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Unkrautvernichter weitab vom AckerPestizide auf dem Brocken

Wenn Bauern Felder spritzen, können Spuren der Pflanzenschutzmittel auch noch weit entfernt gefunden werden. UBA besorgt über neue Studie.

Ein Landwirt bringt mit Hilfe einer „Ackerspritze“ Pflanzenschutz gegen Schädlinge auf Foto: Martin Wagner/imago

Berlin dpa | Das Umweltbundesamt (UBA) nennt sie „alte Bekannte“: Glyphosat, Pendimethalin, Prosulfocarb, Chlorthalonil, Terbuthylazin oder S-Metolachlor gehören zu den Top 10 der in Deutschland am meisten verkauften Wirkstoffe von Pestiziden. Diese vernichten nicht nur Unkraut und Schädlinge, sondern sind nun auch noch weit entfernt vom Acker gefunden worden.

Das muss laut Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) aufhören: „Wir wissen überhaupt noch nicht, wie dieser Cocktail aus verschiedenen Pflanzenschutzmitteln am Ende wirkt“, sagte sie am Dienstag zu einer Studie des Bündnisses für eine enkeltaugliche Landwirtschaft im Auftrag des Umweltinstituts München. Schulze forderte, bei der Zulassung von Stoffen und mit einem deutlich reduzierten Pestizideinsatz nachzusteuern.

Laut der Untersuchung verbreiten sich Pestizide bis in Städte und Nationalparks hinein. Selbst auf der Spitze des Brockens im Harz seien 12 Pflanzenschutzmittel nachweisbar gewesen. Insgesamt wurden 138 Stoffe mit Agrarbezug gefunden, darunter das umstrittene Unkrautgift Glyphosat.

Ausgewertet wurden Daten zu 163 Orten im Umkreis von weniger als 100 Metern bis zu mehr als 1.000 Metern Entfernung zum gespritzten Feld. Für die Analyse wurden von März bis November 2019 an 116 Orten Pestizide in der Luft ermittelt – mit Sammelgeräten, über Filtermatten in Lüftungsanlagen von Gebäuden und über Funde in Bienenstöcken. In die Ergebnisse sei zudem eine Analyse an Baumrinden von 2014 bis 2018 zu 47 Standorten eingegangen.

Ackergifte kontaminieren Bio-Felder

Das Bündnis für eine enkeltaugliche Landwirtschaft, das unter anderem Bio-Anbieter vertritt, kritisierte, immer wieder würden biologisch bewirtschaftete Flächen durch Ackergifte kontaminiert.

Produkte seien dann nicht mehr als „bio“ zu verkaufen. Nötig sei ein Fonds, der Ökolandwirten Schäden ausgleiche und durch die Pestizidhersteller gespeist werden solle. Der Verein Umweltinstitut München forderte ein umgehendes Verbot bestimmter Pestizide.

Das Umweltbundesamt (UBA) erklärte, die Studie liefere wertvolle und deutschlandweite Daten zur Verbreitung über die Luft – die bisherige Datenlage sei sehr dürftig. Für Abstände bis zu 20 Meter werde in der Zulassung untersucht, ob Mittel Umweltrisiken hätten.

Weiter entfernt gefundene Konzentrationen hätten zumindest unmittelbar keine Gefahr für Tiere und Pflanzen, da sie überwiegend deutlich unter dem lägen, was im Nahbereich zugelassen würde. „Eine gewisse Sorge bereitet uns der Ferntransport dennoch“, sagte UBA-Präsident Dirk Messner. Es sei durchaus denkbar, dass sich Wirkstoffe an anderen Orten kombinieren und gewissermaßen als Cocktail auf Tiere und Pflanzen wirkten.

Studie „alarmistisch und wissenschaftlich nicht valide“

Der Industrieverband Agrar, der Pestizidhersteller vertritt, nannte die Studie „alarmistisch und wissenschaftlich nicht valide“. Es lasse sich heute jeder beliebige Stoff im Spurenbereich nachweisen. Die Mengen seien jedoch minimal, so dass sie für Mensch und Umwelt unbedenklich seien.

Der Grünen-Agrarpolitiker Harald Ebner sagte, letztlich könne nur eine wesentliche Reduktion der Pestizideinsatzmengen Mensch, Umwelt, Ökolandbau und Imkerei sicher schützen. Das Verbreiten über die Luft werde unzureichend untersucht, obwohl es auch bei Wirkstoffen wie Glyphosat Hinweise auf Einträge über Bodenstaub und Wind gebe.

FDP-Fraktionsvize Frank Sitta kritisierte, indem Schulze sich der „überdrehten Angstmacherei dieser Studie“ bediene, ersticke sie jede sachliche Diskussion um die moderne Landwirtschaft schon im Keim.

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18 Kommentare

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  • Ein Zusammenschluss von Bio-Verbänden gibt eine Studie in Auftrag, die NUR Stoffe erfasst, die aus der konventionellen Landwirtschaft sein können. Mittel die im Bio-Anbau angewendet werden, und nachgewiesen wurden, werden aus der Statistik entfernt, genauso Stoffe die aus der Industrie stammen. Es ist also wie beim Nitrat, einer ist schuldig, nämlich der Konventionelle Landwirt. die ganze Untersuchung ist also nur Marketing für Bio.

    • @Günter Witte:

      Beweise? Link!

      • @danny schneider:

        In der oben verlinkten " Untersuchung " Tabelle 30, weggelassene Daten

        • @Günter Witte:

          Sehr geehrter Herr Witte, Sie möchten da etwas falsch verstehen: Die Studien gibt die Daten um die Chemikalien bereinigt wieder, die nicht eindeutig der Landwirtschaft zuzuordnen sind. Wie auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen bibt es einige Gifte mit dual use - diese wurden weggelassen. Leider setzt auch der Biolandbau noch Gifte ein - diese sind jedoch nicht chemisch-synthetisch, d.h. es sind Stoffe, die natürlich vorkommen - Kupfer z.B.. Keine Frage, dass das Ziel sein muss, grundsätzlich auf Gifte zu verzichten. Dafür müsste sich die Anbauweise allerdings noch gründlich wandeln. Buchtipp: Paradise Lost.

  • Was ist an der Meldung neu bzw. aufregend? Von allen Stoffen, die irgendwo ausgebracht werden, schwirren Moleküle in der ganzen Welt herum. Übrigens auch die im Biolandbau verwendeten Pestizide. Der einzige Unterschied zu früheren Zeiten besteht darin, dass man heute mehr nachweisen kann. Entscheidend ist nur die Menge, denn die Dosis macht das Gift. Und dass landwirtschaftliche Flächen nicht chemisch rein sind, auch wenn sie biologisch oder ökologisch bewirtschaftet werden, ist auch nicht neu. Damit eine Fläche nicht davon "kontaminiert" wird, müsste sie schon auf einem anderen Planeten liegen.

    Und wie der ganze "Cocktail" wirkt, ist entgegen der Ansicht der Bundesumweltministerin auch ganz gut bekannt, denn da auch schon früher, als es noch nicht nachgewiesen werden konnte, Pestizide, Dioxin et al. überall herumflogen, kann man sich ja einfach die Gesundheitsdaten der Bevölkerung und die Entwicklung der Lebenserwartung ansehen. Dies birgt freilich die Gefahr, dass dabei Erkenntnisse herauskommen, die der Umweltministerin nicht in den Kram passen, denn Erkrankungen durch Pestizide dürften nur bei Personen nachweisbar sein, die direkten Umgang damit hatten oder sich beim Spritzen in unmittelbarer Nähe befanden und eine Giftdusche abbekommen haben.

  • Und es wird sich weiter die Taschen gefüllt. Die Politik ist Marionette der Wirtschaft.

  • Wir wohnen auf dem Land, ein paar hundert Meter vom nächsten Feld entfernt.



    Zum Glück haben wir hier die „gesunde Landluft“, sonst würde man sich ja so seine Gedanken machen.

    • @neu_mann:

      Aber hey, die Apfelbauern in Südtirol spritzen das Zeug keine 50m neben Kindergärten... Ist wie kostenloser Raumlufterfrischer

    • @neu_mann:

      Keine Angst... wenn das Zeug mitten im Harz und tief im bayrischem Wald nachweisbar ist, wird es auch im Großstädte keinen Bogen machen.

  • Und was machen wir jetzt?

    • @Bernhard Hellweg:

      vielleicht mal auf die hören die schon praktisch nachgewiesen haben das man vollkommen ohne moderne Agrarchemie den gleichen Ertrag haben kann - nein sogar noch einen besseren?

      War mal ein (nie wiederholte) Doku über eine Testanstalt in den USA staatlich. Ergebnis: 2 Felder, eines Genmais mit entsprechender Chemie, eines Anbau nach Milpa -> Ertrag des Milpa Feldes war im Mittel über 5 Jahre HÖHER!

      Letzt im TV, ein Bauer der sich aus eigenem Grünschitt, Gülle etc. in IBC Containern einen Dünger braut: Nach wenigen Jahren ist die Bodenflora im Labor messbar stark verbessert. Pflanzen wachsen ohne Chemie 1A.

    • @Bernhard Hellweg:

      Ganz abgesehen vom Klimawandel und dessen Auswirkungen aufdie Landwirtschaft:



      Industrie, Autofahrer und Heizende vielleicht mit einbeziehen wegen der krebserregenden Schadstoffe die bei der Verbrennung entstehen? Also x% Aufschlag auf Öl und Gas und den Landwirten in toto übergeben.

    • RS
      Ria Sauter
      @Bernhard Hellweg:

      Herr Hellwig.sagen Sie uns doch bitte die Lösung.



      Sie schreiben doch immer wie notwendig die Pestizide sind und Sie lieben die Gentechnik.



      Wie also kann es gehen?

  • Der Industrieverband Agrar lügt!



    Es ist längst bekannt dass die Stoffe in wesentlichen Mengen über grössere Distanz fliegen und landen. Stichwort Pendimethalin und Prosulfocarb. Hier wurden zwar von einigen Landesämtern die Einsatzbedingungen verschärft aber in einer Weise die nicht kontrolliert werden kann. Auf dem Betrieb auf dem ich gearbeitet habe wurde in einem Jahr die gesamten Kräuterernte vom dem Bioaufkäufer abgelehnt, weil die Belastung zu hoch war. Nachweislich war das nächste konventionelle Feld aus dem das Mittel hätte kommen können 900 m entfernt. Und dieser Landwirt hat glaubhaft versichert, dass er das Mittel zu diesem Zeitpunkt gar nicht eingesetzt hat.

    • @Heiner Petersen:

      Dass ein relativ gut abbaubares Herbizid wie Glyphosat sich weit entfernt vom Einsatzgebiet überhaupt noch finden lässt, zeigt, dass mit dem Verbot einzelner Substanzen so ziemlich gar nichts bewirkt wird. Und es zeigt auch, wo das Problem liegt, bzw sitzt: nämlich im Landwirtschaftsministerium - und im Bundeskanzleramt. Denn Klöckner wurde trotz offensichtlicher Inkompetenz und Befangenheit zur Ministerin gemacht.

  • „Wir wissen überhaupt noch nicht, wie dieser Cocktail aus verschiedenen Pflanzenschutzmitteln am Ende wirkt“



    Diese Substanzen wirken von Anfang an. Und die Lobby lacht sich Einen.

  • Loriot: Ach?

  • RS
    Ria Sauter

    Das ist doch alles schon seit Jahren bekannt. Auch das Insektensterben hängt damit zusammen.



    Greenpeace hat schon vor Jahren Studien dazu veröffentlicht.



    Wir haben protestiert und uns die Füsde plattgelaufen bei verschiedenen Demos.



    Hat nix genutzt und wird sich auch zukünftig nix ändern.



    Alle paar Jahre erscheint einer neuer alarmierender Bericht und alles bleibt beim alten.



    Dein Land in dem wir gut und gerne leben.