Versorgung psychisch Kranker: Pauschale für die Psychiatrie
Ab 2017 soll ein neues Vergütungssystem Pflicht werden. Attac, Paritätischer Verband und Verdi fürchten, dass die Behandlung schlechter wird.
Stattdessen soll in Zukunft möglichst wenig bezahlt werden. Das befürchten nicht nur Richter und ihre Selbsthilfeorganisation Psychiatrieerfahrener „Pandora“, sondern auch Attac, der Paritätische Wohlfahrtsverband und Verdi. Zusammen haben sie deshalb nun ein Bündnis gegründet, das PEPP verhindern will, bevor es nach einer Übergangsphase ab 2017 verpflichtend gelten soll.
Das System funktioniert so: Für Patienten, deren psychische Erkrankung eine stationäre oder teilstationäre Behandlung erfordert, erhalten die Einrichtungen von den Krankenkassen eine pauschale Vergütung. Je nach Erkrankung verringert sich die Pauschale allerdings mit der Dauer des Klinikaufenthalts. Das heißt: Patienten, die eine längere Therapie brauchen, sind für Kliniken weniger lukrativ.
„Diagnose macht 20 Prozent des Behandlungsaufwands aus“
Das Bündnis kritisiert, dass eine solche Klassifikation, die nicht auf das individuelle Leiden eingehe, besonders für Schwerkranke gefährlich sei. „Die Diagnose macht nur etwa 20 Prozent des Behandlungsaufwands einer psychischen Erkrankung aus“, sagt Rolf Rosenbrock, Gesundheitswissenschaftler an der Charité und Vorsitzender des Paritätischen.
Man könne kaum vorhersagen, in welchem Maß und nach wie viel Zeit ein Patient sich zum Beispiel von einer Psychose erholen werde. Ein Versorgungsansatz, wie PEPP ihn vorsehe, sei deshalb falsch.
Seit 2013 können Kliniken PEPP bereits freiwillig anwenden. Zwar ist die Einführung des neuen Systems für die Kliniken teuer. Sie müssten neue Software und teilweise auch extra Verwaltungspersonal bezahlen, sagt Dagmar Paternoga von Attac. Gleichzeitig werde aber an einer anderen, falschen Stelle gespart: Durch die Einführung von PEPP soll die Psychiatrie-Personalverordnung außer Kraft treten, die bisher das zahlenmäßige Verhältnis zwischen Ärzten, Pflegepersonal und Patienten regelt.
Vereinbarung im Koalitionsvertrag
„Mehr Transparenz und Leistungsorientierung“ bei der Vergütung von psychiatrischen und psychosomatischen Behandlungen hatten sich SPD und Union bereits in ihren Koalitionsvertrag geschrieben. Besonders der erste Punkt dürfte im Interesse der Krankenkassen sein.
Mit der Vergütungspauschale können sie die Kosten psychiatrischer Behandlungen nicht nur leichter ermessen, sondern auch senken, wenn finanziell ohnehin klammen Krankenhäusern ein Anreiz vorgegeben wird, Patienten aus wirtschaftlichen Gründen zu entlassen – auch, wenn diese noch gar nicht stabil genug sind.
Mit dem neuen System, sagt Brigitte Richter deshalb, werde Menschen mit psychischen Erkrankungen das wichtigste Mittel zur Genesung genommen: Zeit.
Dem Bündnis bleibt davon noch etwas mehr als ein Jahr. Bis dahin will man der Politik „Druck machen“.
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