Verfassungsgericht zu Afghanistan-Urteil: Amtshaftung auch im Krieg

Das Bundesverfassungsgericht rüffelt ein umstrittenes Urteil zum Bombardement von Kundus im Jahr 2009. Die Opfer gehen trotzdem leer aus.

Angehörige trauern an einem Grab

Angehörige trauern um die Opfer des Luftangriffs im September 2009 im Kundus Foto: Wahdat Afghan/reuters

KARLSRUHE taz | Der blutigste deutsche Militär­einsatz seit 1945 bleibt ohne rechtliche Folgen. Die Opfer-Angehörigen des Bombardements von Kundus 2009 bekommen keinen Schadenersatz. Das Bundesverfassungsgericht lehnte eine Verfassungsbeschwerde ab, öffnete aber die Tür für eine deutsche „Amtshaftung“ in militärischen Konflikten.

Im September 2009 hatten die afghanischen Taliban in der Nähe von Kundus zwei Tanklaster entführt. Die Laster blieben jedoch in einer Furt stecken. Die Bundeswehr, die für die Region zuständig war, forderte zwei US-Kampfflugzeuge an, aus Sorge, die Laster könnten als rollende Bomben gegen das Bundeswehrlager Kundus eingesetzt werden.

Nach mehreren Stunden gab der deutsche Oberst Georg Klein den Befehl, die Laster und die umstehenden Menschen zu bombardieren. Er lehnte den Vorschlag der US-Piloten ab, zunächst mit Tiefflügen die Menschen zu verscheuchen. Klein vertraute auf die Aussage eines Informanten vor Ort, dass es sich ausschließlich um Taliban handele. Tatsächlich hatten die Taliban jedoch die BewohnerInnen der umliegenden Dörfer eingeladen, kostenlos Benzin zu zapfen. Beim Bombardement starben deshalb rund 100 ZivilistInnen, davon viele Kinder.

Deutschland zahlte den Familien der Toten nur jeweils 5.000 Dollar – ohne Anerkennung einer Pflicht. Der Bauer Abdul Hanan, der zwei Söhne verloren hatte, hielt jedoch 40.000 Euro für angemessen. Querisha Rauf, eine Mutter von sechs Kindern, verlangte für den Tod ihres Ehemanns und ihres Vaters 50.000 Euro. Das Landgericht Bonn lehnte die Schadenersatzklagen 2013 ebenso ab wie das Oberlandesgericht Köln 2015. Oberst Klein habe keine Amtspflichten verletzt. Er habe zum damaligen Zeitpunkt mit den ihm vorliegenden Informationen nicht erkennen müssen, dass es sich bei den Personen an den Tanklastern überwiegend um ZivilistInnen handelte.

Der Bundesgerichtshof (BGH) war 2016 noch viel restriktiver. „Das deutsche Amtshaftungsrecht ist auf militärische Kampfhandlungen im Ausland gar nicht anwendbar“, erklärte damals der Vorsitzende BGH-Richter Ulrich Herrmann. Die Amtshaftung sei auf den „normalen Amtsbetrieb“ zugeschnitten, sie passe nicht auf die „Gefechtshandlungen eines Soldaten“. Eine solche Ausweitung könne nur der Gesetzgeber beschließen, kein Gericht.

Massive Zweifel des Bundesgerichtshofs

An dieser Rechtsauslegung des Bundesgerichtshof äußerte das Bundesverfassungsgericht nun aber massive Zweifel. Schon der Wortlaut der Amtshaftungsnorm – Paragraf 839 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) – enthalte keine räumliche oder sachliche Einschränkung.

Ein genereller Ausschluss der Amtshaftung für Auslandshand­lun­gen von deutschen AmtsträgerInnen sei auch gar nicht möglich, weil der Amtshaftungsanspruch auf den Grundrechten beruhe. Der Schadenersatz sei die „Kompensation“ für die schuldhafte staatliche Verletzung von Grundrechten. Und dass die Grundrechte die deutsche Staatsgewalt auch im Ausland binden, das hatte das Bundesverfassungsgericht erst im Mai in seinem BND-Urteil klargestellt.

Die Verfassungsbeschwerde der beiden AfghanInnen wurde dennoch abgelehnt. Denn auch der BGH hatte im konkreten Fall keine konkrete Amtspflichtverletzung von Oberst Klein erkannt. Diese Einschätzung sei vertretbar, erklärte nun eine Kammer des Bundesverfassungsgerichts. (Az.: 2 BvR 477/17)

Am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg ist noch ein weiterer Kundus-Fall anhängig. Dort geht es um die Frage, ob Deutschland gegen Oberst Klein ausreichend strafrechtlich ermittelte. Oberst Klein blieb nicht nur straflos, sondern wurde 2013 sogar zum Brigadegeneral befördert. Die Verhandlung vor der Großen Kammer des EGMR fand bereits im Februar 2020 statt. Es gibt aber immer noch keinenTermin für das Urteil. Auch hier klagt der Bauer Abdul Hanan.

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