Untersuchungsausschuss zur Stammstrecke​: Söders ganz spezieller Tunnelblick

Wollte Markus Söder die Kostenexplosion bei der zweiten Stammstrecke unter den Teppich kehren? Im Untersuchungsausschuss wiegelt er ab​.

Markus Söder senkt den Blick

Markus Söder, Bayerns Ministerpräsident, im September 2022 Foto: Frank Hoermann/SVEN SIMON/imago

MÜNCHEN taz | „Und täglich grüßt der Untersuchungsausschuss“, sagt einer der Kameramänner beim Betreten des Konferenzsaals im Maximilianeum, während eine Landtagsmitarbeiterin zwei Cola-Light-Flaschen für den Ministerpräsidenten bereitstellt. In der Tat sind die Bilder nahezu austauschbar: Es ist bereits der dritte Untersuchungsausschuss innerhalb weniger Monate, vor dem Markus Söder am Donnerstagmorgen den Abgeordneten für etliche Stunden Rede und Antwort stehen muss.

Es ist die 19. Sitzung des Ausschusses, Söder der letzte Zeuge. Die Ministerpräsidentenkonferenz in Berlin muss zeitgleich ohne ihn stattfinden. Gegen den CSU-Chef steht vor allem der Vorwurf im Raum, er habe den Landtag und die Öffentlichkeit nicht informiert, als er schon längst über die Kostenexplosion und massive Verzögerungen beim Bau der Stammstrecke Bescheid gewusst habe.

Die zweite Stammstrecke, muss man wissen, das ist so etwas wie der BER von München. Zwar kein Flughafen, sondern eine Röhre unter der Innenstadt, aber planerisch ein ähnliches Fiasko: Bis zum Jahr 2028 sollte sie fertiggestellt sein und 3,85 Milliarden Euro kosten. Inzwischen ist von 2037 und 7,2 Milliarden Euro die Rede. Doch selbst Bayerns jetziger Verkehrsminister Christian Bernreiter will sich keineswegs darauf festlegen, ob es dabei bleibt.

Die zweite Tunnelröhre wurde beschlossen, um den S-Bahn-Verkehr in der Innenstadt zu verzehren. Der Verkehr durch den einen Tunnel ist stark überlastet, ständig kommt es zu Störungen und Verspätungen, Münchner S-Bahn-Fahrer sind notorisch genervt.

„Ich musste unser Land retten“

Es ist freilich kein unumstrittenes Projekt. Die Grünen beispielsweise lehnen den Bau ab. Auch der Bund Naturschutz forderte anlässlich der Söder-Befragung am Donnerstag erneut einen sofortigen Baustopp und stattdessen einen Ausbau des S-Bahn-Südrings.

Im Ausschuss nun wies Söder alle Vorwürfe von sich, betrieb dagegen gründliches Bahn-Bashing. Der Ministerpräsident räumte zwar ein, dass es auch 2020 schon Indizien gegeben habe, dass der geplante Zeit- und Kostenrahmen nicht eingehalten habe werden können. Es hätten aber keine belastbaren Zahlen der Bahn vorgelegen. Man müsse doch „erstmal schauen, bevor die Pferde scheu gemacht werden, wo sie überhaupt hinlaufen“.

Außerdem, so der Tenor, habe er zu dieser Zeit auch Wichtigeres zu tun gehabt. Schließlich sei es die Hochphase der Pandemie gewesen. Das habe ihn mehr beschäftigt als alles andere: „Ich musste unser Land retten.“ Und die Frage sei doch, wer wofür verantwortlich sei. „Der Freistaat plant nicht, der Freistaat baut nicht, er zahlt nur.“ Die Entscheidungen in der Bauphase lägen bei der Bahn. Ein System, das zwar kritikwürdig sei, das man jetzt aber nicht ändern könne.

„Bahn ist schlechte Presse gewohnt“

Vor allem die Aussage der damaligen Verkehrsministerin, Söders Parteifreundin Kerstin Schreyer, hatte Söders passives Verhalten in ein schlechtes Licht gerückt. Sie habe Söder mehrfach um ein Spitzengespräch mit der Bahn gebeten – ohne Erfolg. Auch Söders Vorgänger Horst Seehofer hatte am Montag ausgesagt, das Thema habe in seiner Regierungszeit einen anderen Stellungswert gehabt. Die Stammstrecke sei Chefsache gewesen, einmal im Monat habe man im Kabinett den aktuellen Sachstand diskutiert.

Was wäre denn passiert, fragt Söder nun, „hätte man früher noch mal auf die Kacke gehauen? Hätte das dann alle beeindruckt?“ Öffentlicher Druck hätte nach seiner Erfahrung zu nichts geführt. Die Bahn lasse sich davon nicht beeindrucken. „Die Bahn ist schlechte Presse gewohnt, hat noch nie eine andere gehabt. Die schockt das nicht.“

Überrascht habe ihn die Entwicklung von Kosten und geschätzter Bauzeit jedoch nicht. „Hat jemand geglaubt, dass ein Bauprojekt dieser Dimension billiger und schneller werden könnte?“ Alle Bauprojekte würde doch im Laufe der Umsetzung teurer. Er habe zwar Verständnis, dass einen das störe. Aber wen es überrasche, der sei naiv.

„Kein Gewinnerthema“

Zahlen, die damals vorgelegen hätten, seien von der Bahn auch lediglich als „Diskussionsgrundlage“ bezeichnet worden. Die Opposition verdächtigt Söder, er habe das Thema aus dem Bundestagswahlkampf 2021 heraushalten wollen, auch um etwaige eigene Ambitionen auf das Kanzleramt nicht zu gefährden. Eine zentrale Rolle im Ausschuss spielt daher von Anbeginn der Aktenvermerk einen Staatskanzlei-Mitarbeiters vom Dezember 2020. Darin wird die Stammstrecke als „kein Gewinnerthema“ bezeichnet, und empfohlen, dass die Staatskanzlei zunächst nicht an Spitzengesprächen teilnehme; das Thema solle möglichst erst nach der Bundestagswahl 2021 auf höherer Ebene behandelt werden. Söder jedoch will weder Vermerk noch Mitarbeiter kennen.

Zu der Vermutung, eine mögliche Kanzlerkandidatur habe bei den Erwägungen eine Rolle gespielt, sagt Söder: „Das ist ein Quatsch.“ Zu dem Zeitpunkt habe er sich noch nicht mal vorstellen können … Der Ausschussvorsitzende Bernhard Pohl unterbricht ihn: „Vorsicht, Sie sind im Zeugenstand!“

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