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Urteil gegen taz-AutorPressefreiheit auf Bewährung

Für seine Berichterstattung über die IAA-Proteste betrat ein taz-Reporter ein besetztes Haus in München. Dafür wurde er nun verurteilt.

München, 10. September 2021: Polizeieinsatz vor einem besetzten Haus in der Karlstraße Foto: David Speier/SZ Photo

München taz | „Man muss sich mit Verfahren nicht leicht tun“, sagt Thomas Müller zu Beginn seiner Urteilsbegründung, und ganz offensichtlich war dieses ein Verfahren, mit dem er sich nicht leicht tat. Gerade hat er den taz-Journalisten Michael Trammer und vier junge Klimaaktivisten schuldig gesprochen. Schuldig des Hausfriedensbruchs.

Die Aktivisten hatten im Rahmen der Proteste gegen die Internationale Automobilausstellung im vergangenen September ein Haus in der Münchner Innenstadt besetzt. Trammer hatte darüber berichtet – und war ihnen dafür ins Haus gefolgt. Und das, so der Richter, gehe halt nicht.

Zugleich lässt er deutlich seine Sympathie mit den Motiven der Angeklagten erkennen und zwischen den Zeilen durchblicken, dass er sich eigentlich von Seiten der Staatsanwaltschaft eine Einstellung des Verfahrens gewünscht hätte. Doch diesen Gefallen wollte ihm der Staatsanwalt nicht tun, obwohl auch der zugab, dass es hier eigentlich um recht harmlose Vorwürfe ging. Gegen Hausbesetzer fährt man in Bayern traditionell besonders schwere Geschütze auf.

Der Verdacht, dass die Staatsanwaltschaft auch hier ein Zeichen setzen wollte, ist nicht vollends abwegig. Auch hätte es gar nicht zu Ermittlungen kommen müssen: Hausfriedensbruch ist ein sogenanntes Antragsdelikt, nur weil der Hauseigentümer, der Freistaat Bayern, Strafantrag stellte, wurden die Behörden tätig.

Auch der Richter räumt ein: Es geht um eine Bagatelle

Er selbst habe sich nun zwischen einem Freispruch, wie ihn die Verteidiger der Angeklagten gefordert hatten, und einem Schuldspruch entscheiden müssen, erklärte Richter Müller. Und obwohl er die Angeklagten schuldig spricht, weicht er dann bei der Strafzumessung weit von der Vorstellung der Staatsanwaltschaft ab. Strafen von 40 bis 60 Tagessätzen hatte diese gefordert. Müller belässt es – außer im Fall eines schon vorbelasteten Aktivisten – bei einer Verwarnung mit einer einjährigen Bewährungsfrist.

Eine Strafe würde erst fällig, sollten die Verurteilten sich in dieser Zeit etwas zuschulden kommen lassen. Und selbst dann wäre sie noch deutlich niedriger als vom Ankläger gefordert; in Trammers Fall beispielsweise 450 statt 1.000 Euro.

Die Szene mutet schon etwas skurril an: Die Verhandlung findet wegen des vermuteten großen Andrangs im Gerichtssaal A101 statt. Hier wurde beispielsweise der NSU-Prozess verhandelt, auch der Mord an Rudolph Moshammer. Diesmal dagegen geht es um eine Bagatelle, wie der Richter selbst sagt, etwas, was am untersten Rahmen dessen anzusiedeln sei, was man überhaupt als Hausfriedensbruch werten könne. „Sie sind ja nicht in ein Wohnzimmer und haben da beim Mittagessen in die Suppe gespuckt.“

In der Tat nicht. Das Haus, dessen Frieden Trammer und die Klimaaktivisten gebrochen haben sollen, stand leer. Die Aktivisten waren in der Nacht auf den 10. September in der Karlstraße in das Gebäude eingedrungen, offenbar durch ein offenstehendes Fenster. Mittels ausgehängter Türen hatten sie sich dort notdürftig verbarrikadiert. Als am nächsten Tag gegen Mittag ein Demonstrationszug der IAA-Gegner an dem Haus vorbeikam, hängten sie Transparente aus den Fenstern, brannten Rauchtöpfe ab, eine Frau seilte sich ein paar Meter aus einem der Fenster ab.

Einblick ins Innenleben des Richters

Trammer, der durch einen Tipp auf die Aktion aufmerksam gemacht worden war, kam in der Nacht ebenfalls zu dem Haus, begleitete die Aktivisten und berichtete auf Twitter und taz.de. Zuvor hatte er sich noch schnell kundig gemacht, dass das Haus dem Freistaat gehört und schon seit längerem nicht mehr genutzt wird. Er habe, so schildert es der Journalist vor Gericht, blitzschnell eine Abwägung treffen müssen: „Überwiegt das öffentliche Interesse oder lass ich das und gehe?“ Aus seiner Sicht habe das öffentliche Interesse an einer freien Berichterstattung dann aber das unerlaubte Betreten des Grundstücks gerechtfertigt. So plädiert denn auch sein Verteidiger, mit einem höher zu wertenden Grundrecht.

Eine Argumentation, der Richter Müller nicht folgen will. Edle Motive stellten einen nicht straffrei, befindet er. Trammer hätte sich für seine Berichterstattung nicht stundenlang in dem Haus aufhalten müssen. Gleichzeitig betont der Richter aber auch den hohen Wert der Motive sowohl des Journalisten als auch seiner Mitangeklagten und lässt ungewöhnlich tief in sein richterliches Inneres blicken, erklärt, wie er zu der Urteilsfindung gelangt sei, was ihn dabei bewegt hat.

„Ich verstehe Ihre Frustration und Wut“, sagt er. Und dass Protest für eine plurale Gesellschaft sehr wichtig sei. Dann seufzt er, kruschtelt ausführlich in seinen Akten, redet schließlich von Donald Trump und davon, wie dieser der Freiheit von Presse und Justiz geschadet habe, auch davon, dass wir ja alle mal jung gewesen seien und dass er einen Vogel kriege, wenn mal wieder so ein internationaler Klimagipfel stattfinde und am Ende doch wieder nichts passiert. „So geht's halt einfach nicht weiter.“ Und ein Stück weit sei es ja auch gewünscht, dass die jüngere Generation Rabatz mache. Klingt fast wie ein Appell.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, Staatsanwaltschaft und Angeklagte können in Berufung gehen. Er werde sich jetzt erst mal in Ruhe mit seinem Anwalt beraten, sagt Trammer, der trotz des geringen Strafmaßes kein Verständnis für den Schuldspruch hat. Und auch taz-Chefredakteurin Ulrike Winkelmann kommentiert: „Es klingt, als wollte das Gericht hier milde wirken, aber wir bleiben dabei: Eine Hausbesetzung journalistisch zu begleiten ist Journalismus und kein Hausfriedensbruch. Hier kann es nur einen Freispruch für unseren Kollegen geben.“

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15 Kommentare

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  • Der Richter eiert rum, bekundet Sympathie und spürt den autoritären Atem des Freistaates im Nacken.

    Mag das, so bescheiden ich die Verurteilung der Aktivistis finde, iwie noch eigentumsrechtlich (Eigentum ist halt einfach auch Mist) i.O. gehen, ist die Verurteilung des Journalisten beängstigend. Wie kann das legitim sein?!? Sollen Journalisten bitte nur noch Polizeimitteilungen übernehmen?!? Dann können wir das gleich lassen und Reichspresseämter wiedereinführen...

  • 9G
    93851 (Profil gelöscht)

    Besser mal nachgehakt, was denn die Staatsanwaltschaft für Autos fährt....!

    Da bleibt einem ja die "Spucke im Hals stecken". Die wollen wohl lieber ihre "dicken Schlitten" weiter fahren...

  • 6G
    655170 (Profil gelöscht)

    Durch solche Klagen staatlicher Organe (hier: der herrschenden Politik in Bayern - wen wundert's) wird der Journalismus in Deutschland weiter und bewusst mit Methoden bedrängt, die ein demokratisches System schon aus Selbstachtung dringend meiden sollte.



    Und das Urteil kann man aus zwei Perspektiven betrachten:



    Einerseits gibt es dem (aus Bürgersicht) zweifelhaften obrigkeitsstaatlichen Gehabe Recht.



    Andererseits verpasst der Richter dem Kläger und der Staatsanwaltsschaft, die hier offensichtlich partout ein Exempel statuieren wollte, eine derart schallende Ohrfeige, dass die küftig ihre Finger von der "dir zeigen wir's schon"-Haltung lassen sollte.



    450 € "Strafe", begleitet von dem Handeln ("Staatsanwalt, hör auf") und den Kommentaren des Richters sind an Deutlichkeit nicht zu überbieten.



    Ob's die bayerische Regierung allerdings kapiert, das bleibt zweifelhaft.

  • Presse muss frei berichten können, sonst ist es keine Pressefreiheit. Da der Journalist nicht aktiv eingegriffen hat, war er wie ich meine kein Straftäter sondern eben Berichterstatter.



    Sonst kann Presse nur noch über das berichten, was der Staat als erlaubt ansieht. Dass der Staat und damit Polizei und Staatsanwaltschaft nicht unabhängig von politischen Vorgaben sind, ist an der unterschiedlichen Vorgehensweise in den Bundesländern erkennbar. Bayern hat hoffentlich nicht zu viel von der DDR , Belarus oder Putin gelernt und übernommen, ist meine Befürchtung, wo Meinungsfreiheit "legal" illegal gemacht wurde und wird.

  • Dies wäre die Berichterstattung dazu: www.zentralplus.ch...-erhalten-2052683/

  • Denselben Fall gab es in Luzern. Nach fünf Instanzen wurde die Journalistin vor dem höchsten Schweizer Gericht freigesprochen. Es handelte es sich dabei um die Villa des dänischen Indsutriellen Jorgen Bodum, der das denkmalgeschützte Gebäude für einen Neubau zerfallen liess.

  • Kein Aufreger, aber ein hübsches Beispiel für gleich mehrere Grundfragen. Zum einen die immer mögliche Diskrepanz von Recht und Rechtsempfinden, zum anderen die Begrenzung der Rechte von Journalismus und dann noch die Frage der Selbstbegrenzung von Journalismus, das berühmte "sich nicht gemein machen". Keine dieser Fragen ist aber grundsätzlich ganz zu klären oder die Konflikte aufzulösen und vor Gericht wird generell nur der konkrete Vorgang verhandelt.

  • "Eine Hausbesetzung journalistisch zu begleiten ist Journalismus und kein Hausfriedensbruch."

    Wieso soll das kein Hausfriedensbruch sein? Hat ein Journalist das Recht private Orte zu betreten, wenn dies andere Menschen unrechtmäßig tun? Darf man dann auch Bankräuber und Einbrecher journalistisch begleiten? Darf der Journalist dann auch in die Wohnung von Johnny Depp eintreten, um journalistisch das Privatleben zu verfolgen und der geneigten Leserschaft aus erster Hand zu berichten? Klar, ist nur Boulevard und nicht so schick wie Proteste gegen die IAA. Aber auch das wäre dann in letzter Konsequenz ok?

    Wenn die taz klug ist, lässt sie das Urteil wie es ist. Milder bekommt sie es nicht mehr Vor dem LG oder OLG wird es eher schlechter.

    • @Strolch:

      Ja, ein Journalist hat das Recht private Orte zu betreten, wenn dies andere tun.



      Auch Straftaten wurden schon oft journalistisch begleitet.



      Ist eine Prinzipienfrage. Sollte die taz durchklagen. Ich bin für eine Rückkehr zur Pressefreiheit.

    • @Strolch:

      Ihr Beispiel hinkt doch sehr stark: Es handelte sich hierbei nicht um eine Privatwohnung und es wurde keiner in den Rechten oder der Freiheit dadurch beeinträchtigt, dass der Journalist mitgekommen ist.

      Pressefreiheit muss vom Richter vor dem wilden Burschen-Staatsanwalt beschützt werden...

    • @Strolch:

      Ich glaube es geht darum dass das Haus leer stand. Beim Bankraub bedrohst Du Menschen, und bei Herrn Depp gibt es wirklich nichts zu sehen….

    • @Strolch:

      Ihrer reaktionären Meinung nach gäbe es dann auch keine Whistleblower mehr und dürfte es auch keine Berichte über Kriegsverbrechen geben, wenn der Journalist mit mordenden Soldaten zusammen unterwegs ist.

      Und ja, selbstverständlich könnte ein Journalist einen Bankräuber journalistisch begleiten, wenn er einfach nur als neutraler Beobachter am Ort des Geschehens ist. Genauso wie der Journalist bei der Hausbesetzung nur ein neutraler Beobachter war, der keine Tür eingetreten oder den Besetzern bei irgendwelchen Handlungen unterstützt hat.

    • @Strolch:

      Sorry, aber die Vergleiche passen ja nicht: Es war ein leeres Haus. Und natürlich gibt es einen Haufen andere Beispiele, wo ein Journalist ungestraft ein privates Gebäude oder Gelände betritt (ohne den Eigentümer zu fragen), um über eine Sache von öffentlichem Interesse zu berichten. Krass die Vorstellung, wie das wäre, wenn das nicht mehr gehen sollte.

    • @Strolch:

      Es wird absolut Zeit dass mal vor internationale Gerichte zu zerren.

      Sonst kann nämlich jeder Lump sich auf sein Hausrecht berufen und jede Pressearbeit im Keim ersticken.

      z.B. wenn die Security jemanden auf dem Bahnhofsvorplatz vertrimmt könnte die DB ja Hausfriedensbruch rufen und somit jede Berichterstattung verhindern ...

      Mittlerweile sind wir ja schon soweit, dass Videos von Straftaten nicht als Beweis zugelassen werden weil das Gericht das Recht auf das eigene Bild über das Strafrecht stellt.

  • 6G
    655170 (Profil gelöscht)

    Wenn in unserem Land solche Urteile durch Gerichte/Richter möglich sind, dann muss man sich nicht wundern, wenn die Bundesrepublik im internationalen "Ranking" der Pressefreiheit immer weiter nach hinten rutscht.