Verschwundener Fangquoten-Überwacher: Das Meer war ruhig
Keith Davis achtet auf die Einhaltung der Fangquoten. Einige Fischer, bei denen er mitfährt, mögen ihn nicht. Eines Tages verschwindet Davis im Pazifik.
Um 14.50 Uhr wird Keith Davis das letzte Mal an Deck der Victoria No. 168 gesehen. Um 16.05 Uhr bemerkt ein Crewmitglied, dass seine Kabine leer ist. Davis ist verschwunden. Es ist der 10. September 2015. Seit dem Morgen liegt ein taiwanesischer Thunfischfänger neben der Victoria und lädt seinen Fang ab. Das Meer ist an diesem Tag ruhig, das Wetter mild. Alles Routine.
Gegen Mittag hatte Davis seinen letzten Standort notiert: 85 Grad westliche Länge, 12 Grad südliche Breite. Die Küste Perus liegt rund 800 Kilometer entfernt, der Pazifik ist an dieser Stelle bis zu 4.000 Meter tief. Als der Kapitän gegen 22.30 Uhr die peruanische Küstenwache kontaktiert, fehlt von Davis seit sieben Stunden jede Spur.
Fünf Wochen zuvor, am Morgen des 5. August 2015, verlässt die Victoria No. 168 den Hafen von Vacamonte, in der Nähe von Panama-Stadt. Ihr Kurs: der offene Pazifik. Die Victoria No. 168 ist ein Kühlschiff, etwa 80 Meter lang, 13 Meter breit, der grüne Rumpf längst verwaschen. Ende der 1980er Jahre in Japan gebaut, fährt sie unter der Flagge Panamas. Auf ihren wochenlangen Reisen über die Ozeane sammeln Kühlschiffe die Fänge anderer Boote ein, oft im Tausch gegen Treibstoff und Lebensmittel. Sind die Kühlräume voll, geht es zurück in den Hafen.
Keith Davis ist als Fischereibeobachter an Bord der Victoria No. 168, als Kontrolleur der Weltmeere. Er ist 41 Jahre alt, Meeresbiologe – einer, der das Meer liebt und alles, was in ihm schwimmt. Fischereibeobachter sind zuständig dafür, dass auf hoher See die internationalen Fischereiabkommen eingehalten werden. Ob ein Beobachter an Bord geht oder nicht, kann sich die Crew nicht aussuchen. Die Behörden entscheiden. Davis’ Arbeitgeber ist die MRAG, eine private Agentur, deren Mitarbeiter in Beobachterprogrammen eingesetzt werden.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Fischereibeobachter arbeiten meist allein. Der Raum an Bord ist eng, es gibt keinen Platz zu verschenken. Alles wird hier geteilt, manchmal sogar die Pritsche. Kommunikation mit der Außenwelt läuft über den Bordcomputer des Kapitäns. Wenn der will, liest er mit.
Kurz bevor die Victoria No. 168 an diesem Morgen ablegt, verschickt Davis einen letzten Gruß an seine Freunde: „Ich steche heute in See. Für die nächsten zwei Monate werde ich nicht bei Facebook sein. Es ist ein wunderschöner Tag in Panama. Perfekt für einen Trip aufs Meer.“
Wenn die Stimmung der Crew umschlägt
In den folgenden zwei Monaten protokolliert Davis jede Fangtransaktion der Victoria No. 168: Namen der Schiffe, Heimathafen, Registriernummern, Zustand der Fischerboote, Menge und Bestand der Fänge, die in den tiefen Kühlräumen verschwinden. Ein Protokoll, das mitunter bedeutet, dass ein Thunfisch, so groß wie ein Kalb, so wertvoll wie ein Kleinwagen, nicht als Fang deklariert werden darf, weil er zu einer geschützten Art gehört. Anstatt in der Lieferkette landet der Fisch dann als Beifang im Hafen. Gut für die Statistik der Fangquoten, schlecht für die Verdienste der Männer auf See.
15 Männer gehören zur Crew der Victoria No. 168. Sie kommen aus den asiatischen Seefahrernationen, von den Philippinen, aus Indonesien. Ihr Leben besteht aus Arbeit, beengten Räumen und schlechter Verpflegung. Auf dem Meer zählt vor allem die Quote, der Fang. Und jeder Tag auf dem Meer kostet Geld: Sprit, Heuer, Lebensmittel. Störungen kann hier niemand gebrauchen.
„Ich glaube, Keith wurde ermordet“, sagt Elizabeth Mitchell. In ihrer Wohnung in Oregon sitzt sie an einem Aprilmorgen an ihrem Telefon und erzählt von ihrem verschwundenen Freund. „Keith war abenteuerlustig, offen und sehr organisiert.“ Dass er einfach über Bord fallen könnte, mitten am Tag, ohne Wind und größere Wellen, sei ausgeschlossen, sagt sie. Davis habe etwas gesehen, das er nicht hätte sehen dürfen, glaubt Mitchell. Deswegen sei er nicht zurückgekehrt.
Seit Mitte der 1980er Jahre arbeitet Mitchell selbst als Fischereibeobachterin. Davis lernte sie auf einem ihrer Einsätze in Alaska kennen. Sie weiß, wie es auf dem Meer zugehen kann. Wenn die Fänge ausbleiben, die Stimmung der Crew umschlägt. „Fischereibeobachter sind wahrscheinlich die unpopulärsten Crewmitglieder. Mit Solidarität kann man nicht rechnen.“
Eine Chronik über Davis’ Arbeit
Mitchell hat eine Chronik über Davis’ Arbeit und sein Verschwinden angelegt. Mit Infos der MRAG und dem Schriftverkehr der Victoria No. 168. Mitchell versucht, den 10. September 2015 genau zu rekonstruieren. Wann Davis mit der Arbeit begann, wann er das letzte Mal gesehen wurde. Nur ein Teil fehlt ihr bisher. Die 75 Minuten, in denen Davis verschwand.
2016 veröffentlichte die Umweltorganisation PEER ein Verzeichnis sämtlicher gemeldeten Drohungen gegen Fischereibeobachter der US-Ozeanografiebehörde NOAA, die sich um die Fischerei in der US-amerikanischen 200-Meilen-Zone kümmern. Es waren rund 80 Fälle in einem Jahr. Vermutlich ist das nur ein Bruchteil dessen, was auf hoher See passiert. Viele Fälle bleiben für immer im Dunkeln. Neben Davis sind in den letzten acht Jahren sechs weitere Fischereibeobachter verschwunden.
März 2010: Charlie Lasisi aus Papua-Neuguinea verschwindet von einem Thunfischfänger im Pazifischen Ozean. 2015 werden Lasisis Überreste vor der Küste Papua-Neuginueas gefunden. Beine und Arme waren mit Ketten gefesselt.
März 2012: Chris Langel, USA, verschwindet vor der Küste Washingtons. Die Untersuchungen dauern an.
2015, Monat unbekannt: Wesley Talia, Papua-Neuginuea, verschwindet von einem Fischerboot. Sein Leichnam wird später in einem Kanu gefunden.
2016, Monat unbekannt: Larry Gavin, Papua-Neuguinea, verschwindet.
Juni 2017: James Junior Numbaru, Papu-Neuguinea, geht über Bord eines chinesischen Fischerboots. Die Untersuchungen dauern an.
6. März 2018: Edison Geovanny Valencia Bravo, Ecuador, verschwindet von einem Boot vor der Küste Ecuadors. Die Untersuchungen dauern an.
Rund 81 Millionen Tonnen Fisch werden jedes Jahr aus den Weltmeeren gezogen. 2014 machte der globale Fischhandel rund 148 Milliarden Dollar Umsatz. Tendenz steigend, die Nachfrage wächst. Durchschnittlich 20 Kilogramm Fisch verzehrt jeder Mensch pro Jahr. Doppelt so viel wie in den 1960er Jahren. Nur die Grundlage schwindet. 30 Prozent der weltweiten Fischbestände gelten als überfischt, 57 als maximal ausgeschöpft.
Die Ware wird knapp. Die Reste sind begehrt und die Meere sind zum Schauplatz eines knallharten Verteilungskampfs geworden. Die Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen schätzt, dass jedes Jahr rund 26 Millionen Tonnen Fisch illegal aus den Meeren gezogen werden. Wahrscheinlich sind es noch mehr. Illegaler Fischfang ist zum transnationalen Wirtschaftsverbrechen geworden, dessen Verbindungen sich über den gesamten Globus spannen.
„Ich liebe die Arbeit draußen“
Diejenigen, die dafür sorgen sollen, dass dieses Netz nicht zu eng wird, sind die Fischereibeobachter. Sie stehen da, wo illegale Fischerei ihren Anfang nimmt: an Deck.
Weltweit arbeiten mehrere hundert Beobachter. Genaue Zahlen gibt es nicht. Viele sind jung, frisch von der Uni, oft mit einem naturwissenschaftlichen Abschluss. Es sind idealistische Abenteurer mit einem Auftrag: jeden Schritt an Bord protokollieren. Mit Stift, Papier und Kamera. Die Netze, die benutzt werden, die Zusammensetzung der Fänge, die Größe der Fische, die Beifänge. Wird gegen Regeln verstoßen, landet das im Protokoll.
Zurück im Hafen, geht der Datensatz zu den zuständigen Behörden: regionale und internationale Fischerei-Managementprogramme, mit denen Mitgliedstaaten festlegen, wer wie viel und wo fischen darf. Vierzehn Organisationen überwachen die Ozeane. Ohne Fischereibeobachter gäbe es keine unabhängige Datengrundlage für die Fangquoten. Dann wüsste niemand, was genau eigentlich aus dem Meer geholt wird.
Bevor sie an Bord gehen, müssen die Beobachter Trainingsprogramme absolvieren. Gelehrt wird sicheres Verhalten an Bord, Umgang mit der Crew, Vermessung und Datenerhebung der Fänge. Einmal an Bord, sind die Beobachter auf sich allein gestellt. Der nächste Hafen ist meist viele Seemeilen entfernt.
Mit dem Fisch nehmen auch andere Güter die Schleichwege übers Meer: Menschen, Drogen, Geld, Waffen. Eine Studie der UN aus dem Jahr 2011 berichtet von Menschenhandel auf Fischerbooten. Interpol spricht über illegalen Fischfang als einen „möglichen Indikator für organisiertes Verbrechen“.
Keith Davis weiß all das. Bevor er an Bord der Victoria No. 168 geht, sagt Davis seiner Cousine Tawnya Fletcher, das er aussteigen will. Aus ihren Erzählungen setzt sich eine Biografie zusammen, die von der Begeisterung für die Seefahrt geprägt ist. Aufgewachsen ist Davis im US-Bundesstaat Arizona. Sein Vater dient in der Navy. Die Liebe zum Meer liegt in der Familie. Nach seinem Abschuss in Meeresbiologie bewirbt Davis sich Ende der 1990er Jahre als Fischereibeobachter. Auf seinem LinkedIn-Profil schreibt er über sich: „Ich liebe die Arbeit draußen – ganz nah dran am Meer und seiner Erhaltung. Mit dem Wind in meinem Gesicht, den Stiefeln auf dem Boden und meinen Händen bei der Arbeit bin ich tief verbunden mit der Welt.“
Entzug von Subventionen und Lizenzen
Fast zwanzig Jahre fährt Davis aufs Meer hinaus. Mal auf einem Krabbenfänger in der Beringsee, mal auf einem japanischen Kühlschiff im Westpazifik. Er sieht vieles: Müll, der mitten im Ozean über Bord geschüttet wird. Männer, die auf Deck schlafen müssen, weil das Schiff zu klein ist für Mannschaft und Fang. Fische, denen Köpfe, Flossen und Schwänze abgeschnitten werden, von denen nicht mehr viel bleibt als ein silbriger Klotz, Identifizierung fast unmöglich. Er kennt die Tricks der Branche: Schiffseigner, die sich hinter Briefkastenfirmen und Treuhändern verstecken. Schiffe, die Namen und Flaggen wechseln.
Ist Davis nicht auf See, setzt er sich für bessere Arbeitsbedingungen von Fischereibeobachtern ein. Für mehr Sicherheit an Bord. In der kleinen Welt der Beobachter ist Davis so etwas wie ein Botschafter, ein bunter Hund. „A great guy [ein toller Typ]“, sagen diejenigen, die ihn kennen. Er reist zu Konferenzen, spricht über die guten Seiten seines Jobs: das Meer, die Weite, der Schutz der Umwelt. Aber auch über die dunklen: die Beleidigungen, die Drohungen, die Angst.
Die zwei Monate auf der Victoria No. 168 sollen sein letzter Job auf See werden. Davis ist 41 Jahre alt. Er will sesshaft werden. Seine Cousine erzählt von seinen Plänen, sich ein Haus in Arizona zu bauen, seiner Heimat. Sie erzählt von seiner Liebe zur Musik, von einem Hilfseinsatz in Nepal im Sommer 2015. Sie erzählt von „einer lieben Seele“. Von einem Mann, der Tiere liebt und denen hilft, die ihn brauchen.
29 Stunden nach Davis’ Verschwinden von Bord der Victoria No. 168 informiert sein Arbeitgeber, die MRAG, die US-Küstenwache. So steht es in der Chronik von Elizabeth Mitchell. Der Hilferuf bleibt erfolglos. Die US-Küstenwache hat in dem Gebiet keine Schiffe. Auch die Peruaner nicht. Die Suche übernehmen schließlich Schiffe, die in der Gegend sind. Nach 72 Stunden wird die Aktion abgebrochen.
Die Victoria No. 168 nimmt Kurs auf Panama. Die US-Küstenwache bittet das FBI um Unterstützung und stellt ein Team zusammen. Sieben Beamte, vier Dolmetscher. Am 21. September, sechs Tage nach Davis’ Verschwinden, gehen die panamaischen Ermittler an Bord der Victoria No. 168. Den US-Behörden wird der Zutritt verwehrt. Das Kühlschiff fährt unter der Flagge Panamas. Die Amerikaner sind nur Zaungäste. Erst am 27. September dürfen sie ebenfalls an Bord gehen.
Davis’ Kabine wird untersucht, seine Computer analysiert. Auch die US-Behörden bekommen Zugriff. Später stellt sich heraus: Aufzeichnungen, die belegen könnten, was im Zeitraum um Davis’ Verschwinden passiert ist, fehlen. Zwischen dem 5. August und dem 4. September 2015 schießt Davis rund 175 Fotos. Er dokumentiert 15 Fang-Transaktionen. Danach brechen seine Notizen ab. Sein letztes Lebenszeichen ist ein handschriftlicher Bericht vom 10. September 2015. Das Protokoll der Fang-Transaktion zwischen dem taiwanesischen Thunfischfänger Chung Kuo No. 818 und der Victoria No. 168. Zwei Tabellen. Die eine voll, die andere halbleer. Eine Reihe von Zahlen, hinter den letzten fehlt Davis’ Unterschrift.
Illegaler Fischfang wird meist mit Bußgeldern und dem Entzug von Subventionen und Lizenzen bestraft, nur selten mit einer Haftstrafe. Illegal gefischt wird vor allem in internationalen Gewässern und in Wirtschaftszonen von Entwicklungsländern, deren Regierungen nicht in der Lage sind, gegen Piratenfischerei vorzugehen. Besonders betroffen sind die Staaten an der westafrikanischen Küste.
„Für alle, die untergehen“
Das Recht auf See definiert das UN-Seerechtsübereinkommen. Darin ist festgehalten, wie das Meer genutzt werden darf und wer wo juristisch verantwortlich ist. In den ausschließlichen Wirtschaftszonen, den 200-Meilen-Zonen, sind es die jeweiligen Regierungen. In den internationalen Gewässern, die rund 45 Prozent der Ozeane ausmachen, sind es die Flaggenstaaten der Schiffe. Aber es gibt keine Behörde, die dafür sorgt, dass geltendes Recht auch in internationalen Gewässern durchgesetzt wird. Der Internationale Seegerichtshof vermittelt unter den Mitgliedstaaten, hat aber eine begrenzte Zuständigkeit.
Vor seinem Verschwinden schreibt Keith Davis einen Song. Ein Nachgesang an diejenigen, die auf See geblieben sind. Wenn man ihn heute hört, klingt er wie eine Prophezeiung. Ein Video zeigt Davis an Deck eines Kühlschiffs, im Hintergrund versinkt die Sonne im Meer. Davis mit olivfarbenem Longsleeve, die Beine verschränkt, die Augen geschlossen. Er singt:
„Er ging unter in der See und stieg auf mit der Sonne. / Jetzt ist er nur noch Erinnerung, an die Zeit, in der wir Spaß hatten. / Manche sagen, er sei verloren. Vielleicht wurde er gefunden. / Es muss an der Zeit für ihn gewesen sein. Manche Dinge werden wir nie wissen.“
Zum Abschied sagt Davis in die Kamera: „Für alle, die untergehen.“
Tawnya Fletcher, Davis’ Cousine, sagt über dieses Video: „Ich denke, er hatte vor allem seine Kollegen im Sinn, als er diese Zeilen schrieb. Keith liebte das Leben mit großer Leidenschaft.“ Dass er sich umbrachte, kann sie sich nicht vorstellen.
Im Juni 2016 übergeben die US-Behörden Davis’ Laptop und seine persönlichen Sachen an seinen Vater. Im August informiert das FBI Elizabeth Mitchell, dass die Behörden in Panama den Fall abschließen wollen. Der Beamte schreibt: „Ich weiß, dass viele Fragen um das Verschwinden von Keith Davis noch offen sind. Unglücklicherweise werden viele dieser Fragen wohl nie beantwortet werden. Wir müssen jede Ermittlung mit der Regierung Panamas abklären.“
Im Oktober 2016 erklären die Behörden Panamas die Ermittlungen für beendet. Ohne Ergebnis. Davis’ Vater will sich damit nicht abfinden. Im Dezember 2016 wendet er sich an die US-Botschaft in Panama. „Unser Rechtsattaché informierte mich darüber, dass die Behörden in Panama keinen finalen Report anlegten. Es tut mir leid, dass ich Ihnen nicht mehr Antworten liefern kann“, schreibt eine Botschaftsmitarbeiterin.
Drei Container Thunfisch in Dosen
Das Geschäft mit dem Fisch geht ungebremst weiter. Ein Geschäft, dessen Lieferketten bis nach Deutschland führen. Registrierter Besitzer der Victoria No. 168 ist die Firma Gran Victoria International SA. Geführt wird die Firma unter einer Adresse in Panama-Stadt. Teilhaber ist Carlos Alberto Weand Ortiz – ein Name, der in den Panama Papers auftaucht. Das sind Dateien, die 2016 durch einen Whistleblower bekannt wurden und die Informationen über Briefkastenfirmen und deren Hintermänner enthalten.
Ortiz ist dort als Teilhaber mehrerer Offshore-Firmen mit Sitz auf den Bahamas und den Jungferninseln verzeichnet. Eine Mail-Adresse von ihm findet sich im Netz. Sie gehört zu einer Schweizer Firma, an der er beteiligt ist, die Verschlüsselungen für E-Mails anbietet. Eine Anfrage der taz zum Verschwinden von Davis bleibt dort bis zum Redaktionsschluss unbeantwortet.
Die Chung Kuo No. 818, die am Morgen von Davis’ Verschwinden an der Victoria No. 168 andockt, gehört der Gilontas Ocean Group, einer Firma mit Sitz in Taiwan und Dependancen in Panama und dem Inselstaat Vanuatu. Beide Länder gelten als „Billigflaggenstaaten“, die es Reedern leicht machen, internationale Abkommen zu umgehen. Wer sein Schiff in Panama meldet, zahlt weniger Steuern, weniger Sozialabgaben, weniger Löhne und kann als Besitzer im Hintergrund bleiben.
Den Fisch, den die Flotte der Gilontas Group aus dem Meer zieht, bringt die Victoria No. 168 nach Ecuador. Einer der Abnehmer ist die Galapesca S. A. In den Räumen der Galapesca wird der Fisch zum Produkt: Dose, Stücke, Flocken. Eigner von Galapesca ist der US-Konzern StarKist, eines der größten Unternehmen auf dem US-Thunfischmarkt.
Laut dem Wirtschaftsdatenportal Panjiva lieferte Galapesca S. A. im Jahr 2014 drei Container Thunfisch in Dosen an die Delina GmbH. Eine Firma in Kempen, deren Eigenmarken auch im deutschen Einzelhandel landen und deren Produkte teilweise ein MSC-Siegel tragen. Ob die Firma auch nach dem Verschwinden von Keith Davis Thunfisch von der Galapesca S. A. bezieht, dazu äußert sich die Geschäftsführung nicht.
Laut dem deutschen Fischinformationszentrum werden rund 90 Prozent des Fischbedarfs in Deutschland durch Importe gedeckt. 50 Prozent kommen aus Nicht-EU-Ländern, rund 942.000 Tonnen mit einem Wert von 4,75 Milliarden Euro.
Ein Privatdetektiv ermittelt
Wer seinen Fisch nach Deutschland verkaufen will, braucht eine Fangbescheinigung und ein Gesundheitszeugnis. Kontrolliert wird bei der Einfuhr: Fischart, Fangmenge, Fanggebiet, Lizenz, Details zum Transport und zur Verarbeitung. Staaten, deren Fischerei sich nicht oder nur in Teilen an EU-Standards zur Bekämpfung illegaler Fischerei hält, werden besonders kontrolliert. Zuständig ist das Bundesamt für Ernährung und Landwirtschaft. 2017 wurden rund 40 Prozent der Importe aus Drittländern in der ersten Kontrollrunde abgelehnt, im zweiten Anlauf erhielten sie aber meist eine Einfuhrgenehmigung. Schätzungen zufolge kommen zwischen 30 und 50 Prozent des Fisches auf dem EU-Markt aus illegaler Fischerei.
Im Juli 2017 engagiert Davis’ Familie einen Privatdetektiv. Was genau der Ermittler bisher herausgefunden hat, will die Familie nicht verraten, um die Ermittlungen nicht zu gefährden. „Es gibt ein Motiv und es gibt Verdächtige“, sagt Davis’ Freundin und Kollegin Elizabeth Mitchell. Keith habe etwas Großes entdeckt, deswegen habe er sterben müssen. Die Familie hofft, das die neuen Beweise zu einer neuen Untersuchung führen.
Die Recherche wurde unterstützt von netzwerk recherche und der Olin Stiftung.
Rund einen Monat nach Keith Davis’ Verschwinden ging ein neuer Fischereibeobachter an Bord der Victoria No. 168.
Diese Recherche wurde gefördert und unterstützt von netzwerk recherche und der Olin Stiftung
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Doku über deutsche Entertainer-Ikone
Das deutsche Trauma weggelacht
Paragraf 218 im Rechtsausschuss
CDU gegen Selbstbestimmung von Frauen
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
Syrische Geflüchtete in Deutschland
Asylrecht und Ordnungsrufe
Sednaya Gefängnis in Syrien
Sednaya, Syriens schlimmste Folterstätte
Schwarz-Grün als Option nach der Wahl
Söder, sei still!