Vermieter ohne Gier: Zu fair fürs Finanzamt
Ausbeutung beginnt bei überteuerten Mieten, findet Vermieter Hans H. in Berlin. Das Finanzamt hält das für unwirtschaftlich und bedrängt ihn.
BERLIN taz | Hans H. könnte ein reicher Mann sein. Ihm gehört in Berlin ein großes, schönes Haus: Vorderhaus, Seitenflügel, Quergebäude, vier Etagen, über 30 Wohnungen. Beste Lage, in einem dieser durchsanierten, teuren In-Viertel im Osten der Stadt.
Hans H. ist aber nicht reich. Mit seinem Haus verdient er nicht viel Geld, zumindest weitaus weniger, als er könnte. Während die Berliner Immobilienanzeigen und das Internet voll sind mit Angeboten, in denen 900 Euro für 62 Quadratmeter in Charlottenburg oder 692 Euro kalt für 27 Quadratmeter in Mitte verlangt werden, sind die Mieten im Haus von Hans H. moderat. Die Singles, Paare und Familien zahlen im Durchschnitt 3,50 Euro Nettokaltmiete pro Quadratmeter.
Damit ist Hans H. eine Ausnahme unter den VermieterInnen in Berlin. Aber diese „soziale Ader“, wie eine der MieterInnen sagt, ist nicht erwünscht. Jedenfalls nicht bei Behörden wie dem Berliner Finanzamt. Das hat von dem, was HausbesitzerInnen mit ihrem Eigentum verdienen sollen, eine eigene Vorstellung.
Wer vermietet, muss einen „Einnahmeüberschuss“, also Gewinne, erzielen, erklärt die Steuerberaterkammer München auf ihrer Homepage. Wer das nicht oder nur in geringem Maße tut – so wie Hans H. – muss damit rechnen, Ärger mit dem Finanzamt zu bekommen. Denn wer „fortdauernd Verluste erzielt“ mit seinen Immobilien, dem wird „Liebhaberei“ unterstellt, jedenfalls in steuerlichem Sinne. Davor macht auch die Erbschaftsteuer nicht halt.
Wie viel Gewinn ist angemessen?
„Die Zielrichtung des Finanzamts ist nachvollziehbar“, sagt der Berliner Steueranwalt Martin Wulf. Und erklärt es an einem Beispiel: Jemand, der einen Porsche geschenkt bekommt, aber sagt, er fahre dieses Auto nicht, weil das eine Umweltsauerei wäre, ist trotzdem reicher geworden. Und dafür müsse er Erbschaftsteuer zahlen.
Zurückzuführen ist das auf eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs Ende der neunziger Jahre, nach der bei einer „auf Dauer angelegten Vermietungstätigkeit von der Absicht des Steuerpflichtigen auszugehen ist, einen Gewinn zu erzielen“.
Hans H.s Vermietungen sind auf Dauer angelegt. Er will mit seinem Haus auch einen Gewinn erzielen, Verluste macht er in keinem Fall. Er lebt nämlich von dem Geld, das er mit seinen Wohnungen verdient. Und er lebt so, dass er nichts vermisst. Er hat eine eigene große Wohnung, ein Auto, einen kleinen Garten, er macht mehrmals im Jahr Urlaub. Mehr braucht er nicht, sagt er. Vor allem aber sagt er: „Ich will mich nicht an meinen Mietern bereichern.“
Das ist ein Grundprinzip in seinem Leben: Es soll ihm und anderen gut gehen, er will niemanden ausbeuten. Und Ausbeutung, findet er, beginnt bei überteuerten Mieten. „Wohnen ist ein Grundrecht. Aber das wird seit einigen Jahren in Deutschland massiv beschnitten“, sagt Hans H. Er wolle da jedenfalls nicht mitmachen.
Glücklich ohne Wucher
Diejenigen, die schon sehr lange im Haus wohnen, manche seit über zwanzig Jahren, hatten noch nie eine Mieterhöhung im Briefkasten. Sie wohnen zu einer mittlerweile traumhaften Miete in einem überdrehten Gentrifizierungskiez: beispielsweise auf rund 100 Quadratmetern für rund 400 Euro netto kalt. Rechnet man Nebenkosten wie Wasser, Müllabfuhr und Hausreinigung dazu, ergibt das eine Warmmiete zwischen 550 und 700 Euro.
Aber auch die MieterInnen, die erst vor Kurzem eingezogen sind und höhere Mieten zahlen, sind glücklich. Sie müssen durchschnittlich bis zu 800 Euro für 100 Quadratmeter bezahlen, bei Neuvermietungen orientiert sich Hans H. am Berliner Mietspiegel. „Alles andere ist Wucher“, findet er.
Hans H. will fair sein. Dafür erwartet er, dass seine MieterInnen die Wohnungen in Schuss halten, nicht heimlich untervermieten und auch mal kleinere Reparaturen selbst ausführen. So wie das im Mietrecht geregelt und allgemein üblich ist.
Und so läuft das auch in seinem Haus. Die langjährigen BewohnerInnen haben sich vor etwa 25 Jahren selbst Gasetagenheizungen einbauen lassen, Böden abgeschliffen, teilweise Bäder umgebaut. Die Modernisierungen bekamen die MieterInnen größtenteils über ein Förderprogramm für Wohnungsmodernisierungen bezahlt, manchmal gab Hans H. Geld dazu. Das hätte er nicht tun müssen, aber ihm war wichtig, dass am Ende alles gut gemacht ist. Auf diese Weise behielten die BewohnerInnen ihre günstigen Mieten.
Hoffeste und gemeinsame Abende
Für alles andere, beispielsweise Reparaturen am Dach, am Dachboden, an den Balkonen und an den Sanitärsträngen, ist Hans H. zuständig. Und das bezahlt er natürlich auch. Das ist teuer, aber das lässt Hans H. seine MieterInnen nicht spüren. Er kennt jede und jeden im Haus persönlich, mit manchen pflegt er ein freundschaftliches Verhältnis. Im Sommer gibt es Hoffeste, im Winter Abende, an denen sich MieterInnen und Vermieter gegenseitig Reisefotos zeigen.
„Es lebt sich wunderbar hier“, sagt Mieterin Sabrina Kleinert: „Ich möchte nirgendwo anders hin.“ Hans H. sei der beste Vermieter der Stadt. Das gefällt zwar allen im Haus, aber das gefällt nicht dem Finanzamt. Das macht jetzt nämlich Druck: Hans H. nehme zu geringe Mieten, bei ihm sei keine Gewinnabsicht zu erkennen. Hans H. findet das absurd. Gerade trat die Mietpreisbremse in Kraft, mit der dem Mietwucher Einhalt geboten werden soll. Und dann verlangt das Finanzamt indirekt von ihm, die Mieten zu erhöhen.
Steuerrechtlich sei das durchaus legitim, sagt hingegen Anwalt Wulf: Ein Gebäude dürfe mit einer „erzielbaren Miete“ bewertet werden. Beispielsweise dann, wenn jemand eine Immobilie umsonst vermiete und so keine Mieteinnahmen vorhanden seien. Aber das ist bei Hans H. nicht der Fall.
Hans H. besitzt das Haus erst seit Kurzem allein. Bis vor zwei Jahren waren er und seine Mutter eine Eigentumsgemeinschaft, das Haus gehörte ihnen zusammen. Solange beide eine gemeinsame Steuererklärung für das Haus abgaben, hatte das Finanzamt nichts gegen die geringen Mieten einzuwenden. Oder waren sie der Behörde nur nicht aufgefallen? Erst als die alte Dame vor zwei Jahren starb und der Sohn die Anteile seiner Mutter am Haus erbte, wurden die Mieten ein Problem. Die Höhe der Erbschaftsteuer ergibt sich aus dem sogenannten Ertragswertverfahren, einer komplizierten Rechnung, bei der Grundstückswert, Jahresmieteinnahmen und die Kosten für die Instandhaltung gegeneinander verrechnet werden.
„Tricks“ beim Finanzamt
Bei Hans H. ist da nicht viel zu holen. Durch die geringen Mieten und dem hohen Erhaltungsaufwand bleibt nicht viel an Erbschaftsteuer übrig, das dem Finanzamt etwas bringen würde. 87 Prozent der Mieteinnahmen fließen direkt zurück ins Haus, versichert der Mann. Als Reparaturen, Ausbau- und Verschönerungsarbeiten, den Garten im Hof. Das Haus ist alt, es gibt immer was zu tun.
Das Finanzamt verlangt trotzdem eine sechsstellige Summe als Erbschaftsteuer. Um auf eine solch hohe Zahl zu kommen, greift die Behörde zu einem „Trick“, wie Hans H. sagt: Das Finanzamt rechnet die Mieten hoch und setzt so Summen für die Berechnung der Erbschaftsteuer fest, die gar nicht geflossen sind. Auf diese Weise erhöhen sich die Einnahmen des Finanzamtes. „Das ist unverschämt“, sagt Hans H. Er hat gegen den Bescheid Widerspruch eingelegt.
Das Finanzamt wittert noch eine weitere Einnahmequelle. Wenn ein Unternehmen – und nichts anderes ist Hans H. mit seinem Wohnhaus – keine Gewinne abwirft, kann es nichts von der Steuer absetzen, keine Aufwendungen, keine Werbungskosten. So wie das Selbstständige üblicherweise machen. Die Ausgaben, die Hans H. für die Instandhaltung hat, müsste er dann komplett allein tragen und könnte sie nicht wie üblich mit den Einnahmen verrechnen.
Dass es bei Hans H. so kommen könnte, darauf hat ihn eine Mitarbeiterin im Finanzamt vorsorglich hingewiesen. Und davor warnen Steueranwälte und Lohnsteuerhilfevereine. „Werden Verluste bei vermieteten Wohnungen oder Häusern in einer Einkommensteuererklärung geltend gemacht, muss man sich darauf einstellen, dass das Finanzamt die Gewinnerzielungsabsicht konsequenter prüft“, warnt der Lohnsteuerhilfeverein für Arbeitnehmer. Hans H. könnte aber sogenannte Billigkeitsgründe geltend machen, sagt Steueranwalt Wulf, also erklären, warum er die Mieten niedrig hält. Wulf: „Das lässt das Gesetz zu.“
Hans H. fürchtet eine solche Prüfung des Finanzamtes. Denn unterstellt es ihm am Ende „Liebhaberei“ und er könnte die Instandhaltungskosten nicht mehr von der Steuer absetzen, müsste er einen Kredit aufnehmen, um das Haus zu erhalten. Oder er müsste die Mieten erhöhen. „Genau das will ich nicht“, sagt er. Mit Trotz in der Stimme.
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