Verhältnis zwischen Südafrika und Israel: Schon immer ungleich
Südafrika hat Israel vor den Internationalen Gerichtshof gebracht. Das Verhältnis der Staaten reicht bis zur Geschichte der Befreiungsbewegungen.
Eines der kontrovers diskutierten Themen im Vorfeld der kommenden südafrikanischen Parlamentswahl im Mai ist die Haltung aller politischen Parteien zur Israel-Frage. Fast täglich finden propalästinensische Demonstrationen statt. Der Krieg zwischen der Hamas und Israel hat direkte Auswirkungen auf Südafrika.
Kürzlich gab es Schüsse vor einer jüdischen Grundschule in Kapstadt. Der zionistisch orientierte Kapitän des südafrikanischen U19-Cricket-Nationalteams musste seine Armbinde abgeben. Nicht zuletzt hat der African National Congress (ANC) den Staat Israel vor den Internationalen Gerichtshof in Den Haag gebracht, als ersten Staat überhaupt.
Wie es um die bilateralen Beziehungen bestellt ist, lässt sich auch daran ermessen, dass derzeit zwischen Israel und Südafrika keine Passagierflüge verkehren und zudem das südafrikanische Diplomatenkorps aus Tel Aviv abgezogen wurde.
Der seit 1994 durchgehend regierende ANC ist in der Frage sehr entschieden. Die Partei unterhält ein internationales Netzwerk ehemaliger und aktueller Befreiungsorganisationen, das auch die palästinensische Sache umfasst. ANC und PLO pflegen seit den 1980er Jahren ein strategisches Bündnis.
Mandela und Arafat
Nach Nelson Mandelas Entlassung aus dem Gefängnis 1990 gehörte Yassir Arafat zu den ersten Gesprächspartnern. Wenig später zeigte sich Mandela auf einem internationalen Treffen in ein Palästinensertuch gehüllt, und so tat es auch der aktuelle Präsident Cyril Ramaphosa im vergangenen Dezember.
Doch wie sich Staaten zueinander verhalten, ist selbstverständlich keineswegs wesenhaft festgelegt, sondern hat mit aktueller Diskurshoheit zu tun. Vor dem Sechstagekrieg 1967 hegte der ANC durchaus Sympathien für den zionistischen Befreiungskampf gegen das britische Empire, welches ehemals das heutige Staatsgebiet von Israel als auch Südafrika zu seinem Einflussbereich zählte.
Nelson Mandela orientierte sich beim Aufbau des bewaffneten ANC-Zweigs ab 1961 an den paramilitärischen Einheiten der Zionisten, der Hagana und ihrer Elitetruppe Palmach. Maßgeblichen Einfluss auf diesen Austausch hatte Arthur Goldreich, geboren in Johannesburg, der nach dem Zweiten Weltkrieg Palmach-Mitglied gewesen war. Bei seiner Rückkehr nach Südafrika erwarb Goldreich mit Unterstützung der Kommunistischen Partei die Liliesleaf Farm in Rivonia bei Johannesburg.
Goldreich unterstützt ANC
Jene Farm etablierte sich als Rückzugsort verfolgter ANC-Mitglieder und wurde zur Planungszentrale ihrer Guerilla-Aktivitäten. Bei einer Razzia in Liliesleaf flog 1963 der engste ANC-Führungszirkel auf, darunter auch der jüdische Bürgerrechtler Denis Goldberg, der für den Bau von Sprengsätzen verantwortlich gewesen war. Farmbesitzer Goldreich flüchtete, als Priester verkleidet, ins heutige Botswana, die anderen ANC-Militanten wurden im sogenannten Rivonia-Prozess, gemeinsam mit dem schon früher verhafteten Mandela, vor Gericht gestellt.
Drei der ANC-Verteidiger im Rivonia-Prozess waren jüdisch, allerdings auch der Staatsanwalt, der die Todesstrafe für alle Angeklagten forderte. Nach Druck aus dem Ausland und Mandelas vierstündiger Verteidigungsrede (später unter dem Titel „I am Prepared to Die“ veröffentlicht), wurde das Strafmaß auf lebenslänglich festgesetzt. Mandela kam auf der Gefängnisinsel Robben Island in Haft, während Denis Goldberg in einem Weißen-Gefängnis in Pretoria verwahrt wurde. Die Segregation fand auch hinter Gefängnismauern statt.
Seitens der israelischen Regierungen war die Haltung zum Regime in Pretoria lange Zeit differenziert. Die israelische Außenministerin Golda Meir verurteilte 1963 vor der UNO-Generalversammlung in New York „Apartheid, Kolonialismus sowie Diskriminierung aufgrund von Hautfarbe oder Religion“. Bei der jüdischen Besiedlung Palästinas hatte die sozialistisch orientierte Kibbuzim-Bewegung ein große Rolle gespielt.
Bis zum Sechstagekrieg 1967 beeinflusste diese kollektivistische Selbstverwaltungsform auch Israels internationale Positionen. Erst danach brach der Staat mit dem Ostblock und wandte sich dem Westen zu. Mit dieser Richtungsentscheidung war auch die Solidarität mit den afrikanischen Befreiungsbewegungen, die oft einem kommunistischen Impuls folgten, weitgehend passé. Das individuelle Handeln wich jedoch immer wieder von dieser offiziellen Linie ab.
Gandhis Farm „Tolstoi“ bei Johannesburg
Um die Jahrhundertwende waren viele Jüdinnen und Juden aus dem zaristischen Litauen vor Pogromen nach Südafrika geflüchtet, unter ihnen etwa der Architekt Hermann Kallenbach, der gemeinsam mit Mahatma Gandhi 1910 die Farm „Tolstoi“ bei Johannesburg gründete, um ein Leben in Einfachheit und Gleichberechtigung zu praktizieren.
Die Nürnberger Gesetze des NS-Regimes brachten dann nach 1933 zahlreiche jüdische Flüchtlinge just in dem Moment nach Südafrika, als der Afrikaanernationalismus im Land mit dem Hitlerfaschismus zu sympathisieren begann. Als letztes Flüchtlingsschiff erreichte 1936 der Dampfer „Stuttgart“ mit mehr als 500 jüdischen Deutschen an Bord Kapstadt, empfangen von einer antisemitischen Protestdemonstration. Danach legte die südafrikanische Regierung eine Quote für jüdische Flüchtlinge fest und erklärte sie sogleich für ausgeschöpft.
Im aufkommenden Kalten Krieg verstärkte sich eine diffuse Identifikation zwischen Israel und dem weißen Südafrika. Der Beginn der institutionalisierten Apartheid war im Mai 1948 genau mit der Staatsgründung Israels zusammengefallen. Südafrika war eines der ersten Länder weltweit, das Israel anerkannte. Das gemeinsame Gefühl, umzingelt zu sein, resultierte in enger Abstimmung von Militär und Geheimdiensten.
Israels später Boykott wegen Apartheid
1976 besiegelten Israels Regierungschef Yitzhak Rabin und sein südafrikanisches Pendant B. J. Vorster „gemeinsame Ideale“. Und als ein US-amerikanischer Überwachungssatellit 1979 zwei kurze Lichtblitze über dem Südatlantik registrierte, war nicht klar (und blieb auch in der Folge ungeklärt), welcher der beiden Staaten hier einen Atomtest durchgeführt hatte. Dem internationalen Boykott gegen die südafrikanische Regierung aufgrund der Apartheidpolitik schloss sich Israel erst 1987 an.
Obwohl die zwischen 1948 und 1994 regierende Nasionale Party grundsätzlich antisemitisch eingestellt war, galten Jüdinnen und Juden nach der Apartheid-Nomenklatur in Südafrika als „white“. Die gemeinsame Erfahrung von Ungleichheit brachte jedoch viele von ihnen dazu, sich für die Rechte der Schwarzen und gegen das Regime zu engagieren. Unter ihnen auch die Literaturnobelpreisträgerin Nadine Gordimer, die gemeinsam mit dem Fotografen David Goldblatt eine Reportage über die miserablen Arbeitsverhältnisse in den Goldminen veröffentlichte.
Der jüdische südafrikanische Rechtsanwalt Joe Slovo plante aus dem Londoner Exil bewaffnete ANC-Aktionen, darunter sogar einen Bombenanschlag auf die Synagoge in Johannesburg, weil diese Regierungschef Botha eingeladen hatte. Slovos Ehefrau Ruth First wurde 1982 als jüdische Dissidentin in Mosambik vom südafrikanischen Geheimdienst ermordet. Slovo selbst diente später unter Mandela als Wohnungsbauminister.
Und noch ein Beispiel unter vielen: Die jüdische Politikerin Helen Suzman saß in den 1960er und 70er Jahren im südafrikanischen Parlament – als einzige Frau unter 164 Männern sowie als einzige Abgeordnete der oppositionellen Progressive Party. Ihre beharrlichen Nachfragen an die Regierung erzwangen Einblicke in das System, die sonst der Zensur unterlagen. Auf die Kritik, ihr investigativer Geist schmälere Südafrikas internationales Ansehen, erwiderte sie: „Es sind nicht meine Fragen, die peinlich für Südafrika sind – es sind ihre Antworten.“
Pro-palästinensische Fraktion
Der historische Spalt zwischen israelischer Staatsräson und der abweichenden Haltung jüdischer Individuen spiegelt sich auch im Südafrika der Gegenwart. Zur pro-palästinensischen Fraktion in Südafrika zählt der angesehene bildende Künstler William Kentridge, dessen animierte Kohlezeichnungen die schmerzhafte Geschichte Südafrikas immer auch im Verhältnis zu anderen Unrechtsregimen erzählen. Kentridge gehört, gemeinsam mit hunderten weiteren jüdischen Südafrikanern, zu den Unterzeichnern einer Protestnote gegen den Gazakrieg.
Von einem Mandela-Denkmal in Greenpoint, dem jüdischen Viertel von Kapstadt, hing Anfang des Jahres ein „Shabbat against Genocide“-Plakat. Doch nicht weit von dort, vor der ältesten Synagoge Südafrikas und dem jüdischen Museum, ist dieser Tage Wachpersonal aufgezogen.
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