Verschärfung von Coronamaßnahmen: Stille Nacht
Der Lockdown light hat nicht die gewünschte Wirkung erbracht, Infektions- und Todeszahlen steigen. Bayern justiert nach, andere Länder könnten folgen.
Wenn Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) in diesen Tagen zu sehen ist, wirkt er meist sehr viel ernster als etwa sein bayerischer Amtskollege Markus Söder (CSU). Nach den in der Vorwoche verschärften Maskenregeln und der Limitierung privater Treffen auf maximal fünf Teilnehmer tauchen online und auf öffentlichen Werbetafeln immer häufiger Appelle der sächsischen Regierung an die Bevölkerung auf. „Wir müssen handeln. Jetzt. Machen Sie bitte weiter mit. Es geht um uns alle“, mahnt Kretschmer.
Zugleich räumt er ein: Die Novembermaßnahmen haben nicht zur erhofften Eindämmung der zweiten Welle geführt. Und er schließt nicht mehr aus, dass schon in den nächsten Tagen die Maßnahmen noch weiter verschärft werden müssen.
Für Bayern hat Söder dies bereits am Sonntag getan. Das könnte von anderen Bundesländern mit hohen Infektionszahlen – wie eben Sachsen – schon sehr bald übernommen werden. Denn immer mehr wird klar: Der Anfang November in Kraft getretene „Lockdown light“ hat seine Wirkung verfehlt.
Dabei konnte man noch vergangene Woche den Eindruck gewinnen, dass die Maßnahmen zumindest ein bisschen wirken. Der exponentielle Anstieg, den es den Oktober über gegeben hatte, wurde gestoppt. Und vier Wochen lang ging die Zahl der täglich gemeldeten Neuinfektionen leicht zurück: Der 7-Tage-Mittelwert, der Mitte November mit rund 18.870 Fällen pro Tag seinen bisherigen Höchstwert erreicht hatte, sank bis Mitte der vergangenen Woche auf 17.700.
Immer mehr Tote
Doch in den letzten Tagen hat sich der Trend wieder gedreht und ist deutlich auf 18.540 gestiegen. Noch dramatischer ist die Entwicklung bei den Todesfällen: Die Zahl der täglich gemeldeten Coronatoten steigt permanent weiter an. Derzeit sind es im 7-Tage-Mittel 382 pro Tag – 25 Prozent mehr als vor einer Woche und jeden Tag fast sechs Mal so viele wie zu Beginn des Lockdown light Anfang November.
Die Bundesregierung, die härtere Maßnahmen gefordert hatte, aber von den Ländern ausgebremst worden war, sieht sich nun bestätigt. „Das ist weit entfernt von der erhofften Trendwende“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag. „Das füllt die Intensivstationen in einem Maße, das wir nicht lange hinnehmen können.“
Und auch in den Ländern wächst die Erkenntnis, dass mehr passieren muss. „Die Zahlen haben sich anders entwickelt, als es notwendig ist“, gibt nun auch Sachsens Ministerpräsident Kretschmer zu.
Diese Aussage scheint für sein Bundesland eher untertrieben. Dort ist die Zahl der Neuinfektionen in den letzten Wochen regelrecht explodiert. Die Inzidenz lag mit 301 Fällen pro 100.000 Einwohner*innen in den letzten 7 Tagen zuletzt mehr als doppelt so hoch wie im Bundesschnitt.
Ostdeutschland trifft es besonders
Deutliche Anstiege – wenn auch auf weitaus niedrigerem Niveau – gab es in den letzten Wochen auch in Thüringen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg. Und auch Berlin und Hamburg verzeichneten nach einem zwischenzeitigen Rückgang in den letzten Tagen wieder steigende Werte.
Über die Gründe, warum es anders als im Frühjahr und Sommer nun die ostdeutschen Bundesländer besonders hart trifft, kann nur spekuliert werden. Denn bei 70 bis 90 Prozent der Fälle kann die Infektionskette gar nicht mehr nachverfolgt werden. Was aber schon auffällt: Die sächsischen Rekord-Infektionszahlen werden in auffälliger Weise von Regionen hochgetrieben, die für eine Häufung von Corona-Ignoranten und ihre AfD-Sympathien bekannt sind.
„Die Ursachen sind vielfältig und nicht mehr vollständig nachvollziehbar“, sagt auch die Thüringer Sozialministerin Heike Werner (Linke) von ihrem Bundesland. Zugleich gingen auch in Thüringer Städten wie zuletzt am Sonntag in Rudolstadt Hunderte sogenannte Querdenker gegen die Pandemie-Auflagen auf die Straße – die meisten ohne Masken.
In Berlin, Köln und einigen anderen Städten tobt eine Debatte, ob der Glühweinausschank vieler Restaurants und Bars sich zum Infektionstreiber entwickelt hat. Als prominenter Kritiker tat sich SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach hervor. Er berichtet, wie er in Köln Leute ohne Abstand und Maske, aber mit Glühwein oder Bier gesehen hat. „Glühweinstände unterlaufen unsere Kontaktbeschränkungen. Ich verstehe nicht, weshalb die Stadt Köln das zulässt“, schrieb er auf Twitter.
Katastrophenstichwörter
Und Bayern, wo die Infektionszahlen von Beginn der Pandemie an stets mit am höchsten waren? Um seiner Entschlossenheit im Kampf gegen das Virus Nachdruck zu verleihen, hatte Ministerpräsident Markus Söder die Kabinettssitzung um zwei Tage auf Sonntag vorverlegt und per Video eine Verschärfung der bisherigen Regeln beschlossen. Am Dienstag soll der Landtag sie absegnen, ab Mittwoch sollen sie gelten. Stichworte: Katastrophenfall, Ausgangsbeschränkungen, Wechselunterricht, Sylvesterpartyverbot.
Warum ausgerechnet Bayern schon wieder besonders hart betroffen ist, vermag zwar auch der CSU-Chef nicht zu erklären, insgesamt erklärt er sich die hohen Zahlen jedoch mit dem „Schlendrian“ der Bürger. Anders als im Frühjahr gingen viele zu lax mit den Auflagen um. Offenbar um diese Menschen aufzurütteln, bediente sich Söder einer besonders drastischen Sprache: „Alle vier Minuten stirbt ein Mensch in Deutschland an Corona“, wiederholte er mehrfach.
Konkret bedeuten die neuen Beschlüsse: Der sogenannte Teillockdown wird beendet, der Katastrophenfall ausgerufen. Neue Ausgangsbeschränkungen sehen vor, dass die eigene Wohnung nur noch verlassen werden darf, wenn triftige Gründe vorlägen. Unter triftig versteht die Regierung aber beispielsweise auch das vorweihnachtliche Shopping. Auch Treffen mit Personen eines weiteren Hausstandes sind weiterhin erlaubt.
Die von Weihnachten bis zum Jahreswechsel vorgesehenen Lockerungen wurden eingeschränkt, allerdings nicht komplett revidiert: Sie gelten nur noch vom 23. bis 26. Dezember. Silvesterpartys sind also nicht möglich. Gottesdienstbesuche sind erlaubt, aber nur mit Maske und ohne Gesang. Stille Nacht!
Sie hat es doch gesagt!
Aus dem Umfeld von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ist zu vernehmen, dass sie Verschärfungen mit Ausgangsbeschränkungen wie in Bayern für „richtig und notwendig“ hält. Ihr wäre schon im Oktober lieber gewesen, einen auf wenige Wochen begrenzten, aber harten Lockdown zu setzen. Doch sie scheiterte damit stets am Widerstand der Länderchefs.
Ob es noch vor Weihnachten zu einem weiteren Spitzengespräch zwischen Bund und Länderregierungen kommen soll, wie es Lauterbach angesichts der bundesweit steigenden Zahlen fordert? Die Kanzlerin stehe in ständigem Austausch mit den Bundesländern, sagt Regierungssprecher Seibert. „Das kann jederzeit zu einer Bund-Länder-Beratung auf Chefebene führen.“
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