Verweigerter Handschlag für Baerbock: Schaut auf die Syrerinnen
Al-Scharaas verweigerter Handschlag für Baerbock wurde vielfach interpretiert. Dabei sollte die Lage der syrischen Frauen viel wichtiger sein.
D ie Bilder gingen um die Welt: Als die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock Syriens de-facto Leader Ahmed al-Scharaa vor einer Woche in Damaskus traf, streckte dieser dem französischen Außenminister Jean-Noël Barrot die Hand entgegen, bei Baerbock legte er sich indes die Hand aufs Herz. Das war zu erwarten: Eine nicht-verwandte Frau zu berühren ist für muslimische Männer im Islam verpönt, laut manchen Gelehrten sogar verboten.
Dennoch haben sich westliche Medien in ihrer Berichterstattung darauf fokussiert. Das, obwohl es aus diplomatischen Kreisen zu vernehmen war, dass al-Scharaa am Ende der Gespräche Baerbock doch noch die Hand reichte. Im Tumult des bevorstehenden Aufbruchs soll die Ministerin dies übersehen haben, sodass es am Ende nicht zum Handschlag kam. Ob al-Scharaas Sinneswandel als Zeichen der Öffnung für Frauenrechte, die ebenso Gegenstand der Diskussion waren, oder als Entgegenkommen für die fremde Ministerin zu deuten ist, bleibt offen.
Wie dem auch sei: Der Fokus, ja, fast die Besessenheit, des Westens mit oberflächlichen Details wie dem intergeschlechtlichen Handschlag oder des Tragens des Kopftuchs riskiert, die Aufmerksamkeit für viel wichtigere Aspekte der Frauenpolitik in islamisch geprägten Ländern zu stehlen. Und das wäre fatal.
Ist ein verweigerter Handschlag ein Zeichen einer religiös-konservativen Einstellung? Ja, in der Regel schon. Hätte man aber von Machthabern einer islamistischen Gruppe etwas anderes erwartet? Und bedeutet eine ausgestreckte Hand, dass man jetzt plötzlich liberal und frauenrechteaffin geworden ist? Keineswegs.
In meiner Arbeit als Nahost-Auslandskorrespondentin habe ich muslimische Männer getroffen, die mir keine Hand gereicht haben, doch mit Frauen am selben Tisch gesessen und auf Augenhöhe diskutiert haben. Gleichzeitig auch gläubige Männer, die mir als Ausländerin die Hand gegeben haben, als Zeichen von Verständnis und Respekt für fremde Sitten – an ihrer Einstellung gegenüber Religion und muslimischen Frauen hat dies aber nichts geändert.
Frauen werden aus Lehrbüchern verbannt
Viel sinnvoller wäre zu schauen, was für eine Politik die neuen Herrscher*innen einschlagen. Ob sie etwa Frauen verschiedener Ansichten und Religionen in Machtpositionen bringen – mit oder ohne Handschlag beim Amtseintritt.
Dann würde man auch die vielen besorgniserregenden Entwicklungen sehen: reaktionäre Äußerungen auf höchster Ebene in Bezug auf die Rolle der Frauen, Lehrbücher, aus denen wichtige Frauenfiguren wie die Palmyra-Königin Zenobia verschwinden sollen, oder ein Justizminister, der vor knapp zehn Jahren Frauen noch wegen „Prostitution“ exekutieren ließ. Darauf sollte sich die Aufmerksamkeit richten – statt auf Begrüßungsformalien.
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