Urteil gegen Nazi in den USA: Rechter Terror vor Gericht
Ein US-Gericht verurteilt ein Mitglied der Nazi-Gruppe Atomwaffen Division zu 7 Jahren Haft.
Die Opfer hatten im Januar 2020 Nachrichten per Post erhalten, die sie mit dem Tod bedrohten. Oder es waren Plakate an ihre Wohnungstür geklebt worden mit der Aufschrift „Deine örtlichen Nazis haben dir einen Besuch abgestattet“. Darauf zu sehen war ein Vermummter mit einem Molotowcocktail in der Hand.
Das hatte Wirkung gezeigt. Im Prozess beschrieben die Opfer ihre Verunsicherung. Einige wechselten zumindest zeitweise den Wohnsitz, andere bauten Sicherheitssysteme ein, einer kaufte sich eine Waffe. Eine Person traute sich nur noch mit einem langen Stock, ihren Briefkasten zu öffnen, eine weitere kündigte ihren Job. Kaleb Cole wurde schuldig gesprochen, die Poster und Nachrichten entworfen zu haben.
Die Atomwaffen Division war 2016 aus der Online-Plattform Iron March entstanden, parallel zum Aufschwung der rechtsextremen Alt-Right-Bewegung in den USA. Im Unterschied zu Alt-Right allerdings, die mit Steve Bannon zunächst sogar einen wichtigen Vertreter als Chefstrategen des frisch gewählten Präsidenten Donald Trump hatten, strebte die Gruppe nie nach Mehrheiten oder einer Ausbreitung in die gesellschaftliche Mitte, sondern setzte konsequent auf Gewalt zur Durchsetzung eines NS-Staates in den USA.
Mit Terrorzellen zum großen „Rassenkrieg“
Dazu adaptierte sie strategisch-ideologische Überlegungen, die der US-Nazi James Mason Anfang der 1980er Jahre in einem „Siege“ genannten Newsletter veröffentlicht hatte. Anfang der 2000er Jahre wurden die Schriften in einem gleichnamigen Buch zusammengefasst. Sie sind eine Anleitung und Begründung zum Terror im Rahmen eines Systems „führerlosen Widerstands“.
Mason setzte nicht auf eine starke Partei oder sonstige Organisation, sondern auf das parallele und gewaltsame Losschlagen von Einzelpersonen und bestenfalls kleineren Zellen mit dem Ziel, zunächst größtmögliches Chaos und schließlich einen Bürgerkrieg zu entfachen, einen „Rassenkrieg“, wie es heißt.
Ähnlich hatte es auch William Pierce, der inzwischen verstorbene Gründer der nationalsozialistischen National Alliance, in den „Turner Diaries“ aufgeschrieben. Die unter Pseudonym als Roman aufgeschriebene Terrorfantasie, die in den „Day of the ropes“ mündet, an dem alle Feinde aufgehängt werden, inspirierte schon 1995 den jungen Nazi Timothy McVeigh zum Anschlag auf das Oklahoma City Building, bei dem 168 Menschen getötet wurden. McVeigh wurde später zum Tode verurteilt und hingerichtet – er gilt der rechtsterroristischen Szene genauso als Held wie der Attentäter von Christchurch.
Atomwaffen Division auch in Deutschland aktiv
James Masons Überzeugung: Das bestehende demokratische System ist jüdisch-zionistisch gesteuert, jedes Engagement innerhalb dessen ist sinnlos, seine gewaltsame Zerschlagung vordringlichstes Ziel. Sein Buch gilt als eine Art Bibel des Rechtsterrorismus, längst nicht mehr nur in den USA. Auf Fotos ist Mason im Braunhemd mit roter Hakenkreuzbinde zu sehen, auch im Kreis von Mitgliedern der Atomwaffen Division.
Deren Logo ist ein SS-Schild mit dem Radioaktivitätszeichen, auf Fotos tragen die Mitglieder meist schwarze Militärkleidung und Totenkopfmasken. Wie viele Anhänger oder Mitglieder tatsächlich dazugehören, ist ungewiss. Für die USA wurde ihre Zahl auf rund 80 Personen in mehreren Bundesstaaten geschätzt. Ihnen werden fünf bis acht Morde zugeordnet.
Etwa 2018 wurden auch in Europa Drohungen bekannt, die mit Atomwaffen Division unterzeichnet waren. So erhielten 2019 etwa die damaligen Grünen-Abgeordneten Cem Özdemir und Claudia Roth E-Mails, in denen ihre Hinrichtung angekündigt wurde.
Antifaschistische Recherchen konnten einige mutmaßliche Anhänger der Atomwaffen Division über ihre Chatkanäle in der deutschen Neonazi-Szene ausfindig machen – im Umfeld der NSU-Unterstützerkreise oder der Neonazi-Kampfsportszene. Einige der Telegram-Gruppen, in denen entsprechende Inhalte gepostet wurden, sind inzwischen gelöscht, andere weiterhin aktiv.
Das Urteil gegen Kaleb Cole und seine Mitstreiter kommt in den USA zu einer Zeit, da kurz nach dem Jahrestag des Sturms auf das Kapitol die Angst vor inländischem Terrorismus von rechts gewachsen ist. Seit dem Frühjahr 2020 hat sich die Zahl entsprechender FBI-Ermittlungen verdoppelt, sagte der Leiter der nationalen Sicherheitsabteilung des Justizministeriums in einer Senatsanhörung.
Jetzt soll auch das Ministerium mit einer eigenen Jurist*inneneinheit ausgestattet werden, um der Bedrohung koordiniert und juristisch sauber begegnen zu können.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit