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Volksbefragung in ItalienEin wertloser Sieg

Bei fünf Referenden überwiegen die Ja-Stimmen. Die Mindestbeteiligung von 50 Prozent der Wäh­le­r*in­nen wird verfehlt. Die Meloni-Regierung triumphiert.

Der Aufruf zum Boykott der Volksabstimmungen war erfolgreich: Ministerpräsidentin Giorgia Meloni Foto: LaPresse/AP

Rom taz | Zu gleich fünf Volksabstimmungen waren am Sonntag und Montag die Ita­lie­ne­r*in­nen aufgerufen. Vier von ihnen betrafen die Arbeitswelt, vorneweg Fragen des Kündigungsschutzes, während das fünfte Referendum die Frist für Einbürgerungen von Mi­gran­t*in­nen verkürzen wollte.

Bei allen fünf Fragen lagen am Ende die Ja-Stimmen klar vorn – doch es war ein wertloser Sieg. Denn nur gut 30 Prozent der Stimmberechtigten hatten an die Urnen gefunden, weit weniger als die 50 Prozent, die laut Gesetz für die Gültigkeit eines Referendums erforderlich sind.

Die vier Volksabstimmungen zum Schutz der Ar­beit­neh­me­r*in­nen hatte Italiens größter Gewerkschaftsbund, die traditionell linksorientierte CGIL, vorangetrieben. Dabei ging es um die Abschaffung von Reformgesetzen, die vor zehn Jahren die gemäßigt linke Partito Democratico unter dem damaligen Ministerpräsidenten Matteo Renzi durchgesetzt hatte.

So wurde den Arbeitsgerichten vorgeschrieben, auch bei ungerechtfertigten Kündigungen nicht die Rückkehr des oder der Beschäftigten an den Arbeitsplatz anzuordnen, sondern das Verfahren mit einer Entschädigungszahlung abzuschließen. Zudem wurden für Kleinunternehmen mit bis zu 15 Beschäftigten die Entschädigungszahlungen auf maximal sechs Monatsgehälter begrenzt.

Neuregelung für Arbeitsunfälle

Beide Normen wollte die CGIL schleifen, ebenso wie die Möglichkeit, Zeitverträge mit bis zu zwölf Monaten Dauer auch sachgrundlos abschließen zu können. Zudem wollte der Gewerkschaftsbund eine Neuregelung für Arbeitsunfälle, bei denen Beschäftigte eines Subunternehmens zu Schaden kommen.

Wäre es nach der CGIL gegangen, sollte in diesen Fällen nicht nur das Subunternehmen, sondern auch das Hauptunternehmen, das den Auftrag erteilt hatte, in Haftung genommen werden können. Diese Frage ist zum Beispiel auf Großbaustellen von Bedeutung.

Das fünfte Referendum dagegen, betrieben von der kleinen Bürgerrechtspartei +Europa, zielte darauf ab, in Italien lebenden Nicht-EU-Bürger*innen die Einbürgerung schon nach fünf statt wie bisher nach frühestens zehn Jahren zu ermöglichen. Die übrigen Kriterien für die Bewilligung des Antrags – keine Vorstrafen, ein sicheres Auskommen, Grundkenntnisse in Italienisch – sollten unverändert bleiben.

Die wichtigsten Oppositionsparteien – die PD unter der seit gut zwei Jahren amtierenden Vorsitzenden Elly Schlein, die radikal linke Alleanza Verdi e sinistra (AVS – Links-grüne Alllianz) und das Movimento5Stelle (M5S – 5-Sterne-Bewegung) – engagierten sich an der Seite der CGIL aktiv in der Kampagne. Doch nur die PD und die AVS trommelten für „Fünfmal Ja“, während die Fünf Sterne zwar die Referenden zum Arbeitsrecht unterstützten, zur Staatsbürgerschaft aber keine Empfehlung abgaben.

Sinkende Partizipation

Die die Regierung unter Giorgia Meloni tragenden Rechtsparteien dagegen hatten eine Empfehlung der eigenen Art: Sie forderten die Bür­ge­r*in­nen auf, gleich gar nicht abstimmen zu gehen. Sinnlos sei die Volksabstimmung, erklärten sie unisono – in der Hoffnung, dass bei seit Jahren sinkender Partizipation des Wahlvolks eine Enthaltung der Anhängerschaft der Rechten die Erreichung des Quorums so gut wie unmöglich machen würde. Die Hoffnung war begründet: Bei den Parlamentswahlen von 2022 hatte die Wahlbeteiligung bei nur knapp 64 Prozent und bei den Europawahlen 2024 nur gut 48 Prozent betragen.

Die Rechnung ging auf. Schon unmittelbar nach Schließung der Wahllokale feierte sich die Meloni-Koalition als Siegerin einer Abstimmung, an der sie gar nicht teilgenommen hatte. „Ihr habt verloren“, kommentierte Melonis Partei Fratelli d’Italia (FdI) in Posts auf Social Media. Der Staatssekretär im Amt der Ministerpräsidentin Giovanbattista Fazzolari resümierte, die Regierung gehe „weiter gestärkt“, die Opposition „weiter geschwächt“ aus dem Votum hervor.

Schon in den Vortagen hatte dagegen die PD die Durchhalteparole ausgegeben, schon eine Wahlbeteiligung von 30 Prozent sei doch wenigstens ein moralischer Erfolg. Wenn mehr als 12 Millionen Stimmen abgegeben würden und damit die Zahl der Stimmen für die Rechtsparteien bei den letzten Parlamentswahlen von 2022 übertroffen würde, sei das „ein Räumungsbescheid für die Regierung“, hatte der PD-Fraktionsvorsitzende im Senat Francesco Boccia gar erklärt.

Die zwölf Millionen dürften in der Tat überschritten werden, doch die Regierung sitzt so fest im Sattel wie zuvor. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die Ja-Stimmen bei den vier Referenden zum Arbeitsrecht zwischen 87 und 89 Prozent liegen. Gedanken muss sich Italiens Linke auch darüber machen, dass eine beschleunigte Einbürgerung auch unter ihren An­hän­ge­r*in­nen weit weniger Zustimmung genießt. In dieser Frage gab es nur rund 65 Prozent Ja-Stimmen.

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6 Kommentare

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  • Einen Sieg zu proklamieren wenn 70% ihre Stimme erst gar nicht abgegeben haben ist schon ziemlich wild...🤨



    Wer dagegen war musste einfach nur nicht hingehen - eben wegen der 50% Regel 🤷‍♂️



    Insofern kann man ziemlich sicher sagen, dass der allergrößte Teil der Nichtwähler dagegen war.

  • Die größte Verbündete des Faschismus ist die politische Gleichgültigkeit.



    Den Italienern ist es scheinbar egal, dass ihnen Meloni und Partner das Fell über die Ohren ziehen wollen.

    • @Abdurchdiemitte:

      Mit der Verallgemeinerung wäre ich vorsichtig.

      Die AfD hat ihre Wähler zu einem nicht unerheblichen Teil aus dem Reservoir der Nichtwähler gewonnen.

      Man könnte folglich behaupten, die AfD habe diese Wähler aus der Gleichgültigkeit gerissen, auf diese Weise etwas für die Demokratie getan und so Faschismus verhindert.

      Ich glaube, das würde nicht jeder so betrachten...

      • @rero:

        Na ja, ich denke, Sie kennen meine Einstellung gut genug, um zu wissen, wie ich meinen Post gemeint habe.



        Was ist denn jenen aus der Gleichgültigkeit „gerissenen“ Wählern der AfD wichtiger als ihr eigener Bauch? Rechtsstaatlichkeit? Nur, wenn es um die eigenen Rechte und Interessen geht. Menschenrechte? Wenn überhaupt, nur für das eigene Volk … sollen die anderen doch verrecken. Freiheit? Auch hier wieder: was zählt, ist die (eigene) Freiheit, zu tun oder zu lassen, was man selbst für richtig hält, ohne Rücksicht aufs Gemeinwohl (siehe Corona-Debatte). Demokratie: ist das Kunst oder kann das weg?



        In schlechten Momenten denke ich, jene Zeitgenossen sollten tatsächlich lieber zu Hause bleiben statt zur Wahlurne zu schreiten.

    • @Abdurchdiemitte:

      Naja...allen Nichtwählern ist es wohl nicht "egal" sondern haben eine Meinung. Die ist eben die Ablehnung dieser Vorschläge, die kann man eben auch zeigen in dem man eben nicht mal dazu wählen geht. Aber das macht ja eine Demokratie aus. Die Mehrheit ist scheinbar nicht für die Änderungen, sonst hätten mehr Leute gewählt und vor allem dafür. Besser/ direkter als eine Volksabstimmung geht Demokratie ja garnicht.

  • Der beste Garant für Vollbeschäftigung ist ein liberales Arbeitsrecht - siehe Schweiz.