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Viktor Orbán in KyjiwSelenskyjs Balanceakt

Kommentar von Barbara Oertel

Ungarns Regierungschef und Putin-Freund Orbán stattet der Ukraine einen Besuch ab. Das verwundert. Und für Selenskyj könnte es schwierig werden.

Der ukrainische Präsident Volodymyr Zelenskyy (r) begrüßt den ungarischen Premierminister Viktor Orban in Kiew, am 2. Juli 2024 Foto: Zoltan Fischer/Hungarian PM's Press Office/ap

I mmerhin: Knapp zweieinhalb Jahre nach dem Beginn von Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine hat endlich auch Ungarns Regierungschef Viktor Orbán den Weg nach Kyjiw gefunden. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj dürfte diesem seit Monaten vorbereiteten Treffen eher gänsehäutig entgegengeblickt haben – wie auch dem Umstand, dass Budapest am 1. Juli für ein halbes Jahr die EU-Ratspräsidentschaft übernommen hat. Schließlich gilt Orbán im Brüsseler Klub als kremlfreundlichster Ministerpräsident. Bislang hat er keine Gelegenheit ausgelassen, um gegen die Ukraine vorzugehen.

Kurz nach seinem Sieg bei der Parlamentswahl im April 2022 verbreitete Orbán das Verschwörungsnarrativ, Selenskyj habe die ungarische Opposition unterstützt. Mehrfach verzögerte oder blockierte Budapest Finanz- und Militärhilfen für die Ukraine und versuchte, Sanktionen gegen Moskau zu verhindern. Die Zahlung von 1,4 Milliarden Euro an Kyjiw aus stillgelegten russischen Vermögenswerten konnte die EU in der vergangenen Woche nur genehmigen, indem sie auf einen juristischen Trick zurückgriff, um Ungarns Veto zu umgehen.

Auch an Provokationen mangelte es nicht – so geschehen im Herbst 2022 bei einem Fußballspiel in Budapest. Orbán zeigte sich mit einem Schal, auf dem die Umrisse Ungarns vor 1920 abgebildet waren – ein Teil der Gebiete gehört heute zur Ukraine. Die Botschaft dieser Geste dürfte auch an diesem Dienstag die Tagesordnung in Kyjiw bestimmen: Orbán wird versuchen, bei den Rechten für die ungarische Minderheit in der Ukraine das Maximum herauszuholen. Wie Wladimir Putin geriert auch er sich als Beschützer seiner Landsleute, die außerhalb Ungarns leben.

Bliebe das Thema „Frieden“. Ginge es nach Orbán, müsste sich Kyjiw sofort an den Verhandlungstisch begeben – zu Moskaus Bedingungen. Wohl wissend, dass diese Position durch einen Wahlsieg der Rechten in Frankreich gestärkt würde, käme ein Nachgeben für Selenskyj einem politischen Selbstmord gleich. Es geht also um einen heiklen Balanceakt. Ob und wie Selenskyj ihn meistert, wird sich zeigen.

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Ressortleiterin Ausland
Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.
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8 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Alles das zeigt doch wohl, wie sehr Orbán das Prinzip der Täter-Opfer-Umkehr bereits verinnerlicht hat.



    Da fordert er von der Ukraine eine Waffenruhe, nicht aber vom Aggressor Russland. Wäre es nicht logischer gewesen, zuerst von Russland zu fordern, die Waffen ruhen zu lassen? Oder besser, die eigenen Truppen aus der Ukraine abzuziehen? Wodurch dann alle aus aus dem Krieg folgenden Probleme gelöst wären!



    Naja, fast alle. Bei den von Orbán ebenfalls geforderten Verhandlungen müsste dann „nur“ noch die Rückführung der nach Russland entführten ukrainischen Kinder geklärt werden. Sowie die Reparationsfrage: Es kann doch nicht sein, dass die EU für die von Russland in der Ukraine angerichteten Schäden von hunderten Milliarden Euro aufkommt!



    Was hat eigentlich Orbán von seiner Nibelungentreue zu Russland? Vielleicht hofft er, dass Putin ihm nach dem Sieg über die Ukraine die von Ungarn besiedelten Gebiete „großzügig“ überlässt!

    • @Pfanni:

      Nun, zu Täter und Opfer hat ein Oberst a.D. einen klugen Spruch gesagt:



      "Es ist keine gute Inschrift, wenn auf dem Grabstein steht: Wir hatten Recht".



      Orban ist Realpolitiker. Er muss schauen, wo die Schnittmenge von "Wünschenswert" und "Realistisch erreichbar" ist. Er weiß, dass Putin das nicht einfach abziehen wird, nur weil das irgendwer fordert.



      Und er weiß, dass die Zeit nicht für die Ukraine arbeitet (Mangel an Soldaten). Daher wird sich die Position der Ukraine tendenziell eher verschlechtern.



      Was wäre daher realistisch betrachtet ein wünschenswertes und ein machbares Ziel? Gespräche, mit dem Ziel, Leben zu retten und die Position der Ukraine nicht noch weiter zu schwächen.



      Putin hat dies öffentlich gesagt, dass er bereit wäre (unter Bedingungen). Gut, ein Realist weiß, dass die Forderungen, mit denen man in Verhandlungen geht, nicht die sind, die am Ende übrig bleiben.

    • @Pfanni:

      Orban ist nur auf seinen Vorteil bedacht. Er möchte weiterhin günstig Rohstoffe aus Russland beziehen und lässt sich von der EU dafür bezahlen, dass er nicht alles bzgl Urkaineunterstützung blockiert. Auch weiß er, dass er nochmal wichtig werden kann für den Westen, wenn irgendwann Verhandlungen aufgenommen werden.



      Es gibt also leider wenig Anlass warum Orban seine Politik ändern sollte.

  • Sehr befremdlich und unverständlich, dass sich Orbans Appell bzgl Waffenruhe nur an Selenski richtet. Da Orban einer der wenigen europäischen Politiker ist, die noch einen Draht zu Putin haben, wäre es angebracht gewesen auch Putin aufzufordern. Eine Waffenruhe ist mehr als nur überfällig. Bedenkenswert finde ich, dass es eigentlich keinen bedeutenden Politiker im Westen mehr gibt, der noch einen Draht nach Russland hat und als Vermittler später in Fragen kommen könnte. Die Schweiz hat sich ja inzwischen auch durch den Friedensgipfel, der auf Selenski Formel beruht leider rausgenommen. Letztendlich werden wir am Ende wohl auf Typen wie Orban oder Erdogan bauen müssen. Schade, dass selbst Länder wie die Schweiz aus populistischen Gründen ihre Neutralität defacto aufgegeben haben. Hoffentlich lernen wir daraus für die Zukunft. Eigentlich wäre Deutschland auf Grund guter Beziehung zu beiden Seiten für eine Rolle als Vermittler prädestiniert gewesen.

    • @Alexander Schulz:

      "...Länder wie die Schweiz aus populistischen Gründen ihre Neutralität defacto aufgegeben haben."



      Auf die Idee, aus einer Ablehnung eines Angriffskrieges eine Aufgabe der Neutralität aus populistischen Gründen zu machen, muss man auch erst mal kommen. Chapeau!

      • @Encantado:

        Ich finde die Thematik für Ironie zu ernst. Ähnlich wie Sie denkt der Hauptteil der Schweizer Bevölkerung und deswegen handelt die Schweizer Regierung ja auch entgegen Ihrer langen Tradition. Aber wem ist damit geholfen? Möchten Sie am Ende wirklich das Typen wie Erdogan oder Orban am Ende einen Frieden vermitteln werden?