Urteil zum Dieselskandal: Geld zurück für Schummelsoftware
Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs: Wer einen Diesel-PKW mit Thermofenster kaufte, hat Anspruch auf Schadensersatz. Aber es gibt Tücken.
Dagegen hat der BGH für den Einsatz sogenannter Thermofenster bisher Schadensersatz verweigert. Als Thermofenster bezeichnet man eine Software, die dafür sorgt, dass die Abgasreinigung bei tiefen und hohen Temperaturen nicht (vollständig) funktioniert. Da die Thermofenster dem Kraftfahrbundesamt auch schon vor Auffliegen des Dieselskandals im September 2015 bekannt waren, liege hier keine Sittenwidrigkeit vor, so der BGH noch im Januar 2021.
Im März 2023 eröffnete der EuGH jedoch einen neuen Weg zu Schadensersatz. Er gewährt auch bei vorsätzlichem oder fahrlässigem Verstoß gegen die EG-Fahrzeuggenehmigungs-Verordnung (FGV) Schadensersatz, weil diese Verordnung auch dem Schutz der Bürger diene. Der BGH hatte das anders gesehen.
Nun folgte der BGH jedoch dem EU-Gerichtshof. Möglich sei Schadensersatz wegen Verletzung eines Schutzgesetzs gemäß Paragraf 823 Absatz 2 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch). Dabei soll es aber keinen „großen Schadensersatz“ geben, sagte die BGH-Senatsvorsitzende Eva Menges. Das heißt, der Käufer kann nicht verlangen, dass der Kaufvertrag rückabgewickelt wird, indem er das Fahrzeug zurückgibt und dafür den Kaufpreis zurückerhält.
Bis zu 15 Prozent des Kaufpreises als Schadensersatz
Stattdessen sollen die Käufer die Fahrzeuge mit den illegalen Thermofenstern behalten, haben aber im Prinzip Anspruch auf Geldentschädigung für den Minderwert, da möglicherweise eine Stilllegung der betroffenen PKW durch das Kraftfahrbundesamt droht.
Weil es hier um Millionen Fahrzeuge gehen könnte, soll allerdings nicht in jedem Einzelfall ein Gutachten eingeholt werden. Die Richter können vielmehr eine Summe zwischen 5 und 15 Prozent des Kaufpreises als Schadensersatz festlegen.
Doch bevor die Hersteller bezahlen müssen, sind noch drei Hürden zu nehmen. Erste Hürde: Es muss tatsächlich eine illegale Einrichtung zur Abschaltung der Abgasreinigung vorliegen. Wie der EuGH in einem anderen Urteil im Juli 2022 entschied, dürften zwar die meisten Thermofenster illegal sein. Es kann aber Ausnahmen geben, wenn das Thermofenster erforderlich ist, um Unfälle durch plötzlichen Motorausfall zu verhindern und die Abgasreinigung nur selten, also bei besonders hohen und besonders niedrigen Temperaturen, abgeschaltet wird.
Laut Richterin Menges müssen die Dieselkäufer beweisen, dass in ihrem Fahrzeug eine Abschalteinrichtung eingebaut ist. Und die Hersteller haben die Beweislast dafür, dass das Thermofenster ausnahmsweise legal ist. Eine VW-Sprecherin sagte nach dem Urteil, man sei felsenfest davon überzeugt, dass der seit 2012 gängige VW-Motor EA 288 legal sei. Er ist in vielen Modellen des Konzerns von VW Beetle bis Skoda Octavia zu finden.
Das Verwaltungsgericht Schleswig hat im Februar in einem noch nicht rechtskräftigen Urteil festgestellt, dass die Abschalteinrichtung im Vorgänger-Motor EA 189 illegal war. Die Deutsche Umwelthilfe hat die Typengenehmigungen aller Diesel-PKW angegriffen. Es kann also lange dauern, bis für alle Motoren Legalität oder Illegalität geklärt ist.
Schadensersatzanspruch im ungünstigsten Fall Null
Zweite Hürde ist das Verschulden. Die Hersteller müssen beim Einbau der Abschalteinrichtung mindestens fahrlässig gehandelt haben. Die Hersteller berufen sich jedoch darauf, dass sie – selbst wenn ihr Thermofenster illegal ist – davon nichts ahnen konnten, weil das Kraftfahrbundesamt in Flensburg damit immer einverstanden war. Schon einige Oberlandesgerichte (in Stuttgart, Hamm und Schleswig) folgten dieser Argumentation und nahmen einen „unvermeidbaren Verbotsirrtum“ an.
Wenn der BGH dem folgt, gibt es keinen Schadensersatz. Richterin Menges kündigte an, dass in der schriftlichen Urteilsbegründung genaue Vorgaben zum Verbotsirrtum stehen sollen. Die Begründung soll deshalb schon im Lauf der Woche veröffentlicht werden.
Dritte Hürde ist der Ersatz von Nutzungen. Die Dieselkäufer sollen am Ende nicht besser gestellt sein, als sie es ohne Schaden wären. In speziellen Konstellationen soll vom Schadensersatz deshalb noch eine gewisse Summe für die Nutzung des Fahrzeugs abgezogen werden. Dies kann den Schadensersatzanspruch im ungünstigsten Fall auf Null reduzieren.
Über die drei Musterfälle müssen jetzt wieder die Oberlandesgerichte entscheiden.
(Az.: VIa ZR 33r/22 u.a.)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Fall Mouhamed Dramé
Psychische Krisen lassen sich nicht mit der Waffe lösen
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe