Union und SPD verschärfen Bürgergeld: Reichinnek nennt Pläne „menschenunwürdig“
Die Bürgergeld-Reform ist ein Fehler, sagten Linkspartei und Grüne. Die SPD bleibt uneinsichtig und erntet Kritik aus den eigenen Reihen.

Dieser ziele nicht nur auf die Beziehenden des Bürgergelds, sondern auch auf arbeitende Menschen. „Für sie ist das Signal klar: Fordert keine besseren Arbeitsbedingungen, nehmt jede Überstunde hin, auch wenn ihr sicher seid, dass sie am Ende unbezahlt bleibt, fordert keinen besseren Lohn – denn im Bürgergeld wird es noch wesentlich schlimmer.“
Nach wochenlangen Verhandlungen haben sich die Spitzen von Union und SPD auf Verschärfungen beim Bürgergeld geeinigt. Die neue Grundsicherung werde kommen, sagte Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) in Berlin. Mit den Änderungen sollen Teile der Anfang 2023 in Kraft getretenen Bürgergeld-Reform rückabgewickelt werden, die Leistung soll künftig einfach nur noch Grundsicherung für Arbeitssuchende heißen.
Die rund 5,5 Millionen Bürgergeld-Beziehenden müssen sich bei einer Umsetzung der Pläne auf strengere Auflagen einstellen. Konkret soll etwa mit härteren Sanktionen belegt werden, wer einen Termin beim Jobcenter nicht wahrnimmt oder eine Arbeitsaufnahme verweigert.
Kritik von Grünen und Linken
Die von der schwarz-roten Koalition geplante Komplett-Streichung des Bürgergelds für Jobverweigerer stieß auch bei anderen Politiker:innen von Grünen und Linken auf Kritik. Grünen-Chef Felix Banaszak warf der Bundesregierung am Donnerstag eine Politik „sozialer Kälte“ vor.
„Dieser Vorschlag ist keine Reform – er ist ein Schlag ins Gesicht all derjenigen, die ohnehin schon jeden Tag kämpfen. Wer Menschen drohe, jede Unterstützung zu entziehen, weil sie Termine verpassten, habe „jedes Gefühl für Realität verloren“, sagte Banaszak den Zeitungen der Mediengruppe Bayern
Banaszak betonte, ein System, das Menschen unter Druck setze, statt ihnen zu helfen, zerstöre Vertrauen. „Das ist keine Grundsicherung, das ist Grundmisstrauen“, sagte er. Dieses Konzept mache „den Sozialstaat härter, aber nicht gerechter“. Er finde es „verstörend, dass die SPD-Spitze zu diesem Programm sozialer Kälte ihre Zustimmung gibt. Offensichtlich hat sich die Sozialdemokratie der Union vollkommen ausgeliefert.“
Linken-Chefin Ines Schwerdtner warf der Koalition vor, Politik auf Kosten der Schwächsten zu betreiben. „Bevor man bei den Ärmsten spart, sollte die Regierung besser nach oben gucken und schauen, welche starken Schultern mehr tragen können“, sagte Schwerdtner der „Rheinischen Post“.
„Viele der Bürgergeldbezieher würden lieber heute als morgen arbeiten, jedoch können sie oft nicht, weil sie keine Kita für ihre Kinder finden oder Qualifikationen und Deutschkenntnisse nicht ausreichend sind“, sagte Schwerdtner weiter. Sie sprach von „ekelhafter Sündenbock-Politik auf Kosten der Ärmsten“.
Sozialverbände gegen Reform
Auf Kritik stieß die Einigung von Union und SPD auch bei Sozialverbänden. „Es kann nicht wahr sein, dass der Bundesregierung angesichts all der Krisen, die wir erleben, nichts Besseres einfällt, als schon wieder am Sozialstaat zu sägen“, erklärte Arbeiterwohlfahrt-Präsident Michael Groß. „Millionen von Familien“ würden durch die Pläne bestraft. „In krisenhaften Zeiten muss Zusammenhalt organisiert werden – dafür wären Investitionen in Arbeitsmarktintegration, gute Betreuung und Pflege der richtige Weg.“
Das Kinderhilfswerk warnte vor Sanktionen für Familien mit Kindern. Es dürfe „keine Mithaftung von Kindern für ihre Eltern geben“, erklärte Bundesgeschäftsführer Holger Hofmann. „Jede Kürzung ist eine ungerechtfertigte, außergewöhnliche Härte für die Kinder und verstößt gegen das in der UN-Kinderrechtskonvention normierte Recht auf soziale Sicherheit und angemessene Lebensbedingungen.“
Je länger Kinder in Armut aufwachsen müssten und unter Teilhabe- und Bildungsverlusten litten, „desto weitreichender sind die Langzeitfolgen für ihre Entwicklung und beruflichen Perspektiven“, betonte Hofmann.
Union und SPD bleiben kritikresistent
Bundeskanzler Friedrich Merz hat die Pläne verteidigt, Bürgergeld-Empfängern bei wiederholten Terminversäumnissen im Jobcenter künftig alle Leistungen zu streichen. „Es wird in Deutschland niemand obdachlos. Jeder, der eine Wohnung oder ein Dach über dem Kopf braucht, bekommt ein Dach über dem Kopf“, sagte der CDU-Chef dem ARD-Hauptstadtstudio.
„Aber diejenigen, die gar nicht mitwirken, die sich noch nicht einmal melden beim Jobcenter, von denen müssen wir doch davon ausgehen, dass sie die Hilfe des Staates, des Sozialstaates, nicht brauchen.“ Deswegen werde die komplette Einstellung aller Leistungen im Gesetz stehen, „aber eben für diese Fälle“.
Auch SPD-Fraktionsvorsitzender Matthias Miersch hat die Zustimmung seiner Partei zu strengeren Regeln für Arbeitslose verteidigt. Nach einer Sitzung seiner Fraktion, bei der die Ergebnisse des Koalitionsausschusses besprochen wurden, sagte Miersch am Freitag in Berlin, die Bürgergeld-Reform sei „in einer sehr guten Form“ angegangen worden und er sei „guter Dinge“, dass die Koalition Maßnahmen beschließen werde, die zu mehr Sicherheit und Gerechtigkeit führten.
Bas ruft Union zur Mäßigung auf
Mit Blick auf die geplante Reform des Bürgergelds hat die SPD-Vorsitzende Bärbel Bas die Union zu rhetorischer Mäßigung aufgerufen. Mit Äußerungen über eine Abschaffung des Bürgergelds hätten Unionspolitiker Verunsicherung verbreitet, sagte Bas am Freitag im „Morgenmagazin“ der ARD. „Deswegen fand ich diesen Satz schwierig: ‚Das Bürgergeld ist abgeschafft‘, weil er suggeriert, als hätten wir die Leistung generell abgeschafft“, sagte die Bundesarbeitsministerin. „Das hat vielen Leuten Angst gemacht.“
Bei der geplanten Reform gehe es aber keineswegs darum, die Grundsicherung „aufzulösen“, sagte Bas. Es würden lediglich die Mitwirkungspflichten durch neue Sanktionsmöglichkeiten „angeschärft“. Ihre Botschaft sei: „Für die, die alles richtig machen, die mitwirken, die wollen, für die ändert sich an diesem Gesetz gar nichts“, sagte Bas. „Wer mitmacht, der hat überhaupt nichts zu befürchten.“
CSU-Chef Markus Söder hatte nach der Einigung im Koalitionsausschuss auf die Umstellung des bisherigen Bürgergelds auf die neue Grundsicherung geschrieben: „Das Bürgergeld ist jetzt Geschichte.“ Auch Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) hatte wiederholt hervorgehoben, dass es das Bürgergeld, das von der Vorgängerregierung auf Betreiben der SPD hin eingeführt worden war, bald nicht mehr geben werde.
SPD bekommt Kritik aus den eigenen Reihen
Juso-Vorsitzender Philipp Türmer hält die Koalitionseinigung zum Bürgergeld für falsch. „Diese Einigung wiederholt Fehler der Vergangenheit“, sagte Türmer dem „Tagesspiegel“. Die SPD habe sich bewusst von Hartz IV verabschiedet. „Dass jetzt unter der Beteiligung der SPD wieder eine Rolle rückwärts gemacht wird, tut extrem weh und ist falsch“, beklagte der Juso-Chef.
„Mit den angekündigten massiven Ausweitungen der Leistungskürzungen steuert die Koalition sehenden Auges auf eine Klatsche vor dem Verfassungsgericht zu“, vermutet Türmer. Die Grundsicherung müsse ein sozioökonomisches Existenzminimum garantieren, das sei nun bedroht. Der Juso-Chef forderte die Parlamentarier seiner Partei auf, sich gegen die Verschärfung zu stellen. „Ich erwarte von den sozialdemokratischen Abgeordneten, dass sie diese schweren Fehler vermeiden.
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