Luftangriff in Afghanistan 2009: Kritik an der Kundus-Aufarbeitung

Vor zehn Jahren bombardierte die Bundeswehr Tanklaster in Afghanistan. Bis heute verhöhne die Bundesregierung die bis zu 140 Opfer, findet die Linke.

Afghanische Soldaten rollen am 5. September 2009 vor einem explodierten Tanklaster in Kundus eine Tonne.

Unwürdiges Nachspiel: Wie geht die Bundesregierung mit Hinterbliebenen der Opfer von 2009 um? Foto: ap

BERLIN taz | Es sind schwere Vorwürfe, die die Bundestagsabgeordnete Christine Buchholz (Die Linke) erhebt: Die Bundesregierung verhöhne die bis zu 140 Opfer des Luftangriffs in Kundus vor genau zehn Jahren, kümmere sich nicht um Hinterbliebene, weigere sich, Verantwortung zu übernehmen, und ziehe keine Konsequenzen aus dem Bombardement. Genau zehn Jahre ist der opferreichste Angriff, den deutsche Militärs nach dem Zweiten Weltkrieg zu verantworten haben, nun her. Buchholz gehört dem Verteidigungsausschuss an und saß von 2009 bis 2011 im Kundus-Untersuchungsausschuss.

Anlässlich des zehnten Jahrestages des Angriffs, in dessen Folge der damalige Arbeitsminister und vorherige Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) zurücktreten musste, hat Buchholz der Regierung Fragen gestellt. Die Antworten „offenbaren, dass es der Bundesregierung damals wie heute in Afghanistan bei dem Bundeswehreinsatz nicht um die Bevölkerung geht“, empört sich Buchholz.

Die Bundesregierung verweist in ihrer Antwort auf die Bundesanwaltschaft, die den Luftangriff im Rahmen des humanitären Völkerrechts in bewaffneten Konflikten als „völkerrechtlich zulässig und damit strafrechtlich gerechtfertigt“ bezeichnet hatte.

In den frühen Morgenstunden des 4. September 2009 hatten zwei US-Kampfjets auf Anforderung des Bundeswehrobersts Georg Klein zwei von den Taliban gekaperte Tanklastwagen nahe der nordafghanischen Stadt Kundus bombardiert, wo die Bundeswehr ihr größtes Feldlager hatte. Diese Laster waren bei der Querung des Kundus-Flussbetts in einer Sandbank stecken geblieben. Die Piloten äußerten damals Zweifel an den Aussagen Kleins, der sie letztlich mit falschen Tatsachenbehauptungen zum tödlichen Beistand drängte.

Militärisch nicht angemessen

Als die Bomben einschlugen, waren Dorfbewohner gerade dabei, Kerosin von den Wagen abzuzapfen. 90 bis 141 Personen, die genaue Anzahl ist bis heute nicht geklärt, kamen ums Leben, darunter Frauen und Kinder. Nach Meinung des Opferanwalts Karim Popal aus Bremen, der am Dienstag mit Buchholz in Berlin vor der Presse auftrat, war unter den Opfern kein einziger Talib.

Antwort auf die Anfrage der Linksfraktion

„Die Bundes-regierung plant keine Gedenkfeier“

Der offizielle Umgang mit dem möglichen Kriegsverbrechen zeige, so Buchholz, dass der Bundesregierung das Image der Bundeswehr wichtiger sei als die Wahrheit. Die Regierung falle hinter die Position des damaligen Verteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg zurück, der den Angriff als „militärisch nicht angemessen“ bezeichnet hatte.

Anwalt Popal berichtet, dass nach den bisherigen Niederlagen der afghanischen Opferangehörigen vor deutschen Gerichten weiterhin Klagen von ihm und dem European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR), vor dem Bundesverfassungsgericht und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anhängig seien. Bei Ersterem gehe es um die sogenannte Amtshaftung bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr, die es laut Bundesgerichtshof nicht gibt. Im zweiten Verfahren in Straßburg geht es um die Frage der Möglichkeit der Individualbeschwerde eines betroffenen Vaters.

Popal war kürzlich erneut in Kundus. Im Dorf Aliabad, das dem Angriffsort am nächsten liegt, werde zurzeit ein Denkmal in Form einer gemeinsamen Grabstätte für die 21 Opfer aus diesem Dorf gebaut, sagt er. Durch die Intervention der lokalen Behörden habe es hier aber eine Verzögerung gegeben, sodass die Stätte noch nicht am zehnten Jahrestag eingeweiht werden könne.

In der Antwort des Verteidigungsministeriums auf Buchholz’ Frage heißt es lapidar: „Die Bundesregierung plant keine Gedenkfeier.“ Zur Erinnerungskultur bezüglich des Ereignisses in Afghanistan sowie über Ort und Zustand der Gräber lägen „keine Erkenntnisse“ vor.

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