piwik no script img

Vermeintlicher LinksextremismusWas ist „geistige Offenheit“?

Das Zentrum DemoZ in Ludwigsburg kämpft um den Status der Gemeinnützigkeit. Das Finanzamt hatte dem Verein bescheinigt, zu links zu sein.

Ein Demonstrant im Attac-Shirt bei einer Demo vor dem Hauptwerk von Tönnies im Juli 2020 Foto: Noah Wedel/imago

Freiburg taz | Das Demokratische Zentrum (DemoZ) Ludwigsburg wehrt sich gegen den Verlust seiner Gemeinnützigkeit. An diesem Mittwoch wird beim Finanzgericht Stuttgart eine sogenannte Untätigkeitsklage eingereicht, die der taz vorliegt. Das DemoZ ist das soziokulturelle Zentrum von Ludwigsburg, einer Stadt mit knapp 100.000 Ein­woh­ne­r:in­nen nördlich von Stuttgart. Das DemoZ hat ein klar linkes Selbstverständnis und sein Programm wird von einem Kreis von rund 15 Ehrenamtlichen gestaltet. Seit seiner Gründung 1980 war es als gemeinnützig anerkannt.

Im November 2019 entzog jedoch das Finanzamt Ludwigsburg dem DemoZ die Steuerbegünstigung. Das Zentrum erfülle seinen Gemeinnützigkeitszweck, die politische Bildung, nicht „in geistiger Offenheit“. Untergruppen des DemoZ strebten vielmehr eine „herrschaftsfreie Gesellschaft“ an.

Gemeint sind hier insbesondere das Libertäre Bündnis (LB) und die Freie Arbeiter-Union (FAU). Das Kriterium der „geistigen Offenheit“ entnahm das Finanzamt einem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom Januar 2019. Damals hatte der BFH als höchstes deutsches Finanzgericht der globalisierungskritischen Organisation Attac den Entzug der Gemeinnützigkeit bestätigt. Wer Kampagnen für politische Ziele durchführe, betreibe keine politische Bildung, war der Kerngedanke des Attac-Urteils.

Die Anwälte des DemoZ legten zwar sofort Einspruch gegen den Entzug der Gemeinnützigkeit ein, doch darüber hat das Finanzamt bis heute – rund zwei Jahre später – noch nicht entschieden. Deshalb wird nun eine Untätigkeitsklage erhoben.

Das DemoZ hält seine Gemeinnützigkeit auch nach dem Attac-Urteil für gegeben, denn es verfolge keine politischen Ziele. „Seine Öffentlichkeitsarbeit beschränkt sich auf die Bekanntmachung seiner Veranstaltungsprogramme“, heißt es in der Klage-Begründung. Der Verein fördere vielmehr „eine offene Diskussion politischer Fragen“.

Ein Demoaufruf ab und zu ist ok

Der BFH habe „keine apolitische Neutralität“ gefordert, so die Kläger:innen. Außerdem sei es mit der Gemeinnützigkeit vereinbar, dass sich einzelne Mitglieder des DemoZ in kapitalismuskritischen oder antifaschistischen Gruppen wie dem LB oder der FAU engagieren und mit ihren Positionen das Veranstaltungsprogramm mitgestalten. Es liege in der Natur eines ehrenamtlich organisierten und selbstverwalteten Vereins, dass sich Menschen mit ihren eigenen Interessen und Positionen einbringen.

Die DemoZ-Klage wird wegen ihrer grundsätzlichen Bedeutung von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) unterstützt. „Der Fall zeigt, wie gefährlich das Kriterium der ‚geistigen Offenheit‘ sein kann“, sagte GFF-Juristin Vivian Kube.

Im Koalitionsvertrag der Ampelkoalition sind gesetzliche Klarstellungen geplant. Zwei Punkte haben die Fi­nanz­mi­nis­te­r:in­nen von Bund und Ländern in ihrem Anwendungserlass zum Gemeinnützigkeitsrecht Ende Januar bereits geändert. So wird klargestellt, dass ein Verein auch über seinen Satzungszweck hinaus „vereinzelt zu tagespolitischen Themen Stellung“ nehmen darf. Ein Sportverein darf also gelegentlich zu einer antirassistischen Demo aufrufen. Außerdem darf sich eine Organisation für ihre gemeinnützigen Ziele auch mit politischen Mitteln einsetzen, so der novellierte Erlass. Bisher war dies eine Grauzone.

Das Bündnis „Zivilgesellschaft ist gemeinnützig“ hält die Änderung des Erlasses für unzureichend, weil er nur die Finanzämter, nicht aber die Finanzgerichte bindet. Erforderlich sei eine gesetzliche Klarstellung in der Abgabenordnung.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Ja wie? Wat issen nu wieder ditte?

    “ Das Zentrum erfülle seinen Gemeinnützigkeitszweck, die politische Bildung, nicht „in geistiger Offenheit“. Untergruppen des DemoZ strebten vielmehr eine „herrschaftsfreie Gesellschaft“ an.“



    Im Finanzamt - „geistige Offenheit“?



    Mach Bosse.



    Geistige Kategorie: Tür geht auf FinBeamter steckt sich im Flur 🚬 ne Fluppe an & Tür geht auf FinBeamter steckt sich im Flur 🚬 ne Fluppe an!



    Begegnung - unisono - “Na! Kannst auch nicht 💤💤💤? Gellewelle.“

    kurz - “Söchst du Wuust inn Hunnenstall?“ - Volkers 👄 -



    Bin mir aber sicher - daß insbesondere die Merz-HilfsOrgs - „in geistiger Offenheit“ erstarren. Wie ich’s fast 10 Jährchen in Westfälisch Sibirien konstatieren konnte. Wollnichwoll.

    kurz - Einbildung is ja auch ne Form von Bildung.



    & klar - Wir können auch anders! Gell!



    Frauman achte auf das Datum 6. 6. 2005



    “ Verbrecherisch gemeinnützig



    Hamburg soll SS-Traditionsverband die Gemeinnützigkeit aberkennen, fordert der Leiter des Simon Wiesenthal Centers in einem offenem Brief an Bürgermeister Ole von Beust



    taz.de/!598630/

    • @Lowandorder:

      Mist between ☕️☕️ zu schnell

      Faulobst - Gellewelle&Wollnichwoll -

      Die Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der Angehörigen der ehemaligen Waffen-SS e. V. (HIAG) wurde 1951 als „Traditionsverband“ in Deutschland begründet. Die Gründer, Funktionäre und Redner waren verschiedene Offiziere der Waffen-SS. Der Bundesverband löste sich 1992 auf, regionale Organisationen existieren aber vereinzelt weiter. Die HIAG wurde zeitweilig als rechtsextremistisch vom Verfassungsschutz beobachtet und war bei der Bevölkerung und in den Medien ab den 1960er Jahren zunehmend umstritten. Eines der erklärten Ziele der HIAG war die Änderung der gesellschaftlichen und juristischen Wahrnehmung der Angehörigen der Waffen-SS als normale Soldaten.



      & GEISTIGE OFFENHEIT - for ever -

      Die HIAG hatte von ihrer Gründung bis in die 1970er Jahre nicht nur erheblichen Einfluss im Netzwerk der Soldaten- und Traditionsverbände, sondern pflegte auch intensive Kontakte zu den im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien. Sie erreichte so für die ehemaligen Angehörigen der Waffen-SS deren „Rehabilitierung“ und uneingeschränkte Rentenversorgung, während die Parteien im Gegenzug hofften, durch solche Zugeständnisse die Mitglieder und Anhänger der HIAG in die demokratische Gesellschaft zu integrieren und ihre Wählerstimmen zu gewinnen. Erst in den 1980er Jahren kam es zur Distanzierung: CDU-Bundestagsabgeordnete beendeten ihre Mitarbeit; die SPD beschloss die Unvereinbarkeit, da die HIAG „dazu beiträgt, nationalsozialistisches Gedankengut zu vertreten bzw. zu verharmlosen“…,..



      de.wikipedia.org/w...emaligen_Waffen-SS

      Na Servus

  • 0G
    05989 (Profil gelöscht)

    Kohls "geistig-moralische Wende" hat ein bisschen Anlauf gebraucht... aber jetzt reitet Merz die Welle: Nazis in Justiz, Exekutive, Behörden, Politik..

    Und wir Dummerchen dachten, die wären nur beim Bund und Verfassungsschutz...

  • Wir kennen das.



    Rechtsextremisten haben keine Probleme mit steuerlicher Förderung, aber wehe man kommt in den Verdacht, links zu sein.

    www.tagesspiegel.d...lten/24066402.html

    • 0G
      05989 (Profil gelöscht)
      @Kaboom:

      Guter Link!

      Und wer ist Ministerpräsident in The Land?

      Verwegene These: Vielleicht erklärt das, warum Kretschmann trotz Radikalenerlaß dann doch noch Lehrer werden durfte...