Verschärfung der Polizeigesetze: Deutschland rüstet auf
Das neue bayerische Polizeigesetz hat eine scharfe Debatte ausgelöst. Doch nicht nur in Bayern erhalten Polizisten mehr Befugnisse.
Vor allem aber ist mit dem Konstrukt der drohenden Gefahr eine rechtliche Kategorie geschaffen, die der Polizei ermöglicht, künftig auch ohne konkrete Verdachtsmomente aktiv zu werden. Kritiker sehen darin eine Aufhebung der Grenze zwischen Polizei und Geheimdienst, wie es sie zuletzt im Nationalsozialismus gab.
Doch es sind längst nicht nur die Bayern, die ihr Polizeirecht verschärfen: In fast allen Bundesländern stehen ähnliche Änderungen oder zumindest Neufassungen der entsprechenden Gesetze bevor, in einigen sind sie längst beschlossen Die Welle der Gesetzesänderungen hat mehrere Gründe. Zum einen müssen viele Länder das Recht an die neue Datenschutzgrundverordnung der EU anpassen, die am nächsten Freitag in Kraft tritt.
Zum anderen steht die gesetzgeberische Aktivität im Zusammenhang mit der Debatte nach dem Terroranschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz im Dezember 2016. Es geht um einen Paradigmenwechsel: Innenpolitiker und Sicherheitsbehörden wollen nicht länger warten, bis sich ein Verbrechen konkret abzeichnet, sondern bereits lange zuvor präventiv eingreifen. Durch die Einteilung in die Kategorie Gefährder können Menschen zum Gegenstand umfassender Maßnahmen der Sicherheitsbehörden werden, ohne dass sie bereits in irgendeiner Form gegen Gesetze verstoßen hätten.
Das neue BKA-Gesetz, das 2017 noch kurz vor Ende der Legislaturperiode beschlossen wurde und in dem die Befugnisse des Bundeskriminalamts insbesondere auf dem Gebiet der Terrorabwehr massiv erweitert wurden, ist ebenfalls Ausdruck dieser Entwicklung. Es tritt am selben Tag wie die neue EU-Datenschutzrichtlinie in Kraft und ist ein weiterer wichtiger Grund für die Verschärfungen der Polizeigesetze in den Bundesländern.
Polizei darf deutlich mehr
Diese sind in einigen Ländern bereits beschlossen: In Mecklenburg-Vorpommern, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt sowie im Saarland gingen die Gesetzesänderungen bereits durch die Landtage. Die Veränderungen sind teils ähnlich tiefgreifend wie in Bayern: Im grün-schwarz regierten Baden-Württemberg etwa wurde schon im November beschlossen, dass die Polizei künftig Software zum Mitlesen verschlüsselter Chats auf den Geräten der Betroffenen installieren, elektronische Fußfesseln als Präventivmaßnahme einsetzen oder in Ausnahmefällen Handgranaten verwenden darf.
Nordrhein-Westfalen, Sachsen und Niedersachsen wollen bald nachziehen: Auch hier ist geplant, der Polizei deutlich mehr zu erlauben. In Nordrhein-Westfalen befindet sich die Gesetzesnovelle derzeit in der ersten Lesung, in Niedersachsen will die schwarz-rote Koalition noch in diesem Jahr einen Gesetzesentwurf ins Parlament bringen. In Sachsen wurde das neue Gesetz im April im Kabinett vorgestellt. Es soll ähnliche Befugnisse wie im bayerischen Gesetz beinhalten, laut Berichten von Freitag plant das Dresdner Innenministerium außerdem, die Panzerfahrzeuge der Polizei mit Maschinengewehren auszustatten. Auch im Saarland, das sein Polizeigesetz erst voriges Jahr erneuerte, sind weitere Verschärfungen geplant.
Veränderungen stehen auch in Schleswig-Holstein, Hamburg und Berlin an, hier sind bislang aber kaum Details bekannt. In Brandenburg ist nur klar, dass das Polizeirecht verschärft werden soll. Bremen und Hessen sind Sonderfälle: An der Weser liegt eine von der SPD geplante Verschärfung nach Intervention des grünen Koalitionspartners gerade auf Eis. In Hessen ist zwar keine Polizeigesetz-Novelle geplant, dafür sollen die Befugnisse des Verfassungsschutzes ausgeweitet werden. Thüringen gibt an, sein Gesetz nur „geringfügig anpassen“ zu wollen.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
„Edgy sein“ im Wahlkampf
Wenn eine Wahl als Tanz am Abgrund verkauft wird
Denkwürdige Sicherheitskonferenz
Europa braucht jetzt Alternativen zu den USA
Überraschung bei U18-Wahl
Die Linke ist stärkste Kraft
RTL Quadrell
Klimakrise? War da was?
Absturz der Kryptowährung $LIBRA
Argentiniens Präsident Milei lässt Kryptowährung crashen
Ukraine-Verhandlungen in Saudi-Arabien
Wege und Irrwege aus München