Vergabe der Fußball-WM 2026: USA-United vs. Marokko Club
Am Mittwoch vergibt die Fifa die WM 2026 an Marokko oder an die USA, die mit Mexiko und Kanada antreten. Der Ausgang scheint klar. Oder?
Es ist die erste Wahl seit jenem ominösen 2. Dezember 2010, der Wahl von Russland als Ausrichter der Weltmeisterschaft 2018 und von Katar (2022). Es geht um einen Krimi. Es ist die erste Wahl, bei der nicht mehr ein kleiner Zirkel von maximal 24 Exekutivkomitee-Mitgliedern entscheidet, sondern der gesamte Fifa-Kongress, also alle Nationalverbände, abzüglich der beteiligten vier Verbände (und Kosovo, deren Fußballpräsident am Samstag verstarb).
Es ist die Wahl zur ersten WM mit 48 statt 32 Teams, die Medien gern als „Mammut-WM“ bezeichnen. Kurzum: Sie dauert länger, braucht mehr Stadien und kostet mehr. Vor allem aber ist es eine Wahl, deren Ausgang absehbar war und dann plötzlich doch noch zu einer hochspannenden wurde. Und das hat viel mit Sportpolitik zu tun: Am Anfang steht vor allem ein Mann. Sunil Gulati. Der ehemalige Präsident des US-Fußballverbandes ist der Initiator, das Mastermind hinter der Bewerbung der USA, zusammen mit Mexiko und Kanada.
Der Dozent der hoch angesehenen Columbia University in New York entwarf für die Bewerbung den Titel „United 2026“. Vereint will man sein und der Welt zeigen, dass die USA auch noch was anderes können als Unilateralismus à la Trump. Allerdings widerspricht sich die Bewerbung direkt mal selbst. Nur je 10 der 80 Spiele würden in Kanada und Mexiko stattfinden, die restlichen 60 und alle entscheidenden ab dem Viertelfinale in den USA. Es ist eine US-Bewerbung mit generösem Abstecher nach Norden und Süden.
Mexikos Geschichte und Fußballkultur
Während viele Kanadier stolz sind, überhaupt dabei zu sein, ist die Stimmung in Mexiko eine komplett andere. Fragt man auf den Straßen Mexikos oder bei einem Spiel der mexikanischen Liga-Fans, sind die meisten enttäuscht. „Wenn du eine gemeinsame WM machst“, sagt ein Fan der Xolos, des Erstligisten im nordmexikanischen Tijuana an der Grenze zu San Diego, „dann muss die doch auch fair aufgeteilt sein.“ Und ein anderer meint: „Die USA wollen doch nur die Sympathie der Mexikaner und der Welt bekommen.“
Die meisten Fans verweisen außerdem auf die Fußballhistorie Mexikos, Austragungsort der Weltmeisterschaften 1970 und 1986. Mexiko wäre das erste Land der Geschichte, das zum dritten Mal eine WM ausrichten würde. „Bei uns hier ist es viel leidenschaftlicher als in den USA, der Fußball dort ist doch noch in der Entwicklung“, sagt der Chef der Ultras der Xolos de Tijuana, während der Lärm im Stadionblock seine Worte fast verschluckt. „Diese Bewerbung“, sagt er noch nach einer kurzen Pause, „diese Bewerbung vergisst Mexikos Fußballkultur mit den zwei bisherigen Weltmeisterschaften.“
Trifft man Sunil Gulati, den ehemaligen Präsidenten des US-Fußballverbandes, und fragt ihn nach dem Missverhältnis der Spielorte, sagt der nur: „Wir hätten es auch allein machen können. Mexiko und Kanada müssten für die alleinige Ausrichtung neue Stadion bauen.“ Und dann gibt er doch ehrlich zu: „Aber natürlich sind Kanada und Mexiko positiv für unser Image. Lateinamerika ist dann dabei, und Kanada ist angesehen in der Welt. Klar, das ist hilfreich.“
Marokko als Gegenspieler
Und dann kommt Marokko. Und ein Tweet von Donald Trump. In letzter Sekunde bewirbt sich Marokko als Gegenspieler der United-2026-Bewerbung. Monatelang ist von der Bewerbung nichts zu hören. Monatelang fehlt es an Informationen, was Marokko eigentlich anzubieten hat. Mittlerweile ist klar: 14 Stadien in 12 Städten im gesamten Land sollen die WM tragen. Von den 14 Stadien müssen 9 neu gebaut, die restlichen 5 renoviert werden. Kein einziges ist fertig. Auch die sonstige Infrastruktur fehlt: ausreichend Hotelkapazitäten für eine WM mit 80 Spielen und dementsprechend vielen Millionen Fans. Trainingsplätze für die 48 Teams. Straßen und Eisenbahnnetze sollen neu entstehen. Selbst Krankenhäuser, gibt der marokkanische Fußballverband in seiner Bewerbung offen zu, müssten noch gebaut werden, um sich ausreichend um Fans und Beteiligte der WM kümmern zu können.
Knapp 14 Milliarden Euro plant Marokko auszugeben. Der König steht hinter der Bewerbung. Und man verweist auf die Vorteile: Alle Spielorte seien in einem Radius von 550 Kilometern um Casablanca. Die Stadien seien rückbaubar und so umweltfreundlich wie bei keiner WM zuvor. Das Land sei sicher. Und das gesamte Turnier würde in einem Währungsraum und vor allem in einer Zeitzone stattfinden, der Zeitzone Zentraleuropas.
Es ist der fünfte Versuch Marokkos, eine Fifa-WM auszurichten. So was nennt man wohl einen Dauerkandidaten. Und der hat auf einmal gute Chancen. Mit der Bewertung einer Task Force des Weltfußballverbandes hat das nichts zu tun. Das fünfköpfige Gremium bewertet Marokko so schlecht wie selten einen Bewerber zuvor. Mit 247,9 von 500 möglichen Punkten liegt man weit hinter der Nordamerika-Bewerbung (402,8).
Alleine bei drei untersuchten Punkten wird der Bewerbung Marokkos ein „hohes Risiko“ zugeschrieben, bei Unterbringung, Transport und Stadien. Bei Nordamerika gibt es laut der Task Force kein hohes Risiko. Im Bericht heißt es, die Bewerbungen seien „fast die beiden Extreme des Spektrums“. Gemeint ist: Selten war eine Bewerbung so schlecht und selten eine andere so gut.
Trumps Einfluss auf den Weltsport
Damit wäre alles klar. Wäre da nicht Donald Trump. In der Nacht vom 27. April um 1.39 Uhr drückt der US-Präsident, der häufig früh morgens oder spät abends aus seinem Bett twittert, auf „absenden“. Und verändert damit die Welt rund um die Wahl an diesem Mittwoch. Er schreibt, dass die USA mit Kanada und Mexiko eine starke Bewerbung um die WM 2026 hätten. Und dann fragt er, warum die USA noch Länder unterstützen sollte, wenn diese sie nicht bei dieser Wahl unterstützen würden.
Noch nie hat ein Politiker so deutlich öffentlich Einfluss auf eine Wahl im Weltsport genommen. Ab jetzt ist jedes Abstimmungsverhalten am Mittwoch auch eine Abstimmung für oder gegen die USA, für oder gegen Trump. Und das Problem für Marokko ist: Die Wahl ist öffentlich, die Fifa veröffentlicht anschließend, welcher Fußballverband wie abgestimmt hat. Die Frage ist nun, wie viele Fußballverbände sich auch als verlängerter Arm ihrer Regierungen sehen oder wie viele ganz absichtlich gegen Trump stimmen wollen. Bisher ist das völlig offen.
Nur selten wird der politische Einfluss so deutlich wie beim Fußballverband Zimbabwes, der in einem Statement vor einigen Tagen schreibt, dass man „selbstverständlich“ Rücksprache mit der Regierung des eigenen Landes genommen habe, und die erwärme sich für United 2026, also stimme man auch so ab. Für Trump also. Klar ist bisher nur, dass ein Großteil der 54 afrikanischen Stimmen an Marokko gehen wird, zudem die Stimme des ein oder anderen muslimischen Landes und die Stimmen einiger Europäer, die wie Frankreich durch Einwanderung enge Verbindungen nach Marokko haben oder einfach auf die bessere Zeitzone für ihre Fans und Märkte setzen. Da ist es nicht mehr weit bis zu den 104 Stimmen, die man braucht.
Das liebe Geld der Fifa
Hinter den Kulissen kümmert sich vor allem Saudi-Arabien um Stimmen für den politischen Verbündeten USA und hat just vor der Entscheidung einen neuen Fußballverband für Südwestasien mit 13 Mitgliedern gegründet. Hinzu kommen jene vier US-Außengebiete Puerto Rico, Guam, die Amerikanischen Jungferninseln und Amerikanisch-Samoa. Wochenlang hatte Marokko versucht, das Quartett aufgrund von Befangenheit von der Wahl auszuschließen. Ohne Erfolg.
Bei der Wahl steht auch für die Fifa und dessen Präsidenten, Gianni Infantino, viel auf dem Spiel. Die größere WM mit 16 zusätzlichen Mannschaften wird teurer. Und mit dem Geld ist das so eine Sache bei der Fifa, nachdem Infantino bei seiner Wahl im Februar 2016 jedem Mitgliedsverband mehr Geld, 5 Millionen US-Dollar pro Vierjahreszeitraum, versprach. Außerdem haben die Anwaltskosten nach den Skandalen um Stimmenkauf und Bestechung von Fifa-Offiziellen Millionen gekostet. Sponsoren sind derzeit mehr als vorsichtig, Geld ins Fifa-Geschäft zu pumpen. Da kommt die US-Bewerbung mit ihrem großen Markt und TV-Anstalten gerade recht. Über 14,3 Milliarden US-Dollar verspricht eine WM in Nordamerika zu erlösen. Eine WM in Marokko würde demnach nur 7,2 Milliarden bringen.
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