Urteil im VW-Dieselskandal: Gericht bremst Autohersteller aus

Sieg für die Deutsche Umwelthilfe: Thermofenster sind unzulässig, urteilt das Verwaltungsgericht Schleswig. Diesel dürfen aber weiterfahren – vorerst.

Auspuff

Darf vorerst weiterdieseln: Auspuff von VW Golf IV Foto: Michael Kri/imago

BERLIN taz | Für die Deutsche Umwelthilfe (DUH) ist das Urteil ein Triumph. Das Verwaltungsgericht Schleswig hält bestimmte Software für unzulässig, die die Abgasreinigung bei Dieselautos bei bestimmten Außentemperaturen abschaltet. Das Kraftfahrtbundesamt hätte sie so nicht genehmigen dürfen, entschieden die Rich­te­r:in­nen am Montagabend. Au­to­fah­re­r:in­nen könnte das verunsichern: Muss der Golf Diesel mit Euro-5-Norm nun in der Garage bleiben? Und was ist mit Audi-, BMW-, Mercedes-Fahrzeugen?

Dass Autos sofort stillgelegt werden, ist nicht zu erwarten. Üblicherweise werden Mängel im Zuge eines Rückrufs oder bei einem Werkstattbesuch behoben. Erst wenn das nicht möglich ist, würden Fahrzeuge möglicherweise aus dem Verkehr gezogen, wie es die Umwelthilfe jetzt fordert. Dazu dürfte es aber nicht kommen.

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Schleswig ist nicht rechtskräftig. Berufung beim Oberverwaltungsgericht ist zugelassen, auch eine sogenannte Sprungrevision bei der höchsten Instanz, dem Bundesverwaltungsgericht. Letzterer Schritt ist üblich, wenn es um grundsätzliche strittige Fragen geht.

In dem Verfahren ging es um einen Golf Plus TDI mit der 2,0-Liter-Version des Motors EA189 und 103/110 kW. Das Fahrzeug gehörte zu denen, die im Zuge des Dieselabgasskandals bei VW nachgerüstet werden mussten. Der Autobauer hatte jahrelang eine Schummelsoftware in Dieselmotoren dieses Typs eingebaut, die im Teststand saubere Abgaswerte lieferten, auf der Straße aber ein Vielfaches der erlaubten Stickoxide in die Luft bliesen. Nachdem der Skandal im September 2015 aufgeflogen war, musste VW die Software der meisten Motoren aktualisieren und die Software beseitigen.

Nicht nur VW nutzte Thermofenster

Die Umwelthilfe stellte jedoch fest, dass einige Fahrzeuge danach immer noch mehr Stickoxide ausstießen, als erlaubt war. Grund waren sogenannte Thermofenster, die die Abgasreinigung bei niedrigen Temperaturen praktisch ausschalten. Auch bei anderen Herstellern als VW fanden die Um­welt­schüt­ze­r:in­nen solche Thermofenster. Autohersteller argumentieren, sie seien für einen sicheren Betrieb nötig.

Weil das Kraftfahrtbundesamt die Thermofenster im Zuge der VW-Updates genehmigt hatte, klagte die Umwelthilfe gegen die Behörde. VW war in diesem Fall beigeladen. Beide können in die Berufung gehen. Das Kraftfahrtbundesamt will nun die schriftliche Begründung des Urteils abwarten, prüfen und über weitere Maßnahmen beraten. Der Autohersteller formuliert, man werde die Urteilsgründe „sorgfältig prüfen und dann über weitere Schritte entscheiden“.

Der Golf-Fall ist nicht der einzige: Insgesamt 119 ähnliche Klagen der Umwelthilfe gegen das Kraftfahrtbundesamt sind anhängig. Dabei geht es um Dieselfahrzeuge unterschiedlicher Hersteller, die mit dem VW-Dieselskandal nichts zu tun haben, in Motorsoftware aber Thermofenster eingebaut haben. Betroffen sind Dieselfahrzeuge der Abgasnormen Euro 5 und Euro 6a oder 6b. Derzeit gilt Euro 6d, die ohne üppige Thermofenster auskommt.

Die Umwelthilfe sieht die jetzt gewonnene Klage als Musterentscheidung. Sie forderte Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) umgehend auf, das ihm unterstellte Kraftfahrtbundesamt anzuweisen, das Urteil zu akzeptieren und betroffene Autos zurückzurufen.

Mittelbar zehn Millionen Fahrzeuge betroffen

Insgesamt sehen die Umweltschützer direkt etwa fünf Millionen Pkw, mittelbar sogar bis zu zehn Millionen Fahrzeuge betroffen. Von VW heißt es, dass das Software-Update, in dem es im Verfahren ging, damals für eine bestimmte Gruppe von ähnlichen Fahrzeugen genehmigt worden sei. „Betroffen sind also circa 88.000 produzierte Fahrzeuge. Wie viele davon noch tatsächlich im Verkehr sind, ist offen.“

Aus Sicht von VW bietet das Urteil des Schleswiger Verwaltungsgerichts keine Chancen, Schadenersatz vom Konzern zu fordern. „Ebenso bleiben zivilrechtliche Klagen, die einen vermeintlichen Schadensersatzanspruch auf das Vorhandensein eines Thermofensters stützen, wie bisher erfolglos“, erklärt das Unternehmen.

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