piwik no script img

Unmenschliche MigrationspolitikBlindem Syrer droht Abschiebung

Ein Regensburger Gericht lehnt die Klage von Meddhin Saho gegen seine Abschiebung ab. Eine Erklärung dafür lässt die Richterin bisher vermissen.

Flüchtling Mheddin Saho mit seinen Gastgebern Gisela und Gernard Zierer Foto: Patrick Guyton

Rottenburg taz | Meddhin Saho ist niedergeschlagen. „Ich bin ohne Hoffnung“, sagt der 27-jährige blinde Syrer. „Wenn sie kommen, gehe ich mit.“ Er sitzt am Esstisch des Ehepaares Zierer, das ihn seit zwei Jahren bei sich im niederbayerischen Rottenburg an der Laaber aufgenommen hat. Ende Juni war seine Asylverhandlung vor dem Verwaltungsgericht Regensburg. Wenige Tage danach teilte das Gericht mündlich mit: Seine Klage auf einen Schutzstatus wird abgewiesen. Ab Zustellung der schriftlichen Begründung dürfte er ausreisepflichtig sein, eine Abschiebung nach Spanien wäre möglich. Von dort war er nach Deutschland eingereist. Saho ist von Geburt an blind.

Der Anglist Saho, der an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität studiert und vor seiner Masterarbeit steht, ringt seit zweieinhalb Jahren um einen Bleibestatus. Gisela und Gerhard Zierer sind in der Flüchtlingsarbeit aktiv und hatten ihn im April 2019 in Rottenburg getroffen. Jetzt sagt die 55-jährige Gisela Zierer: „Mheddin ist für uns zu einem Adoptivsohn geworden.“

Sein erster Asylantrag war abgelehnt worden, gemäß dem Dublin-Abkommen der EU sollte er dort einen Asylantrag stellen, wo er angekommen war – in Spanien. Saho ist überzeugt davon, dass er mit einer 100-prozentigen Behinderung dort nie Fuß fassen könnte. Er wäre allein, ohne Sprachkenntnisse und Integrationsangebote.

Bei der Regensburger Verhandlung referiert die Richterin die Haltung des Bundesamts für Migration (Bamf): Er sei „kein besonderer Härtefall“ und könne in Spanien durchaus „ein selbstständiges Leben führen“.

Unterstützung für Saho wächst

Für einen Dublin-Flüchtling besteht sechs Monate lang die Ausreisepflicht, in dieser Zeit kann er abgeschoben werden. Schafft er es, länger zu bleiben, erhält er ein deutsches Asylverfahren. Bei Meddhin Saho wären es noch zehn Tage gewesen, um ins deutsche System zu rutschen. Doch das Bamf vereitelte dies, indem es sein Verfahren aussetzte.

Das Gericht solle grundsätzlich entscheiden, wie die Lage blinder Flüchtlinge in Spanien zu beurteilen sei. Für Saho bedeutete das: Die Uhr wurde wieder auf null gestellt. Wird er erneut abgelehnt, beginnt die Sechsmonatsfrist von vorn. So weit ist es aber noch nicht. Denn die schriftliche Urteilsbegründung liegt noch nicht vor – obwohl sie von einem Gerichtssprecher gegenüber der taz für vergangene Woche angekündigt worden war. Erst mit der Begründung, so Sahos Anwalt Thomas Oberhäuser, könne man entscheiden, wie man weiter vorgeht.

Die Unterstützung für den Syrer wächst derweil. Sein Uni-Department schreibt: „Es wäre unmenschlich, einen jungen Menschen mit solchen Talenten und perfekt gelungener Integration aus seinem Umfeld zu reißen.“ In einer Resolution verlangen evangelische Gemeinden „eine Perspektive für Mheddin Saho in Deutschland“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

9 Kommentare

 / 
  • Die Sache ist halt die: Das Asylrecht soll eben kein Migrationsrecht sein.

    Wenn also ein Asylantrag gestellt wird, gelten die Regeln des (europäischen) Asylverfahrens.

    Das besagt, dass man sich das Land in dem man einen Antrag stellt nicht aussuchen kann (in der Theorie, Dublin hat in der Praxis genug Probleme).

    Da Spanien für das Asylverfahren zuständig ist muss das BAMF (und eventuell das VG) jetzt nur prüfen: Wird in Spanien ein Asylverfahren nach europäischen Standards gewährleistet (die Antwort wird ja lauten) und kann der Asylbewerber in Spanien leben (Existenzminimum). Dabei geht es nicht um gute Chancen oder auch nur ein gutes Leben. Es geht um "Bett, Brot und Seife", um auf den EuGH zurückzukommen.



    Mehr kann und darf das BAMF nicht prüfen (§60 Abs. 5 AufenthG gibt hier in Deutschland den Rahmen vor, welches aber auf Art. 3 EMRK beruht)..

    Dass dies in Spanien, auch für blinde Menschen, gegeben ist, ist wenig überraschend und daher ist das Urteil auch keine Überraschung. Der Prüfrahmen darf auch garnicht mehr umfassen. Im Umkehrschluss würde es auch bedeuten, dass jeder erblindete Migrant in Spanien dort nicht leben könnte und damit nach Deutschland mit der Hoffnung kommen könnte, dass für ihn die Dublinregeln nicht gelten.

    Das hier auch kein Selbseintrittsrecht ausgeübt wurde ist auch nicht überraschend, denn es ist aus Asylsicht kein Härtefall. Es besteht also kein Grund einen Präzedenzfall zu schaffen. Dieses Instrument wird bewusst nur sehr sehr spärlich angewendet.

    Und natürlich ist das ganze politisch gewollt. Der Gesetzgeber muss abwägern was vorgeht: Positive Einhaltung eines Rechts für alle Ausnahmen für diejenigen, die sich einen großen Unterstützerkreis aufbauen, die symphatisch sind etc. Oder umgedreht, dass eben auch Leute die wir gerne loswerden würden ncht abgeschobenw erden können, weil sie ind er Heimat z.B. die Todesstrafe erwartet. Beides ist persönlich oft schwer zu evrstehen, aber aus Rechtssicht nachvollziehbar.

  • @PAUL RABE

    Ermessensspielraum. Härtefälle.

    Gerichte sind nicht (wie Sie sich vielleicht insgeheim zusammenfantasieren) menschenleere Automaten.

    Das arme Recht müsste nicht "gebrochen" werden. Das ist AfD-Sprech, was bei Ihnen durchlugt.

    • @tomás zerolo:

      Ich kenne den Fall nicht, kann also nicht mehr zu den Details sagen als im Artikel zu lesen ist.



      Aber mal angenommen es lagen keine Asylgründe vor.



      Dann gäbe es eben auch keine Rechtsgrundlage für eine Nicht-Abschiebung. Wieso sollte ein Richter anders entscheiden ?

      Auch das Asylrecht ist "Recht", es ist also an objektiv nachvollziehbaren Kriterien geknüpft, wäre es anders, wäre es kein "Recht" mehr sondern Willkür.



      Natürlich gibt es Ermessenspielräume, aber diese haben in einem Rechtstaat stets Grenzen. Ohne diese Grenzen wäre es kein Rechtstaat.



      Umgekehrt fänden sie es vermutlich auch nicht richtig, wenn ein Richter "per Ermessen" Asyl nicht gewährt, obwohl es objektiv zu gewähren wäre, oder ?

  • In Anlehnung an die derzeit geltende Rechtslage möchte ich beide Seiten einmal u.a. zu einem verbalen Abrüsten aufrufen. 1. Das BAMF vereitelt nichts. 2. Einem Gericht aufzubürden (damit meine ich nicht die Klage), über die Geschicke eines blinden Menschen im Dublin-System zu entscheiden, sehe ich nicht als gerecht an.



    Schuld ist hier m.E. der politische Betrieb. Gäbe es die realistische Möglichkeit, Herrn Saho aus dem Inland (Deutschland) eine Aufenthaltserlaubnis zu dem Zweck des Studiums zu erteilen, § 16b Abs. 1 AufenthG, stünde der Fall nicht derart da. Die Zieheltern könnten zB eine Verpflichtungserklärung, § 68 AufenthG, eingehen.

  • Das ist sehr herzlos und unchristlich.

    Es widerspricht fundamentalen christlichen Geboten.

    Aber die berechtigte Frage ist: Darf ein Rechtstaat Recht brechen, nur damit dieser "christlich" und "mitfühlend" erscheint ?

    Und falls ja, wer legt in Zukunft die Kriterien fest nach welchen "Gefühlen" oder religiösen Geboten in Zukunft Recht gebrochen werden darf ?

    • @Paul Rabe:

      Wo Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht.



      Unser Asyl(un)recht ist genau das, Unrecht!

      • @Karl Ranseier:

        Darüber was "Unrecht" und was "Recht" ist, darüber gibt es in menschlichen Gesellschaften oft keine Einigkeit. In der Vergangenheit wurden diesbezügliche Konflikte oft mit Gewalt ausgetragen. Wir haben im demokratischen Rechtstaat eine friedlichere, gewaltlose Methode gewählt, die parlamentarische Demokratie.



        Wollen sie mit ihrem Aufruf zum "Widerstand" zurück zu den Zeiten wo der Konflikt über "Recht" mit Gewalt gelöst wird ?



        Ich bevorzuge den friedlichen, demokratischen Weg. Also Gesetze die in Parlamenten beschlossen werden und dann von Gerichten und Polizei genau so, wie demokratisch beschlossen, auch durchgesetzt werden. Also ein staatliches Gewaltmonopols des demokratisch legitimierten Staates.

    • @Paul Rabe:

      Härtefall-Entscheidung gibt es doch schon so lange. Und wären genau für solchen ein Fall sicher anwendbar. Nur kommt hier wohl staatspolitisch es mit, das man solche Härtefälle gar nicht erst zulassen will.

    • @Paul Rabe:

      Es müsste dafür kein Recht gebrochen werden, es gibt die Möglichkeit des Selbsteintrittsrechts: Jeder Mitgliedsstaat kann im Einzelfall einen sogenannten Selbsteintritt ausüben und unabhängig von den genannten Kriterien die Zuständigkeit für einen bei ihm gestellten Antrag übernehmen. Dieser ist an keine festen Voraussetzungen geknüpft. Die Übernahme der Zuständigkeit kann aus politischen oder humanitären Gründen erfolgen. www.unhcr.org/dach...a/dublin-verfahren



      Alles rechtlich möglich, aber politisch nicht gewollt