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Verweigerter Handschlag für BaerbockSchaut auf die Syrerinnen

Serena Bilanceri
Kommentar von Serena Bilanceri

Al-Scharaas verweigerter Handschlag für Baerbock wurde vielfach interpretiert. Dabei sollte die Lage der syrischen Frauen viel wichtiger sein.

Wacklige Lage: Frauen mit Shisha auf einem Hügel in Damaskus im Dezember 2024 Foto: Leo Correa/ap

D ie Bilder gingen um die Welt: Als die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock Syriens de-facto Leader Ahmed al-Scharaa vor einer Woche in Damaskus traf, streckte dieser dem französischen Außenminister Jean-Noël Barrot die Hand entgegen, bei Baerbock legte er sich indes die Hand aufs Herz. Das war zu erwarten: Eine nicht-verwandte Frau zu berühren ist für muslimische Männer im Islam verpönt, laut manchen Gelehrten sogar verboten.

Dennoch haben sich westliche Medien in ihrer Berichterstattung darauf fokussiert. Das, obwohl es aus diplomatischen Kreisen zu vernehmen war, dass al-Scharaa am Ende der Gespräche Baerbock doch noch die Hand reichte. Im Tumult des bevorstehenden Aufbruchs soll die Ministerin dies übersehen haben, sodass es am Ende nicht zum Handschlag kam. Ob al-Scharaas Sinneswandel als Zeichen der Öffnung für Frauenrechte, die ebenso Gegenstand der Diskussion waren, oder als Entgegenkommen für die fremde Ministerin zu deuten ist, bleibt offen.

Wie dem auch sei: Der Fokus, ja, fast die Besessenheit, des Westens mit oberflächlichen Details wie dem intergeschlechtlichen Handschlag oder des Tragens des Kopftuchs riskiert, die Aufmerksamkeit für viel wichtigere Aspekte der Frauenpolitik in islamisch geprägten Ländern zu stehlen. Und das wäre fatal.

Ist ein verweigerter Handschlag ein Zeichen einer religiös-konservativen Einstellung? Ja, in der Regel schon. Hätte man aber von Machthabern einer islamistischen Gruppe etwas anderes erwartet? Und bedeutet eine ausgestreckte Hand, dass man jetzt plötzlich liberal und frauenrechteaffin geworden ist? Keineswegs.

In meiner Arbeit als Nahost-Auslandskorrespondentin habe ich muslimische Männer getroffen, die mir keine Hand gereicht haben, doch mit Frauen am selben Tisch gesessen und auf Augenhöhe diskutiert haben. Gleichzeitig auch gläubige Männer, die mir als Ausländerin die Hand gegeben haben, als Zeichen von Verständnis und Respekt für fremde Sitten – an ihrer Einstellung gegenüber Religion und muslimischen Frauen hat dies aber nichts geändert.

Frauen werden aus Lehrbüchern verbannt

Viel sinnvoller wäre zu schauen, was für eine Politik die neuen Herr­sche­r*in­nen einschlagen. Ob sie etwa Frauen verschiedener Ansichten und Religionen in Machtpositionen bringen – mit oder ohne Handschlag beim Amtseintritt.

Dann würde man auch die vielen besorgniserregenden Entwicklungen sehen: reaktionäre Äußerungen auf höchster Ebene in Bezug auf die Rolle der Frauen, Lehrbücher, aus denen wichtige Frauenfiguren wie die Palmyra-Königin Zenobia verschwinden sollen, oder ein Justizminister, der vor knapp zehn Jahren Frauen noch wegen „Prostitution“ exekutieren ließ. Darauf sollte sich die Aufmerksamkeit richten – statt auf Begrüßungsformalien.

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Serena Bilanceri
Autorin
Freie Auslandskorrespondentin für Jordanien und den Nahen Osten. Jahrgang 1983, lebt in Bremen und Amman. 2020 erhielt sie ein IJP-Stipendium. Seitdem berichtet sie u.a. über soziale Themen, Menschenrechte und Politik in Nahost. Geboren in Pisa, hat sie in Deutschland, Spanien, Großbritannien und Italien studiert.
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22 Kommentare

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  • Leider ist dieses künstliche Aufregen über Nichtigkeiten mittlerweile Standard geworden v.a. bei Politikern. Sorry aber wenn ich in ein anderes Land fahre, informiere ich mich vorab über gesellschaftliche, soziale Gepflogenheiten und passe mich als Gast an, um nicht jemanden auf die Füße zu treten. Nicht überall auf der Welt wird sich mit einem Handschlag begrüßt oder findet überhaupt Körperkontakt bei der Begrüßung statt. Sich darüber vorab zu informieren hat etwas mit Respekt zu tun. Man kann die gesellschaftlichen Normen der anderen komisch, befremdlich oder auch daneben finden aber man sollte sie trotzdem respektieren, schließlich würde man nichts anderes erwarten wenn jemand aus einem anderen Land zu Gast bei uns ist und der findet unsere Sitten vielleicht auch komisch, befremdlich oder daneben.



    Diese Diskussionen über Nichtigkeiten lenken eben, wie hier gesagt, immer von den eigentlich strukturellen Problem ab und davon das Politiker daran nicht wirklich etwas ändern (wollen).



    Das gerade europ. oder amerik. Politiker nicht gern gesehene Gäste in Nahost sind, sollte aber eigentlich auch nicht verwundern bei der immensen Mitschuld an der Misere im ganzen Nahen Osten.

  • Es ist sicherlich keine religiöse Frage sondern eine politische. Frau Baerbock hat sich mit ihrer Gaza Politik der Zerstörung statt Diplomatie, dem bedingungslosen unterstützen einer Kriegführung der Auslöschung mit deutschen Waffenlieferung, in der gesamten arabischen Welt unbeliebt gemacht. Auch ich würde ihr nicht die Hand geben.

  • Das Verhalten von Frau Baerbock bei der Begrüßung in Damaskus habe ich als unprofessionell erlebt. Sie schien mir underdressed, was nicht gerade höflich dem Gastgeber gegenüber ist.



    Im Rahmen der offenbar auffallend aufwändigen Logitistik für diese Reise hätte man im Vorfeld mit dem Gastgeber und dem Kollegen aus Frankreich schnell klären können, wie die Begrüßung für alle Beteiligten akzeptabel verlaufen könnte: z. B. Herr Ahmed al-Scharaa verbeugt sich mit Hand am Herz und Frau Baerbock und der französische Außenminister verbeugen sich ohne Hände am Herz und ohne dass die Männer sich die Hand geben. Dann wäre etwas Dtrittes, etwas Gemeinsames entstanden, womit alle gut leben könnten.

  • Feminismus statt Islamismus in der Verfassung!

  • Bei den Maori, Neuseeland, gibt es auch einen interessanten Brauch. Das Hongi ist ein traditioneller Māori-Gruß, der ausgeführt wird, indem zwei Personen ihre Nasen aneinander pressen und sich dabei oft auch die Stirn berühren .

    • @Stoffel:

      Es dürfte ein interessantes Forschungsprojekt sein, Erklärungen für verschiedene Grußformen zu finden.



      Hier schon mal ein paar Thesen: Körperkontakt ist sozial wichtig. Allerdings steigt die Gefahr der Ausbreitung von Infektionen. Möglicherweise konnte sich die Gesellschaft einer isolierten Insel so etwas eher leisten, als die Bewohner größerer Kontinente.

  • Der Westen hat schon in Afghanistan, wo sein Einfluss ausreichen. war, um etwas zu ändern, darauf verzichtet, seine Werte durchzusetzen. Und jetzt ausgerechnet in Syrien soll die feministische Außenpolitik losgehen?

    Kommentar gekürzt. Bitte beachten Sie unsere Netiquette.

    Die Moderation

    • @Claude Nuage:

      Das Kopftuch ist ein schlechtes Symbol. Oder wollen Sie das Tragen von Kopftücher etwa allen verbieten? Und was passiert, wenn die nächste Modewelle Kopftuch statt Basecap gebietet? Das wird lustig: Alle diese MAGA-Kopftücher :-)



      Schreiben Sie lieber "radikaler Islam"!

  • Frau Bilanceri hat natürlich Recht: statt einer Focussierung auf „oberflächliche Details wie einen intergeschlechtlichen Handschlag“ wäre die Aufmerksamkeit auf konkrete (Frauen)Politik der neuen Machthaber besser. Aber: um für dieses Ziel Interesse und Öffentlichkeit zu gewinnen, braucht es vor allem Augenöffner, sprich Vorgänge wie diesen verweigerten Handschlag, um das Thema zu setzen.

    • @chrisbee:

      Es ist unstrittig, dass ihr der Handschlag am Ende des Gespräches angeboten wurde, wie auch im Artikel erwähnt. Das macht diesen Vorgang durchaus ambivalenter, als oft, auch von dir, gesagt wird.

      • @Systemknecht:

        Das dürfte so einige Überwindung gekostet haben. Eine Konditionierung wie "keine Frauen berühren" steckt ganz tief drin.



        Alle, die sich während der Pandemie im Fuß- und Ellenbogengruß geübt haben sollten wissen, was ich meine.

  • Verstehe nicht, warum da wieder was gegeneinander ausgespielt wird. Wer sagt denn, dass man sich nicht über das eine ärgern/empören/wundern darf und über das andere?

    Der Handschlag ist keine "Formalie", denn zumindest von Saudi-Arabien weiß man, dass Frauen sterben, weil sie ärztlich von Männern nicht behandelt werden dürfen, inklusive Geburten. Zumindest war das bis vor nicht allzu langer Zeit so.

    Es ist gerade so, dass der vermiedene Handschlag ja dann auch den Blick auf die Verpixelung von Baerbock in den syrischen Medien lenkt - hier steht dazu leider gar nichts - und schwupp, ist man schon bei dem Thema, wie man in Syrien mit Frauen umgeht.

    • @Dreja:

      Es ist immer das selbe. Für eine Machtposition brauch man andere, über die Macht ausgeübt werden kann. Auf aller unterster Ebene geht das dann nur noch mit der weiblichen Hälfte der Menschheit.



      Ich denke, das erklärt auch einen Teil dieser Panik über Transsexualität. Das Unterscheidungsmerkmal für die billigste Machtposition ist unklar.

      • @Jörg Schubert:

        Noch ein recht negativer Aspekt: Ich kenne Frauen, die einen sinnvollen Vorschlag nicht von einem Versuch der Machtausübung unterscheiden können. So schaden sie sich selbst.

    • @Dreja:

      War die Verpixelung nicht erst erst auf Telegram von islamistischen Nutzern nachträglich vorgenommen worden?

  • Ich hoffe, dass sich die syrische Bevölkerung gegen eine islamistische Regierung ebenso wehrt, wie gegen die Regierung des Herrn Assad.

    Bei einer islamistischen Regierung sehe ich allerdings die zusätzliche Hürde, dass sie der ca. Hälfte der Bevölkerung aufgrund des Geschlechts Privilegien bietet, die für diese teilweise durchaus sehr verlockend sind, sie quasi dadurch korrumpiert.

  • Und immer noch ist es mir unverständlich als Syrer hier feiernd durch die Straßen zogen und die Presse sich gegenseitig überbot in ihren Schlagzeilen - Syrien befreit, Syrien lebt, Syrien dies und das...



    Alle, wirklich ALLE haben kollektiv missachtet WER da Assad vom Thron gestoßen hat. Die Idee, dass es immer noch schlimmer kommen kann dämmert erst jetzt vielen...



    Ja Assad war ein grauenhafter Massenmörder, dass es aber unter hardcore Islamisten, ehemaligen Kämpfern der Al-Qaida, des IS und der Al-Nusra-Front besser werden soll - diese geistige Verbiegung konnte und kann ich nicht mitgehen.



    Freunde schaut doch einfach mal nach was HTS heißt: Hai'at Tahrir as-Sam.



    Meine Tastatur kriegt leider keine arabische Phonetik hin, aber 'asch-Scham' ist Großsyrien...



    Das sind Islamisten die ganz offenkundig die Levante 'befreien' wollen...



    Das steht in ihrem Namen🤷‍♂️



    Wird hier konsequent ignoriert - von Medien, Politik, Gesellschaft.



    Na dann wundert euch noch ein bisschen länger und hofft - es wird vergebens sein, leider. Die neuen Herren von Syrien sind für die Region tatsächlich eine größere Bedrohung als es Assad war 🤐

    • @Farang:

      Ja und? Irgend welche Lösungsvorschläge? Truppen hinschicken wie in Afghanistan oder Irak? Hat ja super geklappt!



      Alles was über Abwarten und Diplomatie hinaus geht, wird wohl mehr schaden als nützen. Israel versucht es ja auf militärischen Weg. Wir werden sehen, was die Quittung dafür sein wird.

  • Unveränderlich, in Stein gemeißelt, gilt:

    Sure vier, Vers 34: „Die Männer stehen über den Frauen, weil Gott sie ausgezeichnet hat.“ Oder Sure zwei, Vers 228: „Die Männer stehen eine Stufe über ihnen. Gott ist mächtig und weise.“ Oder Sure zwei, Vers 223: „Eure Frauen sind euch ein Saatfeld. Geht zu eurem Saatfeld, wo immer ihr wollt . . . “ usw.

    Die Frauen selbst haben nur wenig Chancen.

    Es gilt immer was der jeweilige Machthaber sagt.

    Es gab Zeiten, da wurde im Nahen Osten den Frauen mehr Freiheit bewilligt, dann wieder weniger.

    Siege sind nur temporär, dann kommt der nächste Diktator, oder die Männer kommen mit freien Frauen einfach nicht klar und fordern Strenge und Gehorsam.

    Volle Solidarität mit den Frauen in Syrien, Iran, Afghanistan etc. etc.

    • @shantivanille:

      "Es gilt immer was der jeweilige Machthaber sagt."

      Das gilt, nicht nur in Fragen der Frauenrechte, allerdings in allen Systemen, die von einem "Machthaber" geführt werden, egal welche Religion oder Ideologie sie als Grundlage ihres Handelns anführen.

  • Danke für den Artikel und seine überzeugende Argumentation.

  • Die Erde hat Fiber . Oh weh, oh weh. Und der Fibersaft ist alle. Aber bald können wir den Temperaturanstieg auf fünf Nachkommastellen genau vorhersagen.



    Mit multiresistenter Erschöpfung ist nicht gut Kirschen essen.