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Versorgung von Long-Covid-KrankenEin Desaster, bisher

Manuela Heim
Kommentar von Manuela Heim

Zu Long Covid gab es bisher nur vage Befürchtungen und einen Wildwuchs bei der Betreuung. Nun sollen Betroffene endlich besser versorgt werden.

Rollstühle mit Bildern und Namen von Long-Covid-Betroffenen vor dem Reichstag in Berlin im Juli 2023 Foto: Michael Kappeler/dpa

S eit mindestens zwei Jahren ist Long Covid als Problem erkannt, da holt Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach endlich Expert*innen, Patientenvertreter*innen, Kostenträger und Behörden an einen Tisch und verkündet schnelle Maßnahmen. Eine systematische Versorgung der Betroffenen ist trotzdem nicht in Sicht. Wir wissen noch nicht einmal, wie viele es überhaupt sind.

Seit 2021 geistern Schätzungen durch die Öffentlichkeit: 6, 10 oder gar 15 Prozent der ehemaligen Coronakranken könnten von Long oder Post Covid betroffen sein. Dabei hätte man schon damals beginnen können, flächendeckend finanzierte Schwerpunkt-Hausarztpraxen für die Long-Covid-Behandlung zu etablieren. Dann wüsste man jetzt ziemlich genau, über welche Dimensionen wir hier sprechen; auch der volkswirtschaftliche Schaden ließe sich besser beziffern.

So bleiben bis heute nur vage Befürchtungen und ein mehr als zweijähriger Wildwuchs in der medizinischen Betreuung. In den Hausarztpraxen sind es meist die Patient*innen, die die Ärz­t*in­nen mit Informationen versorgen müssen. Medikamente und Behandlungen, die helfen könnten, müssen selbst bezahlt werden – eine Einladung auch für dubiose Anbieter. Die Studien zu Therapieansätzen schleppen sich hin – dabei wissen wir spätestens seit der Corona-Impfstoffforschung, dass es auch anders geht.

Kurzum: Die Versorgung von Menschen mit Long Covid ist ein Desaster. Dass der Bundesgesundheitsminister nun mehr Geld für Versorgungsforschung, weniger Hürden für Studien, Therapierichtlinien für Ärz­t*in­nen und die Kostenübernahme bei erfolgversprechenden Medikamenten ankündigt, ist überfällig. Die Finanzierung für eine systematische Versorgung von Betroffenen, wie sie eigentlich schon im Koalitionsvertrag versprochen war, bleibt aber ungesichert – und die Betroffenen ungezählt. Long Covid als „gesamtgesellschaftliche Aufgabe“, wie es Lauterbach einmal nannte – davon sind wir noch weit entfernt.

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Manuela Heim
Gesundheit und Soziales
Redakteurin in der Inlandsredaktion, schreibt über Gesundheitsthemen und soziale (Un-) Gerechtigkeit.
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8 Kommentare

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  • Der Artikel triffts voll, es ist ein Desaster.



    Ich bin (wenn im Vergleich zu anderen leicht )Betroffener . Sowohl die Impfung als auch das Original taten mir gar nicht so gut. Die massiven Kreislauf Beschwerden nach Impfung brachten überhaupt keine Behandlung hervor, nur Boshaftigkeit.Dann kam im Juni diesen Jahres das Original daher. Die Coronainfektion akut war nicht mal das Problem, nur Husten, nichtmal Fieber.



    Die Party ging seitdem danach los, Herzrythmusstörungen, Blutdruckschläge und wenig Belastbarkeit. Behandlung?Fehlanzeige, obwohl jedes seitdem angefertigtes Blutbild zeigte, anhand der Tpos, dass da beide Ereignisse eine Schneise der Verwüstung durchs Autimmunsystem gezogen haben."Fachlicher "Kommentar meiner Hausärztin:Sie haben aber keine Glubschaugen, daher keine weitere Untersuchung. Auf dem Land ne andere Medizinische Versorgung zu finden, vergiss es. Wie mag es erst Menschen gehen, die seitdem auf Pflege angewiesen sind...

  • Als Angehöriger einer Betroffenen musste ich erfahren, dass es ein ähnliches Problem schon seit vielen Jahren gibt: ME/CFS. Menschen ziehen sich aus der Öffentlichkeit zurück, lassen sich von ihren Eltern pflegen und viele sterben einsam, zurückgelassen von der Medizin und den Sozialsystemen. Schätzungsweise 250.000 VOR der Pandemie.

    Es ist schon ein Spiel der Ironie, dass sich die Medizin in Deutschland über Jahrzehnte nicht für diese Menschen interessert und erst eine Pandemie kommen muss, damit das Problem ansatzweise ernst genommen wird. Bleibt zu hoffen, dass nun endlich was passiert.

  • Könnte die TAZ nicht eine Informationsquelle für Long/Post Covid Betroffene sein?

    Sie könnte z.B. über erfolgreiche Selbsttherapien von Betroffenen schreiben. Welche Mittel helfen. Welcher Arzt ist gut, etc. ... .

    Die Bundesregierung scheint beim Thema Long/Post Covid ja auch im Herbst 2023 kaum Interesse an der Versorgung der Betroffenen zu haben/keine Infrastruktur/Covid Ambulanzen aufbauen zu wollen .

    Selbermachen, Selbsthilfegruppen, sich selbst schlau machen ist also angesagt.

    • @Goldi:

      Das machen wir schon, danke. Nützt aber nix, wenn man dann an den Behörden und Ärzten abprallt und keine Pflegestufe, unpassenden/mangelhaften Grad der Behinderung und keinen Zugang zu spezieller Diagnostik und den experimentellen Behandlungsmöglichkeiten hat, weil die Kohle fehlt und alles privat bezahlt werden muss. Und die Energie, das alles zu organisieren, muss man auch erstmal haben, da reichts bei den meisten gerade so um sich aufs Klo zu schlörren.

  • Vergessen wir nicht die Fatigue-Patienten, die wegen anderer Viruserkrankungen leiden!! Das wird nie erwähnt.

  • 4G
    48798 (Profil gelöscht)

    Der Umgang mit den Long Covid Erkrankten zeigt letztlich den unprofessionellen Umgang Deutschlands mit der Corona-Epedemie.



    Erst nahm man die Krankheit nicht ernst und glaubte, sie würde nur in China ausbrechen.



    Dann „passierten“ Ischgl und der Karneval – sinnvollerweise erfolgte dann ein vergleichsweise milder Lockdown. Das war die einzige Maßnahme, um die uns die Welt beneidete. Anschließend übernahmen dann jedoch unverständlicherweise die zerstrittenen Bundesländer das Ruder und richteten ein nationales Chaos an.



    Es fehlten Masken, es wurde aus Kostengründen nie ausreichend sequenziert, dann fehlte wegen verspäteter Bestellung Impfstoff, obwohl Biontech in Deutschland produzierte.



    Es fehlten Impfzentren, PCR-Tests, Pflegepersonal, Konzepte für gefährdete Personengruppen, hauptamtliche Mitarbeiter beim Paul-Ehrlich Institut zur Bewertung und Freigabe von Impfstoffen



    Alle dies wurde nie ausgewertet, die eingesetzte Kommission bekam dafür nicht genügend Zeit und Geld.



    Die Krankheit wurde politisch beendet, weil nicht mehr sein konnte was nicht sein durfte.



    Inzwischen wurden 90 Millionen Masken wegen Überschreitung des MHD verbrannt, die Impfzentren abgebaut, ein passenderes Seuchenschutzgesetz wollte der Bundestag nicht beschließen, die technische Ausstattung der Gesundheitsämter wurde nicht verbessert, LongCovid wird weltweit erforscht nur nicht hierzulande.

    Wenn morgen eine aggressive Virus Mutante aufträte, stünden wir nicht nur bei Null, sondern aufgrund der mangelnden Akzeptanz für die Seuchenabwehr im Minus.



    Dann wird Deutschland nicht mit vermeidbaren 150.000 Toten davonkommen.

  • "Dabei hätte man schon damals beginnen können, flächendeckend finanzierte Schwerpunkt-Hausarztpraxen für die Long-Covid-Behandlung zu etablieren."

    Leider nein.

    Allgemeinmediziner sind da schon bei der Diagnostik überfordert. Gar nicht mal so wenige sind Covid-Schwurbler - weil man mit dem Ausbildungsstand eines Hausarztes Long Covid halt genauso schlecht erfassen kann, wie so ziemlich jede andere Erkrankung aus dem CFS-Syndromkomplex.



    Ist ja schon bei ME/CFS-Betroffenen ein bekanntes Problem, dass sie von Hausärzten als "Hypochonder" diffamiert werden, und "Vitamine und Mineralsupplements" als "Therapie" angedreht bekommen.

    Hier ein aktueller Überblick zur Diagnostik: www.ncbi.nlm.nih.g...ticles/PMC9384470/



    Mit einer mehrmaligen quantitativen Bestimmung 5 verschiedener Entzündungsmarker kriegt man solide 80% der Long Covid-Fälle differentialdiagnostiziert. Das ist sehr gut! Aber ein Hausarzt kann da exakt *eine* Sache machen: dir etwas Blut aus der Armbeuge abzapfen lassen.



    Man kann auch mit FACS über die weißen Blutkörperchen drübergehen www.frontiersin.or...u.2022.848886/full, aber das ist *noch* aufwändiger, dazu braucht man intakte Leukos aus buffy coats oä, und die können Hausarztpraxen nicht immer in der nötigen Qualität liefern.

    Und die Therapieansätze sind nicht gut standardisierbar - die richten sich danach, welche Organe nun bei den individuellen Patient*innen vorrangig geschädigt sind. Und das kann bei Long Covid wirklich *jeder* stark durchblutete Teil des Körpers sein.

    Es braucht dezidierte neurologische Ambulanzen, Laborkapazitäten für Bluttests, und Reha-Plätze mit psychologischer Betreuung.



    Das ist so die einzige Sache, die im UK richtig gelaufen ist: die haben Nachversorgungskliniken zu Hunderten aus dem Boden gestampft, als ihnen klar wurde, dass der laxe Infektionsschutz und der minderwertige Janssen-Impfstoff eine Invaliditätswelle wie nach einem mittelgroßen Krieg aufs Land zurollen lassen.

    • @Ajuga:

      Jupp, selbst das chronisch ausgeblutete NHS hat auch schon seit längerem eine Leitlinie zu ME/CFS und Versorgungszentren dafür, da liegt es nahe, dass diese Strukturen auch für Long Covid benutzt werden können. Ja, man wartet sehr lange, um jeweils einen Termin beim POTS/Pacing/Diagnostik-Spezialisten zu bekommen, aber immerhin gibt es sie. Hier in Deutschland muss man Glück mit dem Hausarzt haben und dann ist ein gelber Schein und rudimentäres Verständnis für die Belastungsintoleranz (Videosprechstunden!) das Maximum, was man als ME/CFS- oder Long Covid-Patient erwarten kann. Erbärmlich.