, dass die linke Hälfte Italiens lebt – und dass sie gegenüber der Rechten konkurrenzfähig ist. Doch ein „Räumungsbescheid für die Regierung“ wird aus der Abstimmung nicht, auch wenn Boccia das behauptet.

Das Meloni-Lager hat die Linke per Aufruf nicht etwa zum Nein, sondern zur Stimmenthaltung geschickt ausgebremst, wohl wissend, dass 50 Prozent Wahlbeteiligung kaum erreicht werden können, wenn eines der politischen Lager einfach nicht mitspielt. Denn selbst bei den letzten Parlamentswahlen von 2022 lag die Beteiligung bei nicht einmal 64 Prozent – und da waren alle Parteien am Start, anders als jetzt bei den Volksabstimmungen.

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Die Opposition ist gestärkt

Umgekehrt wird aus dem Scheitern der Referenden auch nicht die krachende Niederlage der Linken, die jetzt Melonis Rechtskoalition lautstark feiert. Ihr eigenes Wahlvolk mobilisierten die Oppositionsparteien ja durchaus; Millionen Menschen gingen an die Urnen, obwohl den meisten von ihnen bewusst war, wie gering die Chancen standen, das 50-Prozent-Quorum zu erreichen.

Und schon die Tatsache, dass die drei wichtigsten Parteien des progressiven Lagers – die PD, die Fünf Sterne, die radikal linke Alleanza Verdi e Sinistra (AVS -Grün-linke Allianz) – Seite an Seite in der Referendumskampagne agierten, hat den Zusammenhalt der Oppositionskräfte weiter gestärkt. Giorgia Meloni kann sich jetzt zwar erst einmal zurücklehnen – doch sie weiß, dass diese Opposition ihr in Zukunft durchaus gefährlich werden kann.

Nein, dieses Referendum sah weder einen klaren Sieger noch einen klaren Verlierer. Eher schon war es ein torloses Unentschieden, das für die Zukunft alles offenlässt.

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Michael Braun
Auslandskorrespondent Italien
Promovierter Politologe, 1985-1995 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Unis Duisburg und Essen, seit 1996 als Journalist in Rom, seit 2000 taz-Korrespondent, daneben tätig für deutsche Rundfunkanstalten, das italienische Wochenmagazin „Internazionale“ und als Wissenschaftlicher Mitarbeiter für das Büro Rom der Friedrich-Ebert-Stiftung.
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8 Kommentare

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  • Ein Fernbleiben vom Referendum war also effektiver, als dort mit 'nein' zu stimmen, denn letzteres hätte dazu führen können, dass das Quorum erreicht worden wäre.

  • Obwohl möglicherweise nur das linke Lager in die Wahllokale gegangen ist, kam die Einwanderungsinitiative nur auf 65 Prozent, das sind noch nicht mal 20 Prozent der Wahlberechtigten.

    Wenn das keine krachende und peinliche Niederlage ist, wie soll man dann Niederlage überhaupt definieren ?

  • Natürlich ist das eine eindeutige Niederlage für die Oppositionsparteien, Meloni hatte ja zur Nicht-Beteiligung aufgerufen und die hat mehrheitlich gewonnen. Man kann sich auch immer alles irgendwie zurechtlegen.

  • Also in konkreten Fall muss man sich das Ergebnis nicht schönreden. Wenn zu wenig Leute zugestimmt haben, ist es eine Niederlage. Punkt.



    Wenn sich eher sehr rechts drehende Menschen von Fr. Meloni zur Nichtteilnahme überreden ließen, obwohl ihnen der Kündigungsschutz im Ernstfall nützen würde, ist das (rechts-) extreme Dummheit.



    Das Ergebnis insgesamt zeigt mir aber, warum man sogenannte Volksabstimmungen über einzelne politische Fragen eher skeptisch sehen sollte. Meist beteiligen sich nur diejenigen, die unmittelbar betroffen (im Guten oder Schlechten) sind. Oft gibt es aber Folgen, die mittelfristig und weiträumig wirken.



    Das Für und Wider von (hier Kündigungsschutz) Abstimmungsfragen bzw. einzelne Aspekte davon können gar nicht ausführlich berücksichtigt, gewichtet oder diskutiert werden.



    Dort, wo Abstimmungen lokal begrenzt werden, sind ggf. ganze Gruppen von Betroffenen ausgeschlossen (oder Nichtbetroffene abstimmungsberechtigt).



    Oder Abstimmungen werden ideologisch "okkupiert".



    u.s.w.

  • Wo ist da eine eindeutige Zustimmung! Die Mehrheit ist dagegen wenn die Mehrheit nicht abgestimmt hat plus die dagegen sind. Es ist wie bei dem Bürgerentscheid in Berlin zur Klimaneutralität eine krachende Niederlage für die Organisatoren. Für Menschen die die direkte Demokratie wollen um ihre Interessen durchzusetzen weil es ja was gutes sein soll, zeigt das auch für gewisse Ziele die direkte Demokratie nicht zum gewünschten Erfolg beitragen kann

  • Wenn es ein Quorum der Wahlbeteiligung gibt, damit der Volksentscheid gültig ist, dann ist es logisch, dass diejenigen, die die Frage ablehnen, gar nicht abstimmen statt mit "nein".

  • 3G
    34783 (Profil gelöscht)

    "Vier von fünf Referenden stießen auf eindeutige Zustimmung. Nur ist das Ergebnis aufgrund der niedrigen Beteiligung nicht gültig. "

    Das ist doch völlig unlogisch mit der eindeutigen Zustimmung wenn mehr als die Hälfte der Wahlberechtigten nicht zustimmt. Die die zugestimmt haben , haben ja auch nicht zu 100 % zugestimmt.Nur 29% sind überhaupt zur Abstimmung gekommen , eindeutige Zustimmung sieht anders aus !

    • @34783 (Profil gelöscht):

      Jeder interpretiert Zahlen und Sttistiken ja so, wie es im in den "politischen Kram" passt. Auch hier. Und: Das ist auch in Ordnung. Wichtig nur, dass alle Zahlen und Fakten transparent auf den Tisch kommen. Das ist hier im Artikel geschehen. Also: Alles richtig gemacht.