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Urteil zur französischen RentenreformMaloche bis 64 verfassungskonform

Der Verfassungsrat billigt die umstrittene Erhöhung des Rentenalters in Frankreich. Aufatmen kann Präsident Macron dennoch nicht.

„Ihr gebt uns 64 – wir wiederholen Mai 68“ – Demo in Lille gegen die Rentenreform am 13.4.2023 Foto: Michel Spingler/ap

Paris dpa | Die umstrittene Rentenreform von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron kann in Kraft treten. Der Verfassungsrat erklärte das Vorhaben zur schrittweisen Anhebung des Renteneintrittsalters von 62 auf 64 Jahre am Freitag im Kern für verfassungskonform. Für Macron ist es ein Erfolg in dem monatelangen Streit um die Reform. Doch die Proteste könnten durch die Entscheidung weiter angefacht werden.

Macron und die Mitte-Regierung wollen mit der Reform ein drohendes Loch in der Rentenkasse verhindern. Die Einzahldauer für eine volle Rente soll schneller steigen. Derzeit liegt das Renteneintrittsalter in Frankreich bei 62 Jahren. Tatsächlich beginnt der Ruhestand im Schnitt später: Wer für eine volle Rente nicht lange genug eingezahlt hat, arbeitet länger. Mit 67 gibt es dann unabhängig von der Einzahldauer Rente ohne Abschlag – das soll so bleiben.

Das Vorhaben ist in Frankreich äußerst umstritten. Die Gewerkschaften halten es für brutal und ungerecht. Seit Anfang des Jahres streiken und protestieren regelmäßig Hunderttausende gegen die Reform. Auch im Parlament lieferten sich Regierung und Opposition einen heftigen Schlagabtausch. Um eine drohende Schlappe zu verhindern, entschied die Regierung in letzter Minute, die Reform ohne finale Abstimmung durch die Nationalversammlung zu drücken. Linke und Rechtsnationale Abgeordnete, linke Senatoren und auch Premierministerin Élisabeth Borne riefen anschließend den Verfassungsrat an.

Die Abgeordneten monierten unter anderem, dass die Regierung die Reform in einem Haushaltstext verpackte und die Debattenzeit im Parlament verkürzte. Hierin sahen die obersten Hüter der französischen Verfassung jedoch kein Problem. Sie kassierten hingegen ein für größere Unternehmen verpflichtendes Verzeichnis älterer Angestellter und einen Sondervertrag für ältere Arbeitnehmer, weil diese nichts mit den Finanzen zu tun hätten.

Auch wenn die Gewerkschaften die Entscheidung des Verfassungsrats respektieren wollen, könnten die Proteste gegen die Reform weiter gehen. Denkbar ist, dass es nun mehr spontane Aktionen geben könnte – möglicherweise erneut mit Ausschreitungen und Gewalt. Einige radikalere Gruppen könnten ihre Streiks zudem fortführen. Einem Verfahren für ein Referendum, das das Renteneintrittsalter auf 62 Jahre deckeln wollte, erteilte der Verfassungsrat eine Absage.

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15 Kommentare

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  • Macron hätte die Franzosen vor die Wahl stellen sollen höhere Beiträge oder späteres Renteneintrittsalter.

  • Soso, "Maloche bis 64".



    Schon vor Jahren wurde hierzulande mit freundlicher Unterstützung von Gewerkschaften und sozialen Demokraten die Maloche bis 67 beschlossen. Die Rente mit 70 taucht in ersten Diskussionen schon auf.

    Im westlichen Nachbarland wird es Zeit, in der Realität anzukommen. Höhere Lebenserwartung und schwierige Finanzierung machen ein späteres Eintrittsalter alternativlos.

  • Sicher hoffen auch in Frankreich viele, dass der Kapitalismus bald beendet ist, denn im Sozialismus wäre dann auch die Rentenfrage gelöst. Wirklich?



    In der sozialistischen DDR, in der angeblich „alles mit dem Volk – alles für das Volk“ galt, war die Lebenserwartung insgesamt deutlich kürzer als heute. Das Renteneintrittsalter betrug für Frauen 60 Jahre, für Männer 65 Jahre. Was würden die (männlichen) Franzosen zu dieser doppelten Geschlechterungerechtigkeit sagen? Nicht nur, dass sie eine kürzere Lebenserwartung als Frauen hatten, mussten sie auch noch 5 Jahre länger arbeiten! Man ermesse deren „Maloche“!

  • Was wäre denn die Alternative zur späteren Rente, weniger Rente oder mehr Beiträge?



    Wer dagegen protestiert, völlig legal und verständlich, der muss aber auch sagen, wo das Geld herkommen soll.

  • 6G
    659554 (Profil gelöscht)

    Zusammengefasst: Macron macht sich zum Steigbügelhaltet für Le Pen. Deren Wahl in 4 Jahren ist nun sicher.



    Die neoliberalen Claqueure Macrons, auch hier in diesen Kommentarspalten, können sich dann bei ihm bedanken.

    • @659554 (Profil gelöscht):

      Kannst du uns denn erklären, wie sich eine Volkswirtschaft, in der die Lebenserwartung mittlerweile deutlich über 80 liegt, ein Rentenalter von 62 leisten kann?

      • 6G
        659554 (Profil gelöscht)
        @yeoldelloyd:

        Genau mit diesem Schwindel haben sich die Deutschen ihre Renten kürzen lassen.



        Laut der unabhängigen Rentenkomission gibt es auch in Zukunft kein Defizit im frz. Rentensystem.

    • @659554 (Profil gelöscht):

      Na von den "Reichen" natürlich ! Wobei, je nachdem wie scheu das Geld der "Reichen" sein wird, die Definition das Begriffes "Reich" so weit nach unten korrigiert wird, das es auch Menschen betrifft, die das Land nicht so einfach verlassen können.

      Wie fühlt es sich an schon zB. mit einem Jahrsbruttoeinkommen von 50 000 € reich zu sein ? ;)

      • @SeppW:

        Das mit den Reichen hat Frankreich schon versucht mit der Reichensteuer von 75%. Führte zu sinkenden Steuereinnahmen so dass sie das kleinlaut wieder zurücknehmen mussten.

        • 6G
          659554 (Profil gelöscht)
          @Wombat:

          75%? Völliger Unsinn, hier nachzulesen:



          www.journaldunet.f...cul-et-simulation/

          Macrons Abschaffung des ISF im ersten Amtsjahr hat überhaupt nichts von dem was er versprach gebracht, war aber symptomatisch für seine Politik ausschließlich zu Gunsten von Reichen, Großkonzernen Finanzwirtschaft, bei gleichzeitigem Kaputtsparen von öffentlichen Diensten. Neoliberaliamus halt.

          • @659554 (Profil gelöscht):

            Es geht um die Reichensteuer die von Hollande 2015 aufgegeben wurde. Und die lag bei 75%.

            www.faz.net/aktuel...-auf-13348842.html

            • 6G
              659554 (Profil gelöscht)
              @SeppW:

              Tja, auch Hollande war letztenendes ein Neoliberaler. Wenn man die Reichen besteuert, dann darf man ihnen natürlich nicht gleichzeitig erlauben, ihre Einkünfte kleinzurechnen, ins Ausland zu verschieben etc. So konnte die Steuer natürlich nichts bringen...

  • Sehr gut Macron.



    Gegen billigsten Populismus eine richtige Entscheidung durchgesetzt, auch auf Kosten der eigenen Widerwahl. Selten solche Politiker.

    • 6G
      659554 (Profil gelöscht)
      @Wombat:

      Macron kann gar nicht wiedergewählt werden. Deshalb ist es ihm egal, wenn er im Zuge der Vorbereitung seiner Banken- oder sonstwas Zweitkarriere verbrannte Erde hinterlässt.

  • Was für eine Überschrift!

    "Maloche bis 64 verfassungskonform"

    Und wer danach nicht in Rente geht, handelt verfassungswidrig.



    Ja, das sollte man mal einführen, auch bei uns.