Venedig, Verbrecher, Veteranen: Ein Gespräch unter vier Augen
Die Ukraine bekommt 60 Milliarden Dollar, Friedrich Küppersbusch eine Talkshow, Venedig einen Eintrittspreis. Und Harvey Weinstein 23 Jahre weniger?
t az: Herr Küppersbusch, was war schlecht vergangene Woche?
Friedrich Küppersbusch: Kein Geld für die AfD aus Nordkorea und Iran.
Und was wird besser in dieser?
Akquise.
Wenn Sie eine Polittalkshow im öffentlich-rechtlichen Fernsehen hätten: Welche Frage würden Sie Tino Chrupalla stellen?
„Kann ich Sie mal unter vier Augen sprechen?“ Der erste Konstruktionsfehler der Talks ist, dass sie den AfD-Tatortreiniger nur unter Beigabe hoher Dosen politischer Gegner oder wenigstens im Duell mit einem Rhetorikmastino einladen. Das soll Ärger in den Gremien vermeiden und „den Radikalen kein Forum bieten“ – sondern schenkt ihm die Allein-gegen-alle-Rolle, die seine Fans so lieben. Der zweite Fehler: Man wünschte sich doch auch gern mal einen Talk mit Herrn Lindner oder Frau Baerbock unter der öffentlichen Maßgabe, sie „zu konfrontieren, zu entzaubern“. Doch mal sollen die ModeratorInnen keinesfalls und mal ganz dringend Aktivisten sein. Der spießige Malermeister Pinsel aus Weißwasser, ein Kriegsdienstverweigerer aus der Jungen Union, ist für die AfD so typisch wie sagen wir mal eine lesbische Steuervermeiderin aus der Schweiz. Da wäre viel zu fragen, wenn der Talk nicht im Wesentlichen eine Ausrede für sein Stattfinden produzieren soll.
Im März 2020 wurde Harvey Weinstein von einem New Yorker Richter wegen Vergewaltigung und sexueller Nötigung zu 23 Jahren Haft verurteilt. Nun ist dieses Urteil aufgehoben worden. Ist das schon eine „erstaunliche Wende“ (Bild) in dem Fall?
Das Gericht hatte neben den beiden konkreten Klagen auch eine Reihe weiterer Belastungszeuginnen angehört, deren Fälle nicht zur Verhandlung standen. Dadurch sei der Angeklagte „in einem höchst nachteiligen Licht“ erschienen. Deshalb wurde das Urteil nun kassiert. Klingt logisch, sich ein Bild zu machen, ob der Typ auch eher grundsätzlich ein Arschloch ist. Ist aber juristisch Quatsch, jemanden für viele Fälle zu bestrafen, wenn man nur zwei durchermittelt hat. Das war ein Fehler auf Kosten der Klägerinnen, die Weinsteins unzweifelhaft nachgewiesene Verbrechen erneut öffentlich aussageförmig durchleben müssen. Das ist schlimm – aber keine Wende.
Venedig kostet jetzt Eintritt. Fahren Sie da noch hin?
Ich war zweimal da und kann euch alles erzählen! Mit Fotos! Mach ich für die Hälfte, zweifuffzich! Wird aber nichts helfen, denn: Solange die Stadt immer mehr Gästebetten zulässt, bleibt’s eine Art Kurtaxe, die Touris locker einkalkulieren.
Wie erwartet gehen russische Verbände noch mal in die Offensive, bevor die neuen Waffen aus dem Westen in der Ukraine voll einsatzfähig sind. Oder ist das zu kurz gedacht?
Die 60 Milliarden aus den USA schaffen eine günstigere Situation für die Ukraine: Paradox genug nicht unbedingt für den mörderischen Krieg gegen die russische Aggression. Der Überfall auf Kiew scheiterte so wie die Offensiven der Ukraine. Wer mehr davon versteht, mag nun Dollars in Meter Landgewinn umrechnen – oder in noch mehr Tote und Verstümmelte. Klüger und menschlicher also, die Stärkung der Ukraine in ihre Position für Verhandlungen einzurechnen. Klar, das ist mal wieder Lumpenpazifismus und so, doch – wenn die Kohle auch alle ist, hat die Ukraine noch mehr Elend und noch weniger Hebel für Ergebnisse.
Erneuerbare Energie deckt inzwischen 56 Prozent des Stromverbrauchs. Ist angesichts dieser Zahl das Ampelbashing nicht beckmesserisch?
Nein, das muss so sein. Historische Größe entsteht gern, wenn man etwas in seiner Zeit kaputt quatscht und zehn Jahre später rückblickend schwelgt, was für eine gute Zeit das damals war. Wie etwa die CDU sich fast zerlegte über Brandts Ostpolitik, um dann Jahrzehnte komfortabel damit zu regieren. Oder Oppositionsführerin Merkel im Bundestag Schröders „Agenda“ abohrfeigte mit den goldenen Worten: „Das war heute nicht der große Wurf.“ Oder den rot-grünen Atomausstieg einfach noch mal eurythmisch nachtanzte. Die Ampel hat wenig Tröstliches zurzeit außer der Aussicht, eine wirklich schöne Leiche zu werden.
Deutschland ehrt seine Soldat:innen mit einem Veteranentag. Welche Gruppe hätte auch unbedingt so eine nette Geste verdient?
Diese Bundesregierung besteht bis auf Pistorius aus Frauen, Ungedienten und Kriegsdienstverweigerern. Ein paar premiumbewegliche wie Özdemir, Lindner und Buschmann haben inzwischen Crashkurse beim Bund nachgereicht. Sie haben sich nicht getraut, ins Gedenken für die Veteranen ausdrücklich auch den Respekt für die Zivildienstleistenden aufzunehmen. Obwohl es dem aktuellen Streit um ein Pflichtjahr guttäte. Aber der Zeitgeist ist militärisch, und so ist die Entscheidung dann auch: feige vor dem Feind.
Und was machen die Borussen?
Haben einen neuen Chef, der mal in der Champions League kurz nach seiner Einwechslung ein Siegtor gegen Bayern geschossen hat. Kernkompetenz.
Fragen: waam, Doris Akrap
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen