Völkische Siedler feiern Hochzeit: Antimodern und rechtsextrem
Im niedersächsischen Masendorf feierten völkische Siedler eine „Eheleite“. Die Rituale sind im Nationalsozialismus verwurzelt.
Das Eingangstor bewachen wechselnde junge Männer, bekleidet mit Trachten und altmodischen Hüten. Auch Masken tragen sie – anzunehmen ist, dass das aus Gründen der Vermummung geschieht, nicht aus Sorge vor Corona. Nicht-Eingeladene werden fotografiert. Einer der Türsteher hat sich eine schwarze Sturmhaube aufgesetzt, ein martialischer, verstörender Anblick. Über ein Schleusensystem kommen viele der mehr als 100 Freunde und Verwandten aufs Gelände, ihre Autos sind am benachbarten Oldenstädter See geparkt. Alles scheint durchorganisiert.
Stolz erzählt die überregional bekannte NPD-Frau Edda Schmidt schon mal, „sie alle“, also ihre ganze Familie, sei im „nationalen Lager“. Dieser Tage nun, am ersten Wochenende im Juli, heiratete ihre Enkelin, sozialisiert nicht zuletzt im rechtsextremen „Sturmvogel“, den die Großmutter mitgegründet hat. Nach einem Interview gefragt, antwortete der junge Bräutigam, da müsse er erst den „Beauftragten für Sicherheit“ fragen.
Die Feierlichkeiten dauerten von Freitag bis Montag. Durchweg trugen die Hochzeitsgäste volkstümliche Kleidung. Diese oberflächlich antimoderne Ausrichtung korrespondiert in diesen Kreisen mit inneren Werten: Hier glaubt man an traditionelle familiäre Ordnung und völkisch-nationalistische Identität.
Regelmäßige Treffen
Zusammen mit anderen verließ Edda Schmidt einst die militante Wiking-Jugend (WJ) und gründete 1987 den Sturmvogel. „Eine radikale Abspaltung“, sagte der Rechtsextremismusexperte Gideon Botsch, der am Potsdamer Moses-Mendelssohn-Zentrum zur „bündischen Jugend“ forscht. Kontakte zur – 1994 verbotenen – WJ blieben bestehen, ebenso zur inzwischen ebenfalls verbotenen Heimattreuen Deutschen Jugend (HDJ). Laut seinem Gründungsflugblatt will der Sturmvogel per Jugendarbeit ein „Vorleben“ vermitteln, das gegen den „Ungeist“ aufbegehrt, „der unser Volk derzeit jeden Atemzug verpestet“. Als „volkstreu eingestellte Deutsche“ wollen die Mitglieder leben – und am Ende auch gesellschaftliche Veränderung bewirken.
Zu Pfingsten, während des Coronalockdowns, trafen sich in Masendorf, versteckt im Wald, rund 50 Menschen zu einem Sturmvogel-Pfingstlager. Seit Jahren bereits finden in der Region Uelzen Treffen mit solchem rechten Hintergrund statt – mal ein Volkstanz, mal ein Jugendlager und jetzt eine sogenannte „Eheleite“: eine Hochzeitszeremonie ausdrücklich nach heidnischer Tradition. Hier geht es aber noch um mehr: Man heiratet untereinander, alle Gäste kommen aus rechtsbündischen Kreisen, der Identitären Bewegung oder besuchen „Querdenken“-Veranstaltungen.
Am ersten Juli-Freitagnachmittag ließen sich Brautvater, Braut und Bräutigam in einer geschmückten Kutsche von zwei Pferden zu einem Eichenhain ziehen. Ein großer Kreis war gemäht worden, geschmückt mit bunten Rosenblättern. Bei der erklärtermaßen heidnischen Zeremonie gibt sich hier, in der Natur und unter Anverwandten und Vertrauten, das Paar das „Ja“ zum Lebensbund.
In der Region im Landkreis Uelzen sind völkische Familien seit Jahrzehnten aktiv, bringen sich auch ins Gemeinde- und Vereinsleben ein. Nicht ohne politische Zeichen zu setzen. Im Sturmvogel herrscht strenge Hierarchie, „Gegenstück zu den Pimpfen sind die Führer“, heißt es. Einer der Brüder der Braut wurde Anfang Februar auffällig: Beim digitalen Homeschooling an einem Uelzener Gymnasium hatte er als Profilbild die schwarz-weiß-rote Fahne des Deutschen Reichs gewählt.
Jetzt störte sich einer der Hochzeitsgäste an unerwünschten Beobachtern. Mit dem Auto fuhr der Mann laut hupend direkt auf den Wagen von Olaf Meyer zu; lenkte ein, kam zurück, schimpfte und filmte. Meyer ist Sprecher der Antifaschistischen Aktion Lüneburg/Uelzen und klärt seit Jahren über Aktivitäten der rechten Szene in der Heide auf – und also auch über solche vermeintlich rein privaten Feiern. „Hier wird Ideologie nicht nur gelebt, sondern auch von Generation zu Generation weitergegeben“, sagt er. Den politischen Kontext versuchten die Familien zu verschleiern, sprächen lieber von „alten Traditionen“. Doch diese Traditionen stünden im engen Bezug zum historischen Nationalsozialismus und dessen völkischen Vorläufern, sagt Meyer.
Ist der Schleier erst gelüftet, sind die Nachbarn mit der altmodischen Kleidung nicht mehr nur die vielleicht etwas komischen Netten von Nebenan. Was Schmidt und ihre Familie angeht, so sind die rund 140 Einwohner des Ortes uneins. Den einen machen die jungen Männer, die nachts mit Taschenlampen umherschleichen, durchaus Sorgen. Andere glauben, Lieder gehört zu haben, die ihnen Kopfzerbrechen bereiten.
Vor rechtsextremen Siedlern und dem Sturmvogel warnt inzwischen Niedersachsens Verfassungsschutz, auch Innenminister Boris Pistorius (SPD) erkannte schon, dass Radikalisierung von den völkischen Siedlern ausgehen kann – und doch erwerben diese etwa Waffenscheine, mischen sich unter die Jägerschaft.
„Zulasser, Dulder und Kritiker“
Darüber wird in Masendorf und Umgebung nur leise gesprochen. „Die Graswurzelarbeit trägt Früchte“, sagt Martin Raabe von der „Gruppe beherzt“, die Präventionsarbeit zum Thema leistet. Er und seine Mitstreiter waren Anfang Juli selbst vor Ort, um sich ein Bild zu machen, aber auch ansprechbar zu sein. „Etwa einem Drittel im Dorf ist das offen gezeigte völkische Leben suspekt“, sagt er.
Die Einwohnerschaft habe sich geteilt in „Zulasser, Dulder und Kritiker“, sagt Raabe. „Sie sind gegen Märsche von uniformen Gruppen und vor allem den Geist, der hier wieder entsteht.“ Er verweist auf die Funktion selbsternannter nationalistischer Widerstandsnester: „Vor Ort zeigen sie keinen besonderen missionarischen Eifer, oder im direkten beruflichen Umfeld. Im Gegenteil wird hier die Gesinnung verdeckt. Aber eine Distanzierung findet auch nicht statt.“
Wie nebenher geht es offenbar auch um eine Diskursverschiebung, um das Erringen von Meinungshoheit im Dorf und um Akzeptanz im vorpolitischen Raum. Nachdem man bis zum Morgengrauen in der großen Scheune gefeiert hatte, die Wachen abgezogen waren und auch der einzelne Polizeiwagen im Ortskern weggefahren war, gingen die Brautmutter und das junge Paar am Sonntag von Haus zu Haus – um einen Teil der Nachbarschaft einzuladen zum „Reste-Kuchenessen“. Etwa ein Drittel erschien an der Kaffeetafel, begleitet von Hausmusik und Ansprache des Hausherrn. Der nahm in der Vergangenheit an rechtsextremen Aufmärschen teil und versuchte – per Abmahnungen und Klagen – kritische Stimmen zu unterdrücken.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen