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Urteil im Prozess um TiergartenmordPolitisches Handeln ist nötig

Dominic Johnson
Kommentar von Dominic Johnson

Der Mord in Berlin ist nach Ansicht des Kammergerichts von Russland in Auftrag gegeben worden. Die Verurteilung des Täters reicht nicht.

Der Tatort im Tiergarten in Berlin am 23. August 2019 Foto: Paul Zinken/dpa

M ordprozesse finden nicht im luftleeren Raum statt. Es geht um die Wirklichkeit, um Mordopfer und Täter. Ein deutsches Gericht hat festgestellt, dass der Mord am Georgier Selimchan Changoschwili in Berlin im russischen Staatsauftrag begangen wurde. Die Konsequenz aus diesem sogenannten Tiergarten-Mordprozess kann nicht darauf beschränkt werden, bloß den russischen Täter in lebenslange Haft zu nehmen. Es muss auch um den russischen Staat als Auftraggeber gehen.

Die dem Putin-Regime gerichtlich vorgeworfene Blutspur quer durch Europa ist lang, vom Litwinenko-Mord in Großbritannien bis zum Flug MH-17 mit knapp 300 Todesopfern. Immer hält Moskau seine schützende Hand über die mutmaßlichen Täter. Erst in Berlin kam jetzt einer vor Gericht, und auch nur, weil er unmittelbar gestellt und überführt werden konnte – trotz der mangelnden Kooperation Russlands.

Die deutsche Justiz ist nun nicht mehr nur die erste weltweit, die Folterer des syrischen Assad-Regimes vor Gericht stellt. Sie ist auch die erste, die offiziell Russland wegen staatlichen Mordes im Ausland verurteilt. Juristische Aufarbeitung, die so weit geht, muss politische Folgen haben. Deutschlands neue Regierung aber scheint dies nicht komplett begriffen zu haben.

Während am Kammergericht in Berlin-Moabit der Richter Russland „Staatsterrorismus“ vorwarf, bekräftigte Bundeskanzler Olaf Scholz ein paar Kilometer weiter im Bundestag seine Bereitschaft zu „konstruktivem Dialog“ mit Russland. Später sagte sein Sprecher, für eine Reak­tion der Bundesregierung auf das Urteil sei es „zu früh“.

Erst Außenministerin Annalena Baer­bock bestellte später den russischen Botschafter ein, sprach von einer „schwerwiegenden Verletzung deutschen Rechts“ und wies zwei russische Diplomaten aus. Das ist eine Maßnahme am unteren Ende der Eskala­tions­skala. War’s das? Klar müsste doch sein: Eine Regierung, der Deutschland Staatsterrorismus vorwirft, kann nicht zugleich Partner sein.

Die Antwort auf die Frage, was ein solcher Vorwurf für die deutsche Russland-Politik insgesamt bedeutet, wird man in Berlin also nicht ewig hinausschieben können – auch nicht mit dem Hinweis auf die Unabhängigkeit der Justiz, so als seien Gerichtsurteile für alle außer für die Angeklagten irgendwie belanglos.

Doch ein Blick in die Geschichtsbücher stimmt nicht optimistisch. Russland ist nicht der erste Staat, der auf deutschem Boden ungestraft mordet. Frankreich tötete in Deutschland algerische Unabhängigkeitskämpfer, Jugoslawien kroatische Dissidenten. In Berlin steckte Iran hinter dem Mykonos-Attentat von 1992, als ein Terrorkommando vier kurdische Exilpolitiker erschoss.

Dafür wurde 1997 ein Iraner in einem ähnlichen Urteil wie dem zum „Tiergartenmord“ zu lebenslanger Haft verurteilt. Zehn Jahre später kam er frei, angeblich im Tausch für einen in Iran festgesetzten Deutschen, und wurde in der Heimat als Held begrüßt. Mal sehen, wie es 2031 um die deutsch-russischen Beziehungen steht.

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Dominic Johnson
Ressortleiter Ausland
Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.
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13 Kommentare

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  • Ja, was stellt sich denn der Autor nun vor? In Russland einmarschieren?? Manchmal habe ich den Eindruck, eine solche Tat wird in Deutschland wieder salonfähig!



    Dank an 'Lowandorder' für den link zur Presseerklärung des Gerichts. Die dort zusammengefassten Indizien lassen meinen vorschnellen Reflex des politisch motivierten Urteils platzen. Es scheint in der Tat ein stimmiges Urteil zu sein.



    Nur, was dann zu tun sei, bleibt mir weiterhin unklar. Richtigerweise wird darauf hingewiesen, daß ALLE Geheimdienste auch zum Auftragsmord greifen - allerdings wird nicht um jeden Fall so ein Gewese gemacht.



    Vielleicht doch grade sehr opportun, ein weiteres Steinchen für's Putin-Bashing zu haben...?!?

    • 8G
      83379 (Profil gelöscht)
      @WBD-399:

      Wenn so etwas in Deutschland gemacht wird ist das schon etwas anderes.

  • „. . . wurde 1997 ein Iraner in einem ähnlichen Urteil wie dem zum „Tiergartenmord“ zu lebenslanger Haft verurteilt. Zehn Jahre später kam er frei, angeblich im Tausch für einen in Iran festgesetzten Deutschen, und wurde in der Heimat als Held begrüßt“



    Genau diese, im „Kalten Krieg“ übliche Praxis wird womöglich auch diesmal stattfinden. Putins Leute werden einen Deutschen zum Tausch anbieten, dem ansonsten, unter welchem Vorwand auch immer, russisches Straflager droht. Ob der Tausch wie seinerzeit an der Glinicker Brücke stattfindet, ist zweitrangig. Jedenfalls werden in Moskau die Krimsekt-Korken knallen!

  • 9G
    90118 (Profil gelöscht)

    Wirklich beweisbar war in dem Prozess wohl eigentlich ...? Wenn es veröffentlicht würde, wäre die Sicherheit einer Nation gefährdet?



    Insofern ist diese Verurteilung - durch unsere freie Justiz der prinzipiellen Unschuldvermutung ohne Gegenbeweis - schon eine Ansage.



    Erst recht gilt das für die allseits dargelegten, vielleicht plausiblen, jedoch nicht bewiesenen Hintergründe des Geschehens.



    Die Wichtigkeit des Unterschiedes zwischen Glauben, Spekulationen und Fakten lässt sich hier für den aufgeschlossenen Betrachter gut wahrnehmen; dass noch Fakten folgen, ist nicht wirklich zu erwarten, insofern bleibt man ratlos zurück.

    • @90118 (Profil gelöscht):

      Mit Verlaub - dess hamse gelesen?



      www.berlin.de/geri...eilung.1157896.php



      Sorry - aber wohl kaum - wa.

      • 9G
        90118 (Profil gelöscht)
        @Lowandorder:

        Sorry für die Missverständlichkeit, mein Zweifel bezieht sich auf die Hintergrundgeschichte.



        Die Verurteilung entspricht natürlich genau der bekannten Beweislage. Der Rest erscheint dagegen merkwürdig.

    • @90118 (Profil gelöscht):

      Der Mörder wurde bei seiner Tat in flagranti erwischt. Das allein genügte bereits, da in D. auf Mord Lebenslänglich steht. Alles, was sich sonst noch um die Tat rankt, hätte allenfalls zu „noch lebenslänglicher“ geführt.

  • 0G
    05867 (Profil gelöscht)

    Ich finde es ziemlich verwegen, angesichts eines offensichtlich bevorstehenden Krieges mit der Ukraine und dem beginnenden Winter hierzulande die Russen mit dem Rauswurf von 2 Botschaftern und dem Stopp von NorthStream 2 endgültig zu Feinden zu machen.



    Das russische Gas läuft derzeit durch die Ukraine; also dann nicht mehr so lange.



    NorthStream2 wird gerade von AB abgeschossen.



    Will die gute Frau jetzt gaaanz schnell die Energiewende realisieren; so vielleicht innerhalb der kommenden 2 Wochen?

  • Zum “Müssen“ - hat Lessing im Nathan mal weises gesagt.



    &



    Ja - was via Pressemitteilung des Kammergerichts an Tatsachenfeststellungen dargetan ist - ist erdrückend. But.



    Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.



    Wenn Frau Außenministerin & der Autor das ja ersichtlich anders sehen:



    “ Später sagte sein Sprecher, für eine Reak­tion der Bundesregierung auf das Urteil sei es „zu früh“.“



    Mit Verlaub - aber da könnt was dran sein - gelinde gesprochen.



    &



    ( vllt hat ja Olaf die Annalena - öh einbestellt - wundern würd‘s mich zum derzeitigen Zeitpunkt in der Tat nicht!)

  • "Die deutsche Justiz ist nun nicht mehr nur die erste weltweit, die Folterer des syrischen Assad-Regimes vor Gericht stellt. Sie ist auch die erste, die offiziell Russland wegen staatlichen Mordes im Ausland verurteilt."

    Ja, wir sind da aber SEHR selektiv.

    Jedes Land darf Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen verfolgen und die Täter verurteilen, wenn es das Land der Täter nicht tut. Gerade wir Deutschen wissen das. Und es gibt da ein Land das sich weigert seine Kriegsverbrechen selbst zu verfolgen. Und dank Julian Assange kennen wir die Kriegsverbrecher: Der Beweis liegt vor, wir alle kennen ihn, haben ihn gesehen, die Namen der Täter sind bekannt.

    Wann stehen diese Täter vor einem ordentlichen Gericht?

  • Die Regierung Putin ist eigentlich am Ende.



    Die Lage in Russland selbst scheint immer schwieriger für die Bürger dort zu werden. So bleiben die Anschläge im Ausland nach Art der Mafia wohl eine Begleiterscheinung aus der Unsicherheit und Angst einer autoritären Regierung heraus, die scheinbar auch nicht mehr weiß, es eigentlich nie wusste, wie es weiter gehen soll, so an einer Renaissance alter Größe kleben blieb.

    Die Welt dreht sich immer schneller und der Wandel macht auch nicht vor Russland halt. Scheinbar überfordert das die Regierung Putin völlig. Wenn dann noch ein Verbündeter wie Belarus dazwischen grätscht und im Nachhinein die unüberlegten Folgen von Geheimdienstaktionen eine zusätzliche Belastung mit sich bringen, wird das Land immer mehr an den Rand gedrängt. Da scheint das Säbelrasseln an der Ukrainischen Grenze eher das hecheln nach Aufmerksamkeit und nach Innen gerichtet.



    Die Ukraine anzugreifen, gar zu besetzen, würde das Land völlig überfordern und erst gar keine Ruhe bringen. Eigene diplomatische Strategien um Vertrauen zu gewinnen sucht man vergebens. So fällt das Land immer mehr in die Arme Chinas, die sich allerdings selbst in schwerem Fahrwasser befinden.



    Beide haben mit dem Kapitalismus nur eingeschränkte Erfahrungen. So endet vieles in Korruption und Spekulation, wie die Pleite um Evergrande schön zeigt.



    Putin hat sich überlebt, er sollte schnell abtreten und das Land sollte sich reformieren.



    Nach alter Tradition wird das aber wahrscheinlich nicht ohne Revolution gehen.

  • 2031 ? Wir frieren...die Russen sitzen auf der krim und am Scharzen Meer und sonnen sich...und übrigens..Wenn wir ein Rechtsstaat wären, wäre wirklich alles rund um die NSU Morde aufgeklärt...

  • Angesichts der deutschen Komplizenschaft in die weltweite Ermordung von Menschen mit Drohnen bewegen sich Artikel wie dieser moralisch auf dünnem Eis; die Kritik an Russland ist nicht besonders glaubwürdig, wenn man selbst ähnliche Verbrechen in viel größerem Maßstab begeht. Im Grunde ist das bedauerlich, weil es zeigt, wo der linksliberale Moraldiskurs angekommen ist: in einer humanitär verbrämten, nationalistischen Mobilmachung, die Werte nur dann entdeckt, wenn man den Verstoß gegen sie den üblichen Lieblingsfeinden zum Vorwurf machen kann.