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Urteil zur „Judensau“ in WittenbergAuf die Absicht kommt es an

Christian Rath
Kommentar von Christian Rath

Die antisemitische Schmähplastik darf an der Wittenberger Kirche bleiben. Sie ist nicht beleidigend, weil sie in ein Gedenkkonzept eingebettet ist.

Sau des Anstoßes in Wittenberg Foto: Hendrik Schmidt/dpa

D ie „Judensau“ bleibt. Die antisemitische Schmähplastik aus dem 13. Jahrhundert kann an der Wittenberger Stadtkirche sichtbar bleiben, weil sie in ein Gedenkkonzept mit einer Bodenplatte und einer Informationsstele eingebunden ist. Das entschied am Dienstagnachmittag das Oberlandesgericht Naumburg, das oberste Gericht des Landes Sachsen-Anhalt. Es liege keine Beleidigung der in Deutschland lebenden Juden durch die Wittenberger Kirchengemeinde vor.

Das Urteil überzeugt. Die evangelische Kirchengemeinde wollte bei ihrer Entscheidung, die Schmähplastik zu belassen, eben nicht Juden verächtlich machen – und hat das auch nicht billigend in Kauf genommen. Vielmehr wollte sich die Kirchengemeinde der eigenen Geschichte stellen: Der historische christliche Antisemitismus sollte sichtbar bleiben, gerade auch an der Wittenberger Kirche Luthers, der selbst ein übler Antisemit war.

Ob die konkrete Auseinandersetzung in der Lutherstadt Wittenberg geglückt ist, steht auf einem anderen Blatt. Die Bewertung von Gedenkkonzepten sollte aber der gesellschaftlichen Diskussion überlassen bleiben und nicht durch Gerichte entschieden werden. Die Kritik an der umständlichen Distanzierung der Wittenberger Christen ist ein Fall fürs Feuilleton und seine Debatten, nicht für juristische Unterlassungsklagen.

„Eine Beleidigung bleibt eine Beleidigung, ob man sie kommentiert oder nicht“, sagte Landesbischof Friedrich Kramer im Vorjahr. Das klingt gut, ist aber kurzschlüssig. Denn dann wäre es sogar verboten, die Judensauplastik – pädagogisch aufbereitet – in einem Museum zu zeigen. Und genau das hatte der Kläger des Naumburger Verfahrens – ein konvertierter Bonner Jude – ja gefordert.

Zu Recht kommt es also immer auf die Absicht und den Kontext an. Deshalb ist auch das durchgestrichene und zertretene Hakenkreuz als Symbol der Antifa-Bewegung durchaus erlaubt – obwohl das Zeigen von NS-Symbolen an sich strafbar ist. Nazis können deshalb weder das durchgestrichene Hakenkreuz noch die Judensau für ihre Zwecke nutzen.

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Christian Rath
Rechtspolitischer Korrespondent
Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).
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25 Kommentare

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  • wann hat sich denn in der Kiche ohne äußeren Zwang je etwas verändert?



    Die Kirche kann in diesem Steit nur verlieren- egal wie er ausgeht, weil das symtomatisches Problem der Kiche so gut ans Licht kommt, daß der Verstand stets, dem "heiligen" Geist den Vortitt lässt.

  • Man kann geteilter Meinung sein, ob man historische Darstellungen abnehmen muss.

    "Das Urteil überzeugt."

    Aber das ist Bullshit.

    Haben Sie dem Pfarrer mal zugehört Herr Rath?

    Aus seinem Interview in der SZ.

    Unterhalb des Reliefs befindet sich eine Gedenktafel: eine Platte aus Bronze, zerborsten, dazu der Satz: "Gottes eigentlicher Name, der geschmähte Schem Ha Mphoras, den die Juden vor den Christen fast unsagbar heilig hielten, starb in sechs Millionen Juden unter einem Kreuzeszeichen." Sie müssen zugeben, dass das als Kommentierung recht kompliziert ist.

    Die Gedenktafel ließ die Gemeinde 1988 anbringen, außerdem steht an dem Ort eine Zeder als Zeichen des Friedens. Zu DDR-Zeiten einen solchen Ort der Mahnung zu etablieren, finde ich rühmenswert. Aber dem Besucher wird tatsächlich sehr viel abverlangt. Deswegen setze ich mich für eine Weiterentwicklung der Mahnstätte ein.

    Was schwebt Ihnen vor?

    Meine Idee wäre ein Lichtband, das Mahnplatte, Zeder und Schmähplastik verbindet. Außerdem schwebt mir eine Art Prisma vor, durch das die Besucher das Relief in einer gebrochenen Perspektive wahrnehmen können, sodass dessen Bildprogramm als überwunden vor Augen steht."

    www.sueddeutsche.d...soehnung-1.4781799

    Der hält das für ein Ensemble! Man macht ein bisschen Grün und Licht drumherum und dann ist es gut.

    Eben nicht, das ist ganz billiges Rumgedruckse, es wird nicht erklärt was das Relief eigentlich darstellen soll, wir können ja mal einen Test machen, wie viele Menschen die symbolische Bedeutung einer Zeder auf anhieb kennen. Was stellt das Bild da, warum ist es antisemitisch und das man sich dafür entschuldigt, so schwierig wäre das nicht.

    So wie es jetzt läuft, etwas Lametta drum und totschweigen, ist es einfach traurig.

  • Schwierige, aber richtige Entscheidung. Vielleicht sollte es ein Grundsatzurteil geben, dass kirchlichen Einrichtungen eine deutlichere öffentliche Auseinandersetzung mit solchen Darstellungen auferlegt. Eine kleine abseitige Gedenktafel scheint mir schon etwas unangemessen.

    Wenn man aber alle geschichtlichen oder künstlerischen Werke mit schwierigen Inhalten verbannen oder zensieren wil, dann verleugnet man eben nicht nur den Kontext solchen Gedankenguts sondern verhindert eine offene Auseinandersetzumg mit den kulturrellen und zeitgeschichtlichen Hintergründen von Antisemitismus und Ähnlichem.

  • "Und genau das hatte der Kläger des Naumburger Verfahrens – ein konvertierter Bonner Jude – ja gefordert."

    Welche Rolle spielt es hier, dass der Kläger aus Bonn und kein "richtiger", sondern konvertierter Jude ist?

  • "Vielmehr wollte sich die Kirchengemeinde der eigenen Geschichte stellen: Der historische christliche Antisemitismus sollte sichtbar bleiben, gerade auch an der Wittenberger Kirche Luthers, der selbst ein übler Antisemit war."

    Okay, wann werden Exemplare von Hitlers "Mein Kampf" in deutschen Bibliotheken, Buchhandlungen, Schulen, Universitäten, etc ausgestellt, damit der Antisemitismus in Deutschland sichtbar bleibt?

    • @Jossi Blum:

      jedenfalls gibt es seit einiger Zeit wohl das Buch in "kommentierter Version" im Buchhandel zu kaufen.

  • Wenn mensch den öffentlichen Raum quasi als ausgelagertes (open air) Wohnzimmer betrachtet; hm, wer würde sich sowas in/an die Hütte hängen oder in den anderen zweiten oder dritten Wohnzimmern (bei Freunden, im Vereinsheim, Kneipe etc. pp.) sehen wollen???



    Und wenn das Relief Martin Luthers Entjudifizierungsphantasien noch befeuert hat ist es umso schlimmer und eher ein Grund, es zu entfernen als es hängenzulassen!

  • Es bleibt ein Rätsel, wie man als Christ in einem solchen Haus zu Gott beten kann.

    • @Günter:

      Warum? Worum geht es hauptsächlich - um die Beleidigung von Juden oder um den Nachweis, dass AUCH Christen zu allen Zeiten Täter sein konnten? Mich beschleicht seit längerem das Gefühl, dass es den Befürwortern der Beseitigung der Plastik hauptsächlich um nachträgliche Reinwaschung des Christentums und weniger um die faktische Beleidigung des Judentums geht. Diese Plastik an einem x-beliebigen historischen Rathaus oder Bürgerpalast würde ein deutlich geringeres Interesse unter "DEN" Christen hervorrufen.



      Dessen ungeachtet bedeutet der Besuch oder das Gebet in der Stadtkirche keinesfalls, dass man sich mit der inhaltlichen Aussage der Plastik aus dem 13.Jh. gemein macht! Sonst müste allen Besuchern der Stiftskirche Quedlinburg oder des Olympiastadions in Berlin Nazi-Nähe unterstellt werden.



      Also, was ist der Kern Ihres Gedankens?

  • Richtiges Urteil.



    Auch die weltbekannte Stolperstein-Aktion von Gunter Demnig wird ja von manchen Juden abgelehnt - u.a. von Charlotte Knobloch (der die Stadt München mehrheitlich folgt). In den meisten anderen Städten und Orten wird das nun mal anders gesehen. Und Gerichte sollten sich da tunlichst heraus halten.

    • @Linksman:

      Die Stolperstein-Aktion wird von C. Knobloch deshalb abgelehnt, weil man/frau auf den Stolpersteinen mit den Namen der ermordeten Menschen herumtrampelt. Sie hatte vorgeschlagen, die Steine anders anzubringen. Ich persönlich finde diese Aktion gut, da man meist doch über die kleinen Messinggedenktafeln "stolpert". Allerdings verstehe ich nicht, was die "Judensau" in der Kirche mit den Stolpersteinen zu tun haben soll. Äpfel und Birnen.

      • @Jossi Blum:

        Erklären, nicht entfernen.



        Ein Ensemble "Judensau" mit erklärendem Gedenkkonzept hat einen ähnlichen Charakter wie die Stolpersteine.



        Wenn es nur noch eine Erklärstele - ohne das Originalstück - gibt, ergibt sich für viele kein authentischer Gesamteindruck mehr.

  • 9G
    90118 (Profil gelöscht)

    ich möchte den autor christian rath sehen, wenn er beim stadtspaziergang persönlich geschmäht würde - durch ein ihn betreffendes, jahrhunderte altes relief an der stadtkirche. anstelle von wohlgefühl und vielleicht noch in der sonne einen espresso trinken dürften doch wohl eher düstere gedanken den fortgang des tages bestimmen.

    die überwindung von rassistischer, verletzender propaganda kann auch genau deren entfernen aus der städtischen öffentlichkeit bedeuten - an einer genutzten, protestantischen stadtkirche.

    die dokumentation des vermeintlich überwundenen denkens gehört ins archiv.

  • Sollte Ihrer Meinung nach auch der vorliegende TAZ-Bericht verboten sein?



    Er enthält das Wort "j..u" und sogar ein Bild des Reliefs.

  • Eingebetteter Antisemitismus

    Zitat: „Die antisemitische Schmähplastik darf an der Wittenberger Kirche bleiben. Sie ist nicht beleidigend, weil sie in ein Gedenkkonzept eingebettet ist.“

    Ein bemerkenswertes Argument mit einer bizarren voluntaristischen Logik: Künftig kann man also jegliche Art von Schmähungen und Beleidigungen mit historischem Bezug vom Stapel lassen, auch gegen das Judentum, und nur mit dem Mäntelchen umhüllen, es sei ja alles „in ein Gedenkkonzept eingebettet“, und schwups ist man vor jeder Anfechtung gefeit. Darauf muß man erst mal kommen.

    Die Lenin-Denkmäler, die Karl-Marx-Uni usw. kamen allerdings nicht in den Genuß solcher Art gedenkkonzeptioneller Einbettungen. Lenin und Marx also viel schlimmer als die Judensäuen an christlichen Kirchen...

    • @Reinhardt Gutsche:

      In Strausberg gibt es sogar noch eine Peter-Goering-Strasse. Benannt nach einem Mauerschuetzne, der auf ein fluechtendes Kind geschossen hatte. Hier im TAZ-Archiv nachzulesen.

    • @Reinhardt Gutsche:

      Mir ist nichts von entsprechenden Urteilen bei Karl-Marx-Uni und Lenin-Denkmälern bekannt, haben Sie dazu eine Quelle?

      Und einfach so mit der reinen Behauptung, es sei in ein Gedenkkonzept eingebunden, hat es sich nunmal nicht erledigt.

    • @Reinhardt Gutsche:

      Mei Gudschder - vor allem zum Ende.

      Wie war das noch mal mit der - ah ja:



      “… voluntaristischen Logik…?



      Get it? Fein.

    • @Reinhardt Gutsche:

      Der Punkt ist: es lässt niemand mehr irgendwas vom Stapel. Das Ding hängt da seit 700 Jahren.

      Die Lenin-Denkmäler hatten das Pech, dass sie nicht 700 Jahre alt waren, sondern für eine Gegenwart standen, die die Menschen loswerden wollten. (Und von mir aus hätte man auch eines gedenkkonzeptionell eingebettet stehen lassen können.)

      Wissen Sie eigentlich, wieviele Massen an Ernst-Thälmann-Str. oder Wilhelm-Pieck-Str. es noch gibt? Gedenkkonzeptionell eingebettet ist da gar nichts.

      Von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, Marx und Engels ganz zu schweigen.

      Wenn Sie das als Maßstab nehmen, müsste die Plastik drei mal hängen bleiben.

    • @Reinhardt Gutsche:

      Ein Lenindenkmal ist ja nicht per se beleidigend und auch nicht darauf angelegt.

      Wenn aber eine Plastik genau die Beleidigung beabsichtigt, heißt das auch noch nicht, dass sie unter allen Umständen, allein durch ihren Anblick, beleidigt. Denn, wie im Artikel ausgeführt, wäre sie dann auch dann strafbare Beleidigung, wenn sie in einem Museum stünde, in der Zeitung abgebildet oder sogar in einem Geschichtsbuch, um zB mittelalterlichen Antijudaismus zu illustrieren. Das ist offenkundig auch absurd, weil dann ja jede Darstellung der Plastik, und sei sie noch so stark in einen mahnenden und erläuternden Kontext eingebunden, beleidigend und daher unzulässig wäre. Das liefe in letzter Konsequenz auf ein vollkommenes Darstellungsverbot beleidigend gemeinter Bilder hinaus.

    • @Reinhardt Gutsche:

      Natürlich ist das Relief eine historische Beleidigung, es ist deshalb ein Zeugnis eines Jahrhunderte dauernden Mainstreams und sollte daher sichtbar bleiben, damit uns allen und insb. jenen, die vom ´christlich-jüdischem Abendland´ schwadronieren nicht bloß die Fälle vor Augen bleiben, wo das Abendland mal ein, zwei Generationen lang nicht mit raubmörderischer Absicht vor der Tür stand.



      Das Beseitigen unerfreulicher Kunstwerke zeugt nicht nur von moralischer Kleingeistigkeit, wie die jener Rechtgläubigen jeglicher ideologischer Couleur, die mal wieder antiunmoralische Bilderstürmerei betreiben, sondern fördert in diesem Falle die Wahrnehmung der NS Zeit als etwas, dass urplötzlich wie eine Psychose über Deutschland kam, statt das Resultat Jahrhunderte langer Diskriminierung zu sein.



      Deswegen sollte das Teil bleiben, wo es ist, die frömmelnd jüdische Opfer christlich vereinnahmende Erläuterungstafel ist aber zu ersetzen, da sie kein ´Gedenkkonzept´ darstellt.



      Stünde dort in etwa: ´Seht her, hier wurde dies gepredigt, was in Auschwitz sein Höhepunkt, aber bis heute kein Ende hatte´, könnte aus einem Schandmal ein Nachdenkmal werden.

      • @Euromeyer:

        Zitat @Euromeyer: „Stünde dort in etwa: ´Seht her, hier wurde dies gepredigt, was in Auschwitz sein Höhepunkt, aber bis heute kein Ende hatte´, könnte aus einem Schandmal ein Nachdenkmal werden.“

        Dem ist voll beizupflichten. Es geht in der Tat weniger um die Frage „Beseitigen oder Unangetastet lassen“, sondern eher um die bizarre Begründung des Richterspruchs mit ihrer an den Haaren herbeigezogenen und eher beschönigenden Einbettungsthese, mit der man eben jede „Schweinerei“ entschuldigen kann, wenn man so sagen darf. Die Judensau-Reliefs an Dutzenden von Kirchenbauten in Deutschland (zumeist ohne erklärende Kontext-Tafeln) sind natürlich ein buchstäblich plastisches Zeugnis jener bruchlosen geistigen Kontinuität von christlichem Antijudaismus und dem eliminatorischen Antisemitismus der Hakenkreuzler. Man muß eben nur dafür sorgen, daß sie explizit und nicht nur versteckt „eingebettet“ als solche auch wahrgenommen wird. Da hat Euromeyer völlig Recht.

        Ein Vorteil dieser Gerichtsposse ist es, wieder einmal an die geistigen Vorläufer von Auschwitz zu erinnern.

    • @Reinhardt Gutsche:

      Sie verwechseln Bilderstürmerei und verantwortungsvollen Umgang mit der Geschichte. Auch künftig müssen aus der Geschichte überkommene Gegenstände nicht beseitigt werden, wenn sie für sich genommen beleidigend, ehrverletzend oder anderweitig "anrüchig" wären und nicht unter das Verbot bestimmter Symbolik fallen. Entscheidend ist die Kommentierung bzw. Einordnung. Und es gibt keinen Freibrief, Gegenstände mit gleichem Inhalt oder gleicher Aussage NEU zu kreieren und in die Welt zu stellen. Sie liegen also falsch mit Ihrer Annahme.



      Zu ihrem letzten Absatz: der "Nischel" in Karl-Chemnitz-Stadt steht dort immer noch, es gibt auch noch viele Strassen seines Namens. Andernorts war der Wunsch nach "Bilderstürmerei" grösser - das gab' s zu allen Zeiten. Und im Fall von Lenin ist der rasante Bedeutungsverlust auch nur zu begrüssen. Aber selbst bei der (von vielen verhassten) Berliner Mauer sind heutzutage nicht wenige der Meinung, dass man mehr davon als Erinnerung und Mahnung "in echt" hätte stehen lassen sollen. Denn statt dessen gibt es heute fast nur noch die nachgestellte Folklore um den ehem. Checkpoint Charly herum und ein bisschen Eastside-Gallery.



      Am Kulturpalast in Dresden wurde das Wandbild "Der Sieg der Roten Fahne" - ein echter Propagandabrocken- restauriert, falls Sie das beruhigt. Manch ein Vertreter der Stadtgesellschaft hatte darob zwar Puls, aber insgesamt lässt sich gelassen damit leben, wenn man weiss, dass DIESE Zeit vorbei ist! Jetzt kann ich meinen Nachkommen immerhin zeigen, was in meinen jungen Jahren meine Weltsicht prägen sollte... Ob die das heute anspricht oder nicht, müssen sie selbst herausfinden.

      • @Edward:

        Zitat „Am Kulturpalast in Dresden wurde das Wandbild "Der Sieg der Roten Fahne" - ein echter Propagandabrocken- restauriert, falls Sie das beruhigt.“

        Nun, meine Begeisterung für solcherart Propaganda-Ästhetik hält sich in engen Grenzen. Allerdings ist es beunruhigend, ein Wandbild zur Heroisierung der Roten Fahne, immerhin auch das Symbol der Sozialdemokratie, zu komparatistischen Zwecken mit den Judensau-Reliefs an deutschen Kirchen in dasselbe moralische erinnerungspolitische Regal zu legen...

        • @Reinhardt Gutsche:

          Der Subtext zu den rote-Fahnen-Motiven geht ja noch weiter, die rote Fahne ist ja Paradebeispiel für den Missbrauch von Ikonen. Zuletzt, im real existierenden Sozialismus, also im Bonzen- und Kaderstaat, war sie dank Stalin, Mielke & Co. eher Drohung als Verheißung: Wer nicht mit uns ist, ist gegen uns - und das an gefühlt jeder dritten Häuserwand vor Augen.