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Verharmlosung von RechtsextremismusWann ist ein Nazi ein Nazi?

Daniel Schulz
Kommentar von Daniel Schulz

Die Mehrheit erkennt einen Nazi erst, wenn er mit Hitlerbärtchen daherkommt. Rechtsradikale nicht beim Wort zu nehmen, ist derzeit die größte Gefahr.

Lebkuchenherzen bei einer Demonstartion gegen Rechts in Frankfurt/Main am 8. Juni Foto: Boris Roessler/dpa

S o sehr sie sich auch anstrengen, die AfD und ihre Fans werden in Deutschland nicht ernst genommen. 70 Prozent der befragten AfD-Wähler:innen sagten in einer Umfrage zu den Wahlen am vergangenen Sonntag, sie entscheiden sich wegen der politischen Forderungen der Partei für die AfD. Genau diese Entscheidung trauen aber 70 Prozent aller Befragten in der gleichen Umfrage – also auch Wäh­le­r:in­nen anderer Parteien – den AfD-­Wäh­le­r:innen nicht zu.

Diese 70 Prozent glauben, Menschen wählen die AfD aus Protest statt aus Überzeugung. Rechts­ex­tre­me können der Mehrheit in diesem Land ins Gesicht schreien, dass sie es ernst meinen, und trotzdem ignoriert diese Mehrheit es oder redet es sich bequem.

Wer noch zweifelt, ob die AfD wirklich, wirklich rechtsextrem ist, kann sich die Bücher und Social-­Media-Kacheln mit Aussagen ihrer Po­li­ti­ke­r:in­nen ansehen, die Studie zum rechtsradikalen Profil ihrer Wählerschaft von Arzheimer und Berning 2019, die erste seitenlange Untersuchung der AfD in dieser Zeitung vom 23. August 2014.

Selbst der Verfassungsschutz hat das Faschistoide der AfD inzwischen festgestellt. Oder diese Umfrage vom Wahlsonntag: 82 Prozent der befragten AfD-­Wäh­le­r:in­nen sagen über ihre Partei, es sei ihnen „egal, dass sie in Teilen als rechtsextrem gilt, solange sie die richtigen Themen anspricht“.

Solidarität statt die AfD kopieren

Würden die anderen Parteien und ihre Wäh­le­r:in­nen den Rechtsextremismus der AfD ernst nehmen, dann hätte der Umgang mit dieser Partei und ihrem Umfeld eine ganz andere Dringlichkeit. Zumindest die sich als links verstehenden Parteien und ihre Wäh­le­r:in­nen würden die rassistische Erzählung und Praxis einer Welt, in der „die Deutschen“ ihren Platz an der Sonne mit allen Mitteln verteidigen, nicht von der AfD kopieren. Sondern eine eigene Erzählung und Praxis der Solidarität setzen.

Natürlich ist das schwierig, weil die Erzählungen der AfD bei Wahlen erfolgreich sind und ohne komplexe Erklärungen auskommen. Es ist aber nicht so, als gäbe es keine Modelle, wie sich diese Gesellschaft anders gestalten ließe.

Von Marina Weisband, die mit ihrem Aula-Projekt Schulen demokratischer organisieren möchte, über eine empathischere politische Bildung bis hin zu Gruppen, die Menschen in der Lausitz dabei unterstützen, sich künstlerisch auszudrücken. Es existieren hunderte Ansätze. Was es nicht gibt – außer bei autoritären Linken –, ist das eine Großmodell, das alle Probleme in Luft auflöst.

Solidarische Praxis hieße, Ressourcen wie Zeit und Geld zu teilen, um gemeinsam Einfluss zu nehmen – gerade auch in Dörfern und Kleinstädten. Prodemokratische Menschen, die sich dort mit Rechtsextremen anlegen, riskieren ihre Gesundheit. Sie brauchen Geld, um ihre Arbeit fortzusetzen.

Erstaunen über den netten Dorfnazi

Dieses Geld sollte eigentlich mit dem Demokratiefördergesetz fließen, aber die FDP blockiert das. Linke und linksliberale Wäh­le­r:in­nen lieben es, diese Partei zu verachten. Sinnvoller wäre es jedoch, Abgeordneten von SPD, Grünen und FDP Druck zu machen. Schrei­ben, fragen, warum das Gesetz nicht beschlossen wurde. Noch mal nachfragen.

Wer auf den Staat nicht warten will, schreibt eine Dauerüberweisung an den Verein Polylux oder den Dachverband der Mi­gran­t*in­nen­or­ga­ni­sa­tio­nen in Ostdeutschland. Die verteilen Geld an Gruppen, die es brauchen.

Linke Gruppen aus Ost und West, Stadt und Land, Migrantifas und Weißbrote wuseln zu oft neben­ein­ander her. Über so harte Konflikt­linien wie bei der Ukraine und Gaza lassen sich tatsächlich schwer ­Möglichkeiten der Zusammenarbeit finden. Doch über die Petitesse, dass man sich gegenseitig uncool findet, sollte man hinwegsehen können.

Weiße Menschen, die aufs Land ziehen, sollten nicht nur erstaunt feststellen, dass der Handwerker von der AfD so nett zu ihnen ist wie der Dorfnazi im Roman von Juli Zeh. Sondern nachfragen, zu wem der Handwerker nicht nett ist. Und sich entsprechend organisieren. Sich organisieren, nicht allein bleiben und andere nicht allein lassen, ist ohnehin eine gute Idee.

Das ständige Gerede von Abschiebungen

Wenn Po­li­ti­ke­r:in­nen von Union bis Grüne das Rassistische und Unsolidarische an der AfD als Gefahr ernst nehmen wollen, sollten sie den Boden, auf dem diese Partei geht, nicht mit ihren Zungen wischen. Das Gerede von Abschiebungen, Abschiebungen, Abschiebungen – geht da was anderes als AfD-Kopie?

2015 war es, da bezweifelten Menschen bis ins linksliberale Spek­trum hinein, dass das Pegida-Gesicht Lutz Bachmann ein rechtsextremer Rassist sei. Dann tauchte ein Foto von ihm mit Hitlerbärtchen auf. Aufschrei, sogar bei Pegida. Müssen sich Nazis in Deutschland als Nazis verkleiden, um als Nazis ernst genommen zu werden?

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Daniel Schulz
Reportage und Recherche
Redakteur im Ressort Reportage und Recherche. Autor von "Wir waren wie Brüder" (Hanser Berlin 2022) und "Ich höre keine Sirenen mehr. Krieg und Alltag in der Ukraine" (Siedler 2023). Reporterpreis 2018, Theodor-Wolff-Preis 2019, Auszeichnung zum Team des Jahres 2019 zusammen mit den besten Kolleg:innen der Welt für die Recherchen zum Hannibal-Komplex.
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15 Kommentare

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  • Danke für diesen Kommentar. Mir ist es auch schleierhaft, wie es sein kann, dass den Rechten ihre Positionen nicht geglaubt werden. Wenn es Grund gibt ihnen nicht zu glauben, dann nur weil sie in der Öffentlichkeit eine Strategie der Selbstverharmlosung fahren und ihre eigenen Forderungen noch untertreiben um anschlussfähiger zu sein. Aber ihnen zu unterstellen, dass sie das was sie fordern ja eigentlich gar nicht umsetzen wollen ist mir unbegreiflich...



    Wer wählt wie ein Nazi, spricht wie ein Nazi und denkt wie ein Nazi, ist ein Nazi.

  • ...werden nicht oft Begrifflichkeiten unwissentlich oft verwendet ?

    Nazis = Abkürzung von Nationasoziaisten der NSDAP , eine Partei, es aber nicht mehr gibt...

    Bitte nicht Nationalsozalisten mit NATIONALISTEN verwechseln !

    Nationalisten gibt es in JEDEM Land und umschreibt die Zugehörigkeit zu seinem Staat - ebend zu seiner Nation.







    Gehört nicht schon der Begriff Nazi genauso verboten, wie der Hitlergruß ?

    Sollte man nicht Sympathisanten der "A" Partei einfach als " Affi's " titulieren, um da eine gewisse Differenzierung zu bekommen...

  • Begrifflich wäre zunächst erst mal zwischen "Nazi" und "Neonazi" zu differenzieren. "Nazis" gibt es meines Wissens nicht innerhalb der AfD. Wieviele "Nazis" leben überhaupt noch? "Neonazis" könnten sich dort durchaus tummeln, wobei sich diese wohl besser z.B. in "Die Heimat" aufgehoben fühlen dürften. Was die AfD betrifft gibt es dort erwiesenermaßen Rechtsextreme, antipatriotische Russlandfreunde und Faschisten, mit teilweise engen inhaltlichen Überschneidungen zu BSW, Linke sowie russlandfreundlichen Teilen der SPD. Soll man BSW deshalb nun als Faschisten bezeichnen, weil sie einem faschistischen Russland die Stange hält? Nach Daniel Schulz Argumentation wäre dies durchaus angebracht. Ich persönlich halte diesen Wunsch nach speärachlicher Dämonisierung des politischen Gegners zwar für emotional nachvollziehbar, in der Sache aber wenig überzeugend.

  • Danke für diesen engagierten Kommentar. Leider ist Rassismus, Faschismus mittlerweile tief in der Gesellschaft verankert, wird aber von der Politik nach wie vor als Ausnahmeerscheinung behandelt. Das zeigt der Angriff von Jugendlichen auf eine ghanaische Familie (Kinder, Vater) am Freitag in Grevesmühlen.



    Pflichtschuldigt empören sich Politiker, haben aber keine Antwort darauf, dass dieser Familie schon vor dem gewaltsamen Angriff Fremdenfeindlichkeit begegnete. Dass Stattfest wurde nicht abgebrochen. An mehreren Orten in Mecklenburg-Vorpommern kam es laut NDR zu rassistschen "Übergriffen".



    In Schwerin haben sich - so der Hinweis einer Zeugin gegenüber der Polizei - etwa 20 Personen auf der Schlossbrücke versammelt und dort oberkörperfrei den Hitlergruß gezeigt.



    In Penkun wurde auf einem Fest von einige Personen der Text "Ausländer raus - Deutschland den Deutschen" zu dem Lied L'Amour toujours gesungen. Ein Mann wurde wurde bei dem Fest angegriffen, Finger und Nase gebochen. Die Polizei schließt einen Zusammenhang mit den Parolen nicht aus.



    Diese Serie von Angriffen in MP müsste eigentlich Anlass für eine Sondersitzung des Landtags sein.

  • Ein Nazis strebt die Auslöschung des "unwerten Lebens" an. Dies ist definiert nach Nutzen und Reinerhaltung der Rasse. Behinderte und versehrte Menschen haben für Nazis keinen Nutzen, also weg damit. Andere Rassen stellen eine Bedrohung für die eigene Rasse dar. Also weg damit. Und "unwertes Leben" sind auch alle Formen der Opposition gegen Nazis. Also weg damit. Der Nationalsozialismus ist also eine Mord und Vernichtungsmaschine und Nazis sind das Bedienungspersonal.

  • Für eigene Konzepte mangelt es den etablierten Parteien derzeit an Konzepten und Kreativität. Anderen Positionen hinterherzulaufen scheint da einfacher. Ein anderes Problem gerade in Ostdeutschland: der nette Handwerker von der AfD sieht sich in der Eigenwarnehmung nicht als Rechtsextremer und in seinem Weltbild vertritt die AfD auch keine rechtsradikalen Positionen. Das macht Aufklärung so gut wie unmöglich wie ich selbst in Gesprächen schon öfters feststellen musste. Die Positionen dieser Menschen sind einfach nicht verhandelbar. Bei der Jugend ist das oftmals noch anders. Da ist rechts derzeit trendy aber ohne gefestigtes Weltbild, daher ist in dieser Gruppe das Engagement von Initiativen oder Vereinen gegen rechts so wichtig und es entbehrt jeder Logik, das die Ampel gerade das Demokratiefördergesetz nicht auf den Weg bringt um die Arbeit dieser Gruppen finanziell abzusichern.

  • Die Protestpartei wechselt. Von der Fünften Kolonne Moskaus, zu den Müslis, zur SED, zur Alternative Soziale Gerechtigkeit, zur Alternative, zu Vernunft und Gerechtigkeit.



    Je mehr Parten getroffen aufschreien um so besser. Dabei haben die alle schon vergessen, dass auch sie diese Rolle schon mal hatten.

  • Da wäre langfristig zu tun: Ausbau von Politik und Geschichte an den Schulen. Dabei weniger nutzloses wissen (ich musste mal rechnen, wie nach verschiedenen Verfahren Bruchteile von Sitzen bei Kommunalwahlen verteilt werden), sondern mehr Wissen um Demokratie und Diktatur. Um die aktuellen Themen und Debatten. Hintergrundwissen dazu.



    Kurzfristig: Der AfD Wasser abgraben durch massive Investitionsprogramme, v.a. Wohnen.

  • Wann ist ein Mensch "weiß"? Für mich sind Menschen die andere nach Hautfarben Charakterisieren bereits Rechtsextrem - aber Nazi?

    Meine Familie hat sehr unter den Nazis gelitten. Nazis waren für uns Menschen die Andersdenkende ohne Skrupel vergast, die jüdische Kinder aus Kinderheim geholt und in einem Wald erschossen haben und so viel Leid auf der Welt anrichteten, dass ein Vergleich mit dem netten Dorfhandwerker von nebenan oder der AfD eine mindestens fahrlässige Verharmlosung all des Leids ist.

    Ich wünsche mir mehr Bildung und Auseinandersetzung mit unserer Geschichte, dann hätten wir weniger extreme Meinungen und mehr differenzierte und respektvollen Auseinandersetzungen

  • Ein "Nazi" ist definiert als Anhänger des Nationalsozialismus. Sagt Wikipedia und jede andere normale Quelle.

    Rechtsradikal ist heute, wer weniger Migration und die Grenzen schließen will, "mein Land zuerst", weniger Entwicklungshilfe, gegen Gendern, gegen Klimaschutz, gegen Covid-Impfungen und für die Beibehaltung christlich abendländischer Kultur.

    Rechtsradikal ist also lange noch nicht Nazi. Diese ewige Durchmischung von "Du hast nicht unsere politische Meinung" und Nazi führt eben dazu, dass das ein Großteil der Leute nicht mehr interessiert.



    Denn mindestens einer von den oben aufgeführten Sachen stimmt die Mehrzahl der Bevölkerung zu. Wetten? Alle Nazis? Nein. Abgenutzt. Und schlimmer: Mit dem Verwässern des Nazibegriffs gleichzeitig die Verbrechen der Nationalsozialisten heruntergespielt. Denn: War nicht der Holocaust ungleich schlimmer, als dass heute Menschen gegen Gendern, Klimaschutz und offene Grenzen sind?

    Klar gibt es noch und wieder echte Nazis. Aber eben lange nicht alle die Menschen, die gern von der Zivilgesellschaft als solche bezeichnet werden, sind solche.

  • Der Autor verkennt die Tatsache dass das rechte Gedankengut nie wirklich aus den Köpfen verschwunden ist. Vielmehr ist es doch so daß es ähnlich wie bei der Schwulen/Lesben Bewegung die Menschen ihren Deckmantel ablegen sobald es eine größere Akzeptanz in der Gesellschaft gibt (Flüchtlinge, Islamismus,Krieg). Ich als Migranten Sohn der in D. geboren und aufgewachsen ist, habe schon immer eine abweisende bis diskriminierende Einstellung wahrnehmen können, sicherlich gab es auch das Gegenteil und meine Erfahrungen sind bestimmt nicht allgemeingültig.

  • Es wäre so einfach, einfach gute Politik machen, die Probleme angehen statt mit immer mehr Steuergeldern in die Zukunft schieben wo sie immer noch mehr kosten.

  • Danke. Ich sehe aus der gleichen Richtung.

  • "Solidarische Praxis hieße, Ressourcen wie Zeit und Geld zu teilen, um gemeinsam Einfluss zu nehmen – gerade auch in Dörfern und Kleinstädten. Prodemokratische Menschen, die sich dort mit Rechtsextremen anlegen, riskieren ihre Gesundheit. Sie brauchen Geld, um ihre Arbeit fortzusetzen."

    Es würde schon helfen, wenn Menschen sich gefahrlos ganz normal ehrenamtlich engagieren und dort nicht das Feld der AfD überlassen. Man wird nicht als Kümmerer wahrgenommen, wenn man nur gegen die braunen "Kümmerer" opponiert.

  • Danke! Dieser Artikel war dringend notwendig.