Verbot von G20-Protestcamp rechtswidrig: Pfeffer gegen Schlafzelte
Beim G20-Gipfel 2017 in Hamburg verbot die Polizei das antikapitalistische Protestcamp. Das war rechtswidrig, entschied jetzt das Verwaltungsgericht.
Von einem “Putsch der Polizei gegen die Justiz“ sprach Camp-Anwalt Martin Klingner damals, weil nicht nur das Hamburger Verwaltungsgericht in einem Eilverfahren kurz zuvor festgestellt hatte, dass das Protestcamp vorläufig aufgebaut werden darf, auch mit Schlafzelten. Auch das Bundesverfassungsgericht hatte drei Tage vor dem Einsatz entschieden, dass Behörden und Gerichte Protestcamps vorläufig als Versammlung behandeln sollten.
Nun hat das Verwaltungsgericht Hamburg festgestellt: Das Camp zeitweise abzusperren und die zunächst erfolgte mündlich überbrachte Untersagung, das Camp aufzubauen sowie auch die später darauf folgende Untersagung von Schlafzelten, Duschen und Küchen, also das Verbot des Camps in seiner geplanten Form überhaupt, waren rechtswidrig, weil das Camp „jedenfalls in erheblichen Teilen“ eine Versammlung darstellt. Geklagt hatte der damalige Anmelder.
Gleich zu Beginn der Verhandlung am 4. Mai stellte Klägeranwalt Martin Klingner klar, worauf er hinaus will: nicht auf eine Klärung, ob das Camp unter das Versammlungsrecht falle, sondern auf ein formaleres Problem: dass die Polizei rechtswidrig gültige gerichtliche Entscheidungen missachtet habe.
Hamburger Polizei verteidigt sich
Insbesondere sei die von einem Beamten vor Ort am Mittag des 2. Juli mündlich überbrachte „Zwischenverfügung“ kein gültiger Verwaltungsakt, da er nicht von der zuständigen Versammlungsbehörde gekommen sei. Die Verhinderung des Camps und der Polizeieinsatz seien schon allein deshalb rechtswidrig.
Die Polizei verteidigte sich, dass die Neuanmeldung in Entenwerder einen neuen Verwaltungsakt notwendig gemacht habe, dafür notwendige Behörden nicht schneller hätten Ergebnisse liefern können und eine unmittelbare Gefahr bestanden habe. Die habe abgewehrt werden müssen.
Der Streit um das ursprünglich im Stadtpark und später auf der Halbinsel Entenwerder angemeldete Camp war einer der zentralen Konflikte während des Gipfels. Dort sollten mehrere Tausend Menschen während der Proteste diskutieren, antikapitalistische Gemeinschaft entwickeln und auch schlafen können.
Politisch und rechtlich ging der Streit vor allem um zwei Fragen – und darum ging es auch in dieser zweistündigen Verhandlung fünf Jahre nach dem G20-Gipfel wieder: Sind Protestcamps von der Versammlungsfreiheit geschützt oder sind sie bloß Schlafstätten und benötigen Sondernutzungserlaubnisse? Und sind sie gefährliche Rückzugsorte für Störer*innen und Ausgangspunkt von Blockaden und Gewalttaten, wie die Polizei behauptet?
Auch das Bundesverfassungsgericht hatte geurteilt
Bereits im April 2017 war das Camp als Dauerkundgebung vom 30. Juni bis zum 9. Juli im Stadtpark angemeldet worden. Einen Tag später erklärte sich die Versammlungsbehörde für nicht zuständig und verwies den Anmelder ans Bezirksamt. Das untersagte das Camp am 12. Mai wegen mangelnder Schutzkonzepte für die Grünflächen und fehlender Sicherheitskonzepte.
Die Organisator*innen klagten auf Anerkennung als geschützte Versammlung. Der Streit ging über mehrere Instanzen. Die Gerichte hatten Schwierigkeiten, Camps als neue Protestform anzuerkennen. Am 7. Juni gab das Verwaltungsgericht dem Antrag auf Eilrechtsschutz statt.
Es sei zwar kein eindeutiger Schwerpunkt erkennbar, Zweifel über den Charakter des Camps seien aber zugunsten der Versammlungsfreiheit aufzulösen. Auch das Bundesverfassungsgericht urteilte am 28. Juni im Sinne der Organisator*innen: Behörden und Gerichte sollten die Camps vorläufig als Versammlung behandeln.
Aber die Stadt blieb bei ihrer grundsätzlichen Ablehnung, alle Kooperationsverhandlungen scheiterten. Hilfsweise meldeten die Organisator*innen am 30. Juni schließlich das Camp in Entenwerder an, das sie, das hat das Gericht nun bestätigt, auch hätten durchführen dürfen.
„Große Genugtuung“ empfindet der Kläger
„Das Verwaltungsgericht hat die Rechtsbrüche der Polizei klar benannt. Dies ist eine große Genugtuung“, sagt der Kläger. „Dies muss jetzt auch politische Konsequenzen haben, fordert er: „Die Verantwortlichen für die rechtwidrigen Polizeieinsätze, namentlich Innensenator Andy Grote sowie der damalige Bürgermeister und jetzige Bundeskanzler Olaf Scholz müssen für den rechtwidrigen Einsatz in Entenwerder zur Verantwortung gezogen werden.“
Die am Mittwoch verhandelte Klage ist bereits die zweite in diesem Jahr, die Verbote und polizeiliche Maßnahmen während des G20-Gipfels betrifft. Bereits im Februar hatte das Verwaltungsgericht das Verbot einer friedlichen symbolischen Attac-Aktion in der Sperrzone für rechtswidrig erklärt.
Die Polizei begründete das Verbot mit der damaligen Allgemeinverordnung und ihrer allgemeinen Gefahrenprognose. Gerechtfertigt gewesen wäre ein Verbot aber nur, so das Verwaltungsgericht, wenn von den Versammlungen eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgegangen wäre. Dies sei nicht erkennbar gewesen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos