Verpackungsverordnung der Kommission: EU setzt auf Mehrweg
Europa hat ein Problem mit Verpackungsmüll und es wird immer größer. Die EU-Kommission will diesen Trend stoppen, aber die Pläne sind umstritten.
Die EU-Kommission hat dazu eine neue Verpackungsverordnung entworfen. Sie will unnötige Kartons und Verpackungen vermeiden, mehr Mehrweg statt Einweg, zudem das Recycling ausbauen. Nachdem vor zwei Jahren bereits Einweg-Plastikprodukte wie Teller, Besteck, Trinkhalme verbannt wurden, geht es nun nicht allein um Kunststoffe. Das trifft viele in der Wirtschaft, Einzel- und Onlinehändler, Lebensmittel- und andere Konzerne. In Frage steht: Was ist eigentlich machbar, was sinnvoll?
Am Problem zweifelt derweil kaum jemand. Verpackungen sind schnell weggeschmissen. In der EU machen sie 36 Prozent der kommunalen festen Abfälle aus. Ein- oder zweimal die Haare gewaschen, landet das Shampoo-Fläschchen schon in der Tonne. Die Bestellungen im Internet haben über die Jahre zugenommen, an Karton, Pappe, Folie wird da selten gespart. Und mit einer alternden Gesellschaft wie in Deutschland werden Haushalte kleiner, verkaufte Portionsgrößen auch.
Insgesamt wirft jede und jeder in Europa im Schnitt rund 180 Kilo Verpackungen in den Müll – pro Jahr. Spitzenreiter ist Deutschland. Bürgerinnen und Bürger hierzulande kommen auf 226 Kilogramm. Der Ressourcenverbrauch: enorm. 50 Prozent des Papiers und 40 Prozent aller Kunststoffe, die in der EU verwendet werden, sind für Verpackungen. Tendenz steigend. Die Brüsseler Kommission prophezeit, dass im Jahr 2030 schon 209 Kilo Verpackungsmüll pro Kopf anfallen würden – wenn sich nichts ändert.
Verbieten oder wiederverwenden
Die EU-Kommission will dabei nicht einfach zuschauen, sondern den Berg von Verpackungsabfällen verkleinern, die Menge im Vergleich zu 2018 bis 2030 um 5, bis 2035 um 10 und bis 2040 um 15 Prozent mindern. Dazu will sie manche Verpackungen ganz verbieten. Die Miniatur-Arten in Hotels etwa, zu denen auch die Marmeladendöschen auf dem Frühstückstisch gehören. Auch die überdimensionierten im Versandhandel, Leerräume sollen auf 40 Prozent beschränkt werden. Oder unnötige Einwegverpackungen von Obst und Gemüse.
Andere Verpackungen sollen öfter verwendet werden können, 2030 etwa 20 Prozent derer, die für Getränke zum Mitnehmen gedacht sind, 10 Prozent derer für Speisen. 2040 sollen es 80 beziehungsweise 40 Prozent sein. Das ist in den Restaurants, Cafés und Supermärkten in Deutschland schon einigermaßen eingeübt, sie müssen seit 2023 für Essen und Getränke zum Mitnehmen immer auch die Mehrweg-Alternative haben. Mehrweg soll sich aber nicht nur darauf beschränken.
Auch 90 Prozent der Verpackungen großer Haushaltsgeräte sollen ab 2030 wieder verwendbar sein. So beginnt der grundsätzliche Streit über Einweg versus Mehrweg jetzt auch in einem Bereich, der lange davon ausgenommen war.
Denn: Bisher werden etwa Kühlschränke oder Waschmaschinen vor allem mit Kartons und Kunststoffbändern vor Schäden beim Transport von der Fabrik zum Händler oder Kunden geschützt. Für den Karton gibt es dann keine weitere Verwendung. Er landet in der Recyclingtonne. Kisten, die sich öfter nutzen lassen, sind noch selten.
Industrie: Mehrweg nicht immer besser
Mehrweg sei „keineswegs immer die bessere Wahl“, erklärt der Vorsitzende des Verbandes der Wellpappen-Industrie, Steffen Würth, der auch Geschäftsführer von Straub-Verpackungen im baden-württembergischen Bräunlingen ist. Die Firma hat sich auf Transportverpackungen aus Wellpappe spezialisiert. Er beruft sich auf eine Studie, die die Gesellschaft für Verpackungsmarktforschung (GVM) im Auftrag des Verbandes gemacht hat.
Demnach drohten, so Würth, „elf Prozent mehr Kunststoffverbrauch, 200 Prozent mehr Transportkilometer, 80 Prozent mehr Lagerfläche und um bis zu 400 Prozent höhere Kosten für Packmittel.“ Die Kisten für Mehrweg, die in der Regel aus Plastik sind, müssten gereinigt und wieder ausgeliefert werden. Das werde oft ausgeblendet. Derweil würden die Einwegverpackungen optimiert, habe ein Quadratmeter Wellpappe 2017 im Schnitt noch 515 Gramm gewogen, seien es mittlerweile nur noch 504 Gramm.
Doch sollen ab 2030 auch 10 Prozent aller Sendungen im Onlinehandel in einem Mehrweg-System verschickt werden, ab 2040 dann 50 Prozent. Die EU-Kommission gibt dieser Branche für die Umstellung damit mehr Zeit, am Prinzip Mehrweg statt Einweg führt für sie aber offenbar kein Weg vorbei. Ist das falsch?
Till Zimmermann vom Hamburger Umweltberatungsinstitut Ökopol hat die Unternehmen Otto und Tchibo bereits vor einigen Jahren wissenschaftlich begleitet, als diese Mehrweg-Versandtaschen des finnischen Anbieters Repack testeten. Das habe sich als aufwendiger erwiesen als gedacht, sagt er. Tchibo mache derzeit aber einen neuen Mehrweg-Probelauf. Auch der Logistikkonzern DHL suche nach Lösungen.
Fokus liegt auf den Transportwegen
Zimmermann meint: „Erst vor Kurzem hat Günther Jauch auch die Einweg-Plastikflaschen aus Recyclingmaterial von Lidl als ökologisch angepriesen. Dabei wird immer unterschätzt, dass auch die bestehenden Mehrwegsysteme noch besser werden können.“ Den Ausschlag gäben immer die Transportwege. „Fährt ein Lkw eine einzelne Mehrwegkiste hin und her, um sie zu säubern und zu verteilen, ist das natürlich nicht effizient. Das lässt sich logistisch aber anders lösen, allemal wenn Mehrweg üblicher wird.“
Aber: Geht es nach der EU-Kommission, sollen ab 2030 alle Verpackungen recycelbar sein. Und schon heute sind Kartons, Pappen, Wasser-Plastikflaschen zu großen Teilen aus recyceltem Material. Ändert das nichts? Ines Oehme, die beim Umweltbundesamt das Fachgebiet „Kunststoffe und Verpackungen“ leitet, sagt es so: „Abfälle gar nicht entstehen zu lassen, also nicht so viele Materialien zu nutzen, ist immer das Beste. Am zweitbesten ist es, die Dinge mehrfach zu nutzen. Danach kommt erst das Recycling. Das Wegwerfen steht ganz am Schluss.“
Das sei die Abfallhierarchie – vermeiden, wiederverwenden, recyceln – und der Kern deutscher und europäischer Gesetzgebung. Es gebe keinen Grund, daran zu rütteln. Auch wenn sie zum Beispiel strengere Mehrwegvorgaben etwa für Getränke will, die bisher hinter dem Status quo in Deutschland zurückbleiben, sagt sie: „Wir begrüßen den Vorschlag der EU.“
Der Entwurf mit seinen 65 Paragrafen muss nun mit dem Parlament und dem Rat der Mitgliedsländer abgestimmt werden. Geht alles nach Plan, soll die Verordnung Mitte 2024 in Kraft treten.
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