Volksbefragung in Italien: Ein wertloser Sieg
Bei fünf Referenden überwiegen die Ja-Stimmen. Die Mindestbeteiligung von 50 Prozent der Wähler*innen wird verfehlt. Die Meloni-Regierung triumphiert.

Bei allen fünf Fragen lagen am Ende die Ja-Stimmen klar vorn – doch es war ein wertloser Sieg. Denn nur gut 30 Prozent der Stimmberechtigten hatten an die Urnen gefunden, weit weniger als die 50 Prozent, die laut Gesetz für die Gültigkeit eines Referendums erforderlich sind.
Die vier Volksabstimmungen zum Schutz der Arbeitnehmer*innen hatte Italiens größter Gewerkschaftsbund, die traditionell linksorientierte CGIL, vorangetrieben. Dabei ging es um die Abschaffung von Reformgesetzen, die vor zehn Jahren die gemäßigt linke Partito Democratico unter dem damaligen Ministerpräsidenten Matteo Renzi durchgesetzt hatte.
So wurde den Arbeitsgerichten vorgeschrieben, auch bei ungerechtfertigten Kündigungen nicht die Rückkehr des oder der Beschäftigten an den Arbeitsplatz anzuordnen, sondern das Verfahren mit einer Entschädigungszahlung abzuschließen. Zudem wurden für Kleinunternehmen mit bis zu 15 Beschäftigten die Entschädigungszahlungen auf maximal sechs Monatsgehälter begrenzt.
Neuregelung für Arbeitsunfälle
Beide Normen wollte die CGIL schleifen, ebenso wie die Möglichkeit, Zeitverträge mit bis zu zwölf Monaten Dauer auch sachgrundlos abschließen zu können. Zudem wollte der Gewerkschaftsbund eine Neuregelung für Arbeitsunfälle, bei denen Beschäftigte eines Subunternehmens zu Schaden kommen.
Wäre es nach der CGIL gegangen, sollte in diesen Fällen nicht nur das Subunternehmen, sondern auch das Hauptunternehmen, das den Auftrag erteilt hatte, in Haftung genommen werden können. Diese Frage ist zum Beispiel auf Großbaustellen von Bedeutung.
Das fünfte Referendum dagegen, betrieben von der kleinen Bürgerrechtspartei +Europa, zielte darauf ab, in Italien lebenden Nicht-EU-Bürger*innen die Einbürgerung schon nach fünf statt wie bisher nach frühestens zehn Jahren zu ermöglichen. Die übrigen Kriterien für die Bewilligung des Antrags – keine Vorstrafen, ein sicheres Auskommen, Grundkenntnisse in Italienisch – sollten unverändert bleiben.
Die wichtigsten Oppositionsparteien – die PD unter der seit gut zwei Jahren amtierenden Vorsitzenden Elly Schlein, die radikal linke Alleanza Verdi e sinistra (AVS – Links-grüne Alllianz) und das Movimento5Stelle (M5S – 5-Sterne-Bewegung) – engagierten sich an der Seite der CGIL aktiv in der Kampagne. Doch nur die PD und die AVS trommelten für „Fünfmal Ja“, während die Fünf Sterne zwar die Referenden zum Arbeitsrecht unterstützten, zur Staatsbürgerschaft aber keine Empfehlung abgaben.
Sinkende Partizipation
Die die Regierung unter Giorgia Meloni tragenden Rechtsparteien dagegen hatten eine Empfehlung der eigenen Art: Sie forderten die Bürger*innen auf, gleich gar nicht abstimmen zu gehen. Sinnlos sei die Volksabstimmung, erklärten sie unisono – in der Hoffnung, dass bei seit Jahren sinkender Partizipation des Wahlvolks eine Enthaltung der Anhängerschaft der Rechten die Erreichung des Quorums so gut wie unmöglich machen würde. Die Hoffnung war begründet: Bei den Parlamentswahlen von 2022 hatte die Wahlbeteiligung bei nur knapp 64 Prozent und bei den Europawahlen 2024 nur gut 48 Prozent betragen.
Die Rechnung ging auf. Schon unmittelbar nach Schließung der Wahllokale feierte sich die Meloni-Koalition als Siegerin einer Abstimmung, an der sie gar nicht teilgenommen hatte. „Ihr habt verloren“, kommentierte Melonis Partei Fratelli d’Italia (FdI) in Posts auf Social Media. Der Staatssekretär im Amt der Ministerpräsidentin Giovanbattista Fazzolari resümierte, die Regierung gehe „weiter gestärkt“, die Opposition „weiter geschwächt“ aus dem Votum hervor.
Schon in den Vortagen hatte dagegen die PD die Durchhalteparole ausgegeben, schon eine Wahlbeteiligung von 30 Prozent sei doch wenigstens ein moralischer Erfolg. Wenn mehr als 12 Millionen Stimmen abgegeben würden und damit die Zahl der Stimmen für die Rechtsparteien bei den letzten Parlamentswahlen von 2022 übertroffen würde, sei das „ein Räumungsbescheid für die Regierung“, hatte der PD-Fraktionsvorsitzende im Senat Francesco Boccia gar erklärt.
Die zwölf Millionen dürften in der Tat überschritten werden, doch die Regierung sitzt so fest im Sattel wie zuvor. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die Ja-Stimmen bei den vier Referenden zum Arbeitsrecht zwischen 87 und 89 Prozent liegen. Gedanken muss sich Italiens Linke auch darüber machen, dass eine beschleunigte Einbürgerung auch unter ihren Anhänger*innen weit weniger Zustimmung genießt. In dieser Frage gab es nur rund 65 Prozent Ja-Stimmen.
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