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Verfassungsrechtler über Corona-Demos„Die Demokratie besser schützen“

Hans-Jürgen Papier bemängelt die Rechtsgrundlagen für die Einschränkung der Grundrechte. Der Protest der Corona-Skeptiker sei dennoch total überzogen.

„Es kann kein Faustrecht geben, wo jeder für sich entscheidet, was ihm angeblich zusteht“ Foto: Sebastian Gollnow/dpa
Christian Rath
Interview von Christian Rath

Herr Papier, Sie haben sich in der Coronakrise schon früh um die Grundrechte gesorgt. Am Wochenende wird erneut bundesweit gegen die Einschränkungen demonstriert. Sind Sie mit dabei?

Nein.

Haben Sie Verständnis für die Demonstrationen?

Ich habe Verständnis für alle, die sich fragen, ob die Freiheitsrechte unserer Verfassung noch hinreichend gewahrt sind. Wir haben in den letzten Monaten eine Einschränkung unserer Grundrechte erlebt, wie wir es uns wohl nie vorstellen konnten.

Viele Demonstranten glauben, der Staat und die Virologen übertreiben die Wirkung des Coronavirus bewusst, um Grundrechte einschränken zu können. Sehen Sie das auch so?

Nein, zu dieser Art von Kritikern gehöre ich nicht. Es war mir immer wichtig, sachlich und differenziert zu argumentieren.

Was halten Sie von Parolen wie „Wenn wir heute den Widerstand verschlafen, wachen wir morgen in der Diktatur auf“?

So etwas halte ich für total überzogen. Wer den Rechtsstaat schützen will, darf nicht auf Freiheitsrechte ohne Gemeinwohlbindung pochen. Es kann kein Faustrecht geben, wo jeder für sich entscheidet, was ihm angeblich zusteht. Auch Grundrechte sind im Interesse der Allgemeinheit einschränkbar. Die Einschränkung muss aber stets verhältnismäßig sein. Darüber entscheiden die Gerichte.

War der Shutdown, also das Herunterfahren des gesamten gesellschaftlichen Lebens, verhältnismäßig?

Die massiven Maßnahmen Mitte März waren am Anfang wohl erforderlich und angemessen, insbesondere weil die Gefahr bestand, dass unser Gesundheitssystem zusammenbricht. Aber die Entwicklung ist dynamisch. Inzwischen ist die Infektionsrate stark gefallen und die Gesundheitsämter haben mehr Personal, um Infektionswege nachzuverfolgen.

Die Gerichte haben ja schon im April reagiert, haben Ausnahmen vom Demonstrations- und vom Gottesdienstverbot zugelassen...

Bild: privat
Im Interview: Hans-Jürgen Papier

Der 76-Jährige war von 2002 bis 2010 Präsident des Bundesverfassungsgerichts. Davor und danach hatte er eine Professur für Öffentliches Recht an der Uni München inne.

Das zeigt, dass unser Rechtsstaat sich letztlich auch in schwierigen Zeiten durchsetzen kann.

Inzwischen lockert auch die Politik die harten Zügel immer mehr, sie öffnet Schulen, Geschäfte und Gaststätten. Sind Sie zufrieden?

Ich habe immer gesagt: Nicht die Lockerungen sind angesichts der Grundrechte rechtfertigungsbedürftig, sondern die Aufrechterhaltung der Maßnahmen. Das scheint die Politik nun im Großen und Ganzen zu berücksichtigen. Für die Zukunft müssen wir aber die Demokratie besser schützen.

Wo sehen Sie Bedarf?

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts müssen alle wesentlichen Entscheidungen, etwa zur Grundrechtsausübung, von demokratisch gewählten Parlamenten getroffen werden. Das war in den letzten Monaten nicht der Fall. Die Einschränkungen beruhten vor allem auf Rechtsverordnungen der Landesregierungen. Die Parlamente – und damit auch die Opposition – waren an den Rand gedrängt.

Alle Schutzmaßnahmen stützten sich auf das Infektionsschutzgesetz, ein vom Bundestag beschlossenes Gesetz. Genügt das nicht?

Nein. In diesem Gesetz ist der Shutdown nicht ausdrücklich vorgesehen. Eine so massive Einschränkung des öffentlichen Lebens sollte nicht auf eine Generalklausel gestützt werden. Hierfür brauchen wir klare und eindeutige Rechtsgrundlagen. Außerdem sollte ein bundesweiter Shutdown künftig vom Bundestag beschlossen werden und nicht von den 16 Landesregierungen. Das würde auch die Akzeptanz verbessern.

Das wäre dann aber nicht nur eine Demokratisierung, sondern auch eine Zentralisierung?

Sie wissen, ich bin ein großer Freund des Föderalismus, aber bei einer Epidemie von nationaler Tragweite sollten grundlegende Weichenstellungen vom Bundestag getroffen werden und nicht von Landesregierungen.

Ganz Deutschland im Gleichschritt?

Öffnungsklauseln könnten und sollten regionale Abweichungen durchaus ermöglichen. Aber auch dann sollten Landesregierungen nicht allein entscheiden. Je länger eine Regelung in Kraft ist, umso wichtiger werden Beratung und Zustimmung des jeweiligen Landtags.

Was ist mit den wirtschaftlichen Schäden? Wer muss für sie aufkommen?

Das ist bisher unzulänglich geregelt. Das Infektionsschutzgesetz sieht nur in bestimmten Fällen Entschädigungen vor, etwa wenn ein Ansteckungsverdächtiger in Quarantäne muss und deshalb Verdienstausfall hat. Es gibt aber keinen gesetzlichen Anspruch etwa für Ladenbesitzer und Gastronomen, die im Zuge des Shutdowns vorsorglich schließen mussten. Hier hat der Gesetzgeber nachzubessern. Hilfsprogramme ohne Rechtsanspruch genügen nicht.

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17 Kommentare

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  • Na Na - grad mal was streng - odr?! 😱

    “ …Ob diese verhältnismäßig sind, kann man diskutieren, aber nicht ein pensionierter Richter, sondern die Verwaltungsgerichte, …“ hä? ☕️ ☕️ auf?

    kurz - Meinungsfreiheit genießen - trotz gegenteiliger Ansinnen - auch die - 🦸 -Risikogrüppler der Rentiere immer noch



    Verwaltungs(ge)richt/er - Entscheiden •

    • @Lowandorder:

      Huch - war für die geschätzte @Monika Frommel - downunder 😱 gestern 13:06

  • RS
    Ria Sauter

    Sehr gutes Interview!



    Hätte Herr Papier so oft wie die Virologen in den Sendungen gesprochen, gäbe es wahrscheinlich diese Demos nicht.



    Das hätte uns auch das mitlaufen der braunen Dumpfbacken erspart.

  • Am Anfang wollte man schnell handeln, das ist okay. Langsam müssen Maßnahmen aber abgeklärt werden. Wo ist der Beweis, dass Masken wirken? Sind Lehrer, die eine Herz-OP hatten, damit geschützt oder braucht man eine bessere Methode? Welche Maßnahmen machen Sinn in Öffis? Machen wir zuviel künstliche Beatmung? Gibt es zu Geschäftssperren Alternativen? Wenn wir jeglichen Zweifel an den überstürzten Maßnahmen als "von Putin bezahlt" und "soll das System stürzen" diffamieren, werden wir keine besseren Lösungen finden. Der Grund warum Protest nur aus der rechten Ecke zu kommen scheint, ist zum Einen das völlige Versagen linker Politik und Institutionen, zum Anderen die geschäftsschädigende Diffamierung professioneller Kritik. Wer heute als Arzt oder Anwalt auf Defizite hinweist, wird öffentlich derart verrufen, dass eine weitere Karriere nicht mehr möglich ist. Betroffene sollten die Hetzer in den Medien vor Gericht stellen und Gegendarstellungen erzwingen.

  • Na sowas. Da unterschreib ich tatsächlich mal jedes Wort. Guter Mann!

    Ergänzen würd ich noch: Bitte in Zukunft die Kommunikation verbessern. Das hält nämlich viele Verunsicherte von den Spinnern fern.

  • es sind verschwörungs'prediger'...

    nicht -theoretiker, welche, wie der rattenfänger von hameln, die köpfe, die nicht selbst denken können, besetzen wollen.

  • Zitat 1: „Nicht die Lockerungen sind angesichts der Grundrechte rechtfertigungsbedürftig, sondern die Aufrechterhaltung der Maßnahmen. Das scheint die Politik nun im Großen und Ganzen zu berücksichtigen.“

    Nachdem die Panik etwas nachgelassen hat und der Gegendruck zunimmt, scheint auch die taz wieder ein wenig klarer zu sehen. Danke jedenfalls für dieses Interview.

    Zitat 2: „Ganz Deutschland im Gleichschritt?“

    Gut, ein gewisser zusätzlicher Abkühlungsbedarf ist immer noch erkennbar, Herr Rath. Die individuelle Halbwertzeit des Panik-Virus liegt offenbar auch irgendwo oberhalb von 3 Monaten.

    Zitat 3: „Wer den Rechtsstaat schützen will, darf nicht auf Freiheitsrechte ohne Gemeinwohlbindung pochen. Es kann kein Faustrecht geben, wo jeder für sich entscheidet, was ihm angeblich zusteht.“

    Genau deswegen ist es ja so wichtig, dass Politiker nicht auch eine Art Faustrecht für sich in Anspruch nehmen. Politiker sind Volksvertreter und haben als solche eine Vorbildfunktion.

    Zitat 4: „Auch Grundrechte sind im Interesse der Allgemeinheit einschränkbar. Die Einschränkung muss aber stets verhältnismäßig sein. Darüber entscheiden die Gerichte.“

    Achtung: Wenn auch die Richter entweder Angst vor einem Virus oder um ihre Posten/Karrieren haben, sind sie nicht mehr frei genug für hilfreiche weil kluge, überzeugende Entscheidungen.

    Zitat 5: „In diesem Gesetz [Anm: dem Infektionsschutzgesetz] ist der Shutdown nicht ausdrücklich vorgesehen.“

    Klar. Verantwortung ist im Rechtsstaat nie kollektiv. Sie ist immer individuell. Rechte dürfen nur auf Grund von Risiken beschnitten werden, die in der Person des Rechteinhabers liegen. Angemessen ist, das zu beachten. Weil das nicht passiert ist, haben wir jetzt u.a. ein Finanzierungsproblem.

    Zitat 6: „Außerdem sollte ein bundesweiter Shutdown künftig vom Bundestag beschlossen werden [...]. Das würde auch die Akzeptanz verbessern.“

    Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Kommt ganz auf die Qualität des Beschlusses an.

  • Papier. Der Name bürgt für Qualität.

    • @C.O.Zwei:

      Eigentlich müsste der Name für Qualität bürgen, aber offenbar ist ihm entgangen, dass das InfSchG ein Risiko-Ermächtigungsgesetz ist, das im Parlament so diskutiert und vom Parlament so beschlossen wurde. Natürlich kann die Exekutive GR einschränkten. Ob diese verhältnismäßig sind, kann man diskutieren, aber nicht ein pensionierter Richter, sondern die Verwaltungsgerichte, welche nun in der Hauptsache der vielen Verfahren entscheiden werden. Die Eilanträge haben zwar fast alle Verwaltungs-gerichte und auch das BVerfG nicht positiv entschieden (bis auf ganz wenige Verfahren, etwa die 800qm- Grenze bei Läden und eine Quarantäne Entscheidung). Pensionist Papier würde ein komplettes Chaos auslösen, würde man ihm folgen. Die Bürger in den Länder, die noch immer restriktive sind, können sich freuen, dass die Wähler in anderen Länder nicht so einen selbstverliebten Ministerpräsidenten gewählt haben wie die Bayern der Provinz. Doch ist er beliebt, das ist das Problem.

  • Liggers & Danke.

    Wenn frauman nur wüßte.



    Wie 'er' ausgesprochen wird?! 😱

    • 7G
      76530 (Profil gelöscht)
      @Lowandorder:

      Das wäre doch ein Fall für Kaiser Franz I von Kotzbühl, der seine herausragenden sprachlichen Qualitäten am Fall des ... nur Älteren bekannten ... Schoan Pjähr Pappähn der Nachwelt dokumentierte. :-)

      • @76530 (Profil gelöscht):

        Klar - Sie als bekannter “Alt-Netzer“ der Sonderklasse stecken da ganz anders in der Materie drin, als Unserunbedarftein.

        unterm—- btw —



        Lieferte mir mit Peter Koch aus Kassel -



        Legendäre Laufduelle aufn Lahnwiesen.



        Als ich den Herrn als Amtsrichter nach Jahren wiedertraf - kam die bekannte Frage: “Und?“ “Nix“ - “Dito!“

        kurz - Nie 'n Tor gemacht. Aber nen guten Zug. 😎 - 😎

        • 7G
          76530 (Profil gelöscht)
          @Lowandorder:

          Meine Antwort muss in diesen unendlichen virtuellen Weiten verloren gegangen sein. Ich sage nur: Stevie No-Wonder.

          • 7G
            76530 (Profil gelöscht)
            @76530 (Profil gelöscht):

            Ach!

        • 7G
          76530 (Profil gelöscht)
          @Lowandorder:

          Auch wenn ich - wie weiland Günni Netzi - aus der Tiefe des Raums kam, trifft mich Ihr Lob in keinster Weise. Mein Part war nicht das Vorbereiten, sondern das Verhindern von Toren.

          Wenn wir den Begriff weiter auslegen, ist es mir - wie Tag für Tag sichtbar - nur unzureichend gelungen.

          Dankeschön für den Steilpass. Bei dem "Nix" schließe ich mich gerne an - im gesicherten Wissen, dass das Nichts eine Form des Vollkommenen ist. :-)

          • @76530 (Profil gelöscht):

            Däh&Zisch - Mailtütenfrisch - insidertalk

            “ "Aus der Tiefe des Traumes." - Als alter Torwächter habe ich eine Anmerkung für Wolfgang Leiberg. Bevor die Vierer-Kette zum Quasi-Standard in der Fußball-Abwehr wurde, wurde diese Ballsportart mit "Vorstopper" und "Libero" (Schwarzenbeck und "Kaiser Franz" - you remember?) betrieben. Der Libero wurde auch als "Der letzte Mann" bezeichnet. Egal aber, wie sich die Spielweise auch ändert; der Allerletzte ist immer der Torwart.“

            • 7G
              76530 (Profil gelöscht)
              @Lowandorder:

              Wer wollte dem widersprechen?