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Ungerechte VerhältnisseEin repariertes Aufstiegsversprechen wird es nicht richten

Die Fortschrittsverheißung der Sozialdemokratie sitzt tief im Gemüt. Aber von rechts macht sich eine gesellschaftliche „Ich zuerst“-Mentalität breit.

Die Verhältnisse sind ungerecht, und Eltern wissen, dass es ihren Kindern nicht besser gehen wird Foto: Andreas Gebert/dpa

D a war es wieder, das gebrochene Aufstiegsversprechen. Und das Wissen, dass es unseren Kindern nicht besser gehen wird. Aus dem sozialökonomischen Thesentopf sind das die beliebtesten Erklärungen dafür, warum so viele Leute so voller schlechter Gefühle stecken, dass sie sich nicht anders zu helfen wissen, als rechtsextrem zu wählen.

So auch diese Woche bei einer Diskussionsrunde in einem Saal voller engagierter Nachwuchs-SozialdemokratInnen. Ein ganz junger, gemäßigt gepiercter Mann aus Sachsen-Anhalt rief: „Die Menschen wissen, dass es ihren Kindern nicht besser gehen wird! Sie sind enttäuscht, dass das Aufstiegsversprechen der Bundesrepublik sich nicht erfüllt!“ In seinen Worten, aber auch im zustimmenden Raunen im Raum hallten die Studien der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung und vieler Wirtschaftsforschungsinstitute nach, die mit dieser Botschaft schon erschienen sind, die aber vermutlich kaum jemand hier gelesen hatte.

Das ist ja das Besondere an der Sozialdemokratie: Ihre Fortschrittsverheißung sitzt tief im Gemüt, sie ist eher kulturell eingepflanzt als angelesen und sie ist längst davon abgekoppelt, ob Leute sich selbst für sozialdemokratisch halten oder die entsprechende Partei wählen. Zitiert werden das gebrochene Aufstiegsversprechen und das Dass-es-den-Kindern-nicht-besser-gehen-wird so auch quer durchs politische Spektrum, nur eben mit unterschiedlichen Arbeitsaufträgen versehen („mehr Umverteilung“ vs. „mehr Wettbewerb“).

Doch frage ich mich, ob das überhaupt hinhaut. Der erwähnte Mann aus Sachsen-Anhalt erzählte lebhaft, wie er von rechtsradikalisierten Mitbürgern angeschrien wird, dass „Ausländer alles, Deutsche nichts!“ bekämen. Fürchten die wirklich, ihre Kinder würden keinen Job finden? Und da die AfD sogar noch mehr als bisher gedacht von Männern im mittleren Erwerbsalter gewählt wird, wie die frische repräsentative Statistik der Bundeswahlleiterin zeigt: Haben nicht gerade die vom Boom im Osten seit den nuller Jahren besonders profitiert?

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Klima, Inflation, die nächste Generation

Dieselben Schreier mögen ja in einer wissenschaftlichen Erhebung ankreuzen, dass sie fürchten, ihren Kindern werde es schlechter gehen – vielleicht aber nur, weil sie diese originelle Antwortmöglichkeit noch nie gehört haben, sie aber spontan plausibel finden. Vielleicht ahnen sie sogar, dass ihre Kinder es tatsächlich deshalb schwerer haben könnten, weil sie ihr ganzes Leben gegen den Klimawandel und seine ökonomischen und biologischen Folgen ankämpfen werden. Aber im Internet wird gesagt, daran seien die Grünen schuld, und deshalb müssten die Ausländer raus, und das sagt die CDU ja irgendwie auch.

Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Die Inflation hat die Klein- und Mittelverdiener seit vier Jahren voll erwischt. Das ist nicht bloß ein Gefühl, dass speziell Nahrungsmittel viel teurer geworden sind. Die Reallöhne – Inflation rausgerechnet – sind gerade einmal auf dem Vor-Corona-Niveau von 2019 angekommen, wie der Experte vom Institut für Weltwirtschaft in der FAZ mit einem verzückten „sogar“ ausführt. Was ihn nur dann so freuen kann, wenn er die wesentlich vorteilhaftere Vermögensstatistik kurz aus dem Auge verloren hat.

Die Gerechtigkeit, die Rechtsradikalisierte wollen, ist eine Ich zuerst!-Gerechtigkeit

Die Verhältnisse, soll das heißen, sind in der Tat zum Schreien ungerecht. Und ich verstehe, wenn SozialdemokratInnen ihren historischen Auftrag mit dem Kampf gegen rechts anreichern oder sogar erneuern wollen: Aufstiegsversprechen – nur mit uns und bitte hier entlang! Ich fürchte bloß, das ist nicht die Gerechtigkeit, um die es den Rechtsradikalisierten geht. Die wollen eine „Ich zuerst!“-Gerechtigkeit. Und das hat die gesamtgesellschaftliche Linke inklusive Sozialdemokratie nicht im Angebot.

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Ulrike Winkelmann
Chefredakteurin
Chefredakteurin der taz seit Sommer 2020 - zusammen mit Barbara Junge in einer Doppelspitze. Von 2014 bis 2020 beim Deutschlandfunk in Köln als Politikredakteurin in der Abteilung "Hintergrund". Davor von 1999 bis 2014 in der taz als Chefin vom Dienst, Sozialredakteurin, Parlamentskorrespondentin, Inlandsressortleiterin. Zwischendurch (2010/2011) auch ein Jahr Politikchefin bei der Wochenzeitung „der Freitag“.
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10 Kommentare

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  • Ist denn das wirklich so? Geht es der Mehrheit denn wirklich materiell heute schlechter als in den 90gern, wo es doch der Mehrheit materiell besser ging als in den 80gern oder gar den 70gern ganz zu schweigen von den 60gern. Ist dieses Argument es geht so vielen materiell schlechter heute wirklich stichhaltig oder sind das nicht doch andere, tieferliegende Gründe für die Unzufriedenheit?

    • @Peter Teubner:

      Nein, es reicht ja schon die „gefühlte“ Wahrnehmung sozialer Ungerechtigkeit, um sein Wahlverhalten zu ändern.



      Sozialer Absturz hatte für die Betroffenen in der Weimarer Zeit noch weitaus dramatischere Folgen als heutzutage, dennoch sehen wir heute ganz ähnliche politische Radikalisierungstendenzen.



      Und man beachte auch die Untersuchungen, nach denen die Rechtsentwicklung als ein umfassendes gesellschaftliches Problem gedeutet wird, nicht bloß als eines sozial deklassierter Bevölkerungsgruppen.

    • @Peter Teubner:

      Ich glaube, Sie unterliegen einem Irrtum: Es ist nicht der absolute materielle Wohlstand, der zählt, sondern wo man sich in der Wohlstandspyramide verortet.

  • Falscher kann eine Analyse kaum sein, wofür der Blick ins Ruhrgebiet reicht, wo die SPD massenhaft Wähler nach rechts verliert.

    Das liegt aber nicht daran, dass dort jetzt die "ich zuerst"-Mentalität Einzug erhalten hat, sondern daran, dass dort hohe Arbeitslosigkeit und der Verlust weiterer Arbeitsplätze droht und die Leute gleichzeitig von dem belastet sind, was Frau Bas neulich als "organisierte Kriminalität" zum Ausplündern der Sozialsysteme bezeichnet hat. Wenn man sieht, dass man nach einen langen Arbeitsleben die gleichen geringen Ansprüche an den Sozialstaat hat wie Leute, die frisch eingewandert sind und nie eingezahlt haben, wenn man dann noch sieht, dass das Prinzip "Aufstieg durch Bildung" durch immer schlechter ausgestattete und marodere Schulen auch für die nächste Generation nicht gilt (sondern seit Jahrzehnten die Herkunft über den Bildungsweg entscheidet), dann wundert es nicht, dass die Leute nach rechts oder sogar rechtsaußen abwandern. So dann auch die Wahlergebnisse

    • @Dr. McSchreck:

      Ich denke, Frau Winkelmanns Analyse steht nicht in Widerspruch zu der Ihren. Die Wahrnehmung sozialer Ungerechtigkeit wurde stets von rechts instrumentalisiert, zwischen 1949 und 1990 waren sie dabei allerdings nur mäßig erfolgreich, da das Versprechen von Wohlstand für alle noch galt und der Sozialstaat halbwegs funktionierte. (Deshalb jetzt auch das Phänomen, dass CDU und SPD politisch rechts andocken, weil sie als die Fahnenträger einer sozialen Marktwirtschaft weitgehend desavouiert sind … aber anderes Thema.)



      In der Weimarer Zeit ließ der Verlust von Gesundheit und Arbeit die Menschen tatsächlich wirtschaftlich und sozial ins Bodenlose fallen, stellte eine wirklich dramatische Existenzgefährdung dar. Möglicherweise steckt das familienbiografisch vielen bis heute noch in den Knochen, zumindest bei denen, deren Altvorderen im proletarischen Millieu verankert waren.



      Und leider vermitteln die etablierten Parteien kein Vertrauen darin, dass wir nicht wieder in jene dunklen Zeiten hineinrutschen könnten.



      Den Rest erledigt 40 Jahre erfolgreiche neoliberale Indoktrination.

    • @Dr. McSchreck:

      "Aufstieg durch Bildung" hat in Deutschland in den letzten 2000 Jahren nur in Einzelfällen funktioniert. Zwar ist der Wohlstand insgesamt deutlich gestiegen (ohne die zwei Weltkriege wäre es noch viel besser gelaufen), aber die Verteilung des Wohlstands hat sich nur unwesentlich geändert: 10% der Menschen besitzen ca. 2/3 des Vermögens.



      Bei Parteien am rechten Rand ist zu beobachten, dass diese diese den Staat als Selbstbedienungsladen für ihre Gesinnungsgenossen behandeln. Zuletzt las man im SPIEGEL folgende Überschrift: "Europäische Rechtsaußenfraktion hat womöglich Millionen veruntreut"



      Ich frage mich daher, warum viele Leichtgläubige den extrem Rechten hinterherrennen wie die Kinder dem Rattenfänger von Hameln.

  • Dieser Satz ist semantisch klar formuliert:



    "Die Gerechtigkeit, die Rechtsradikalisierte wollen, ist eine Ich zuerst!-Gerechtigkeit".



    Das ist zu sich nach innen gesprochen.



    In Bezug auf die Realität ist er sinnloser Unsinn. Mit dem Wort gerecht/ Gerechtigkeit kann man diesen Satz gar nicht formulieren.



    sondern er muss heißen:



    "Rechtsradikale wollen ihr Faustrecht, ihre Hackordnung. Das einzige was daran Ordnung ist, ist, die Herrschaft der Angst."

  • Ich kann nicht ganz folgen. Was sind denn nun die Gründe für den wirtschaftlichen Niedergang der BRD, und welche Lösungen schlägt die Autorin vor?

    • @Kommen Tier:

      Müssen die Gründe für den wirtschaftlichen Niedergang wirklich noch ausführlich erörtert werden?



      Hinsichtlich der Lösungen kommt mir momentan leider nur eine Partei in den Sinn, die hier vernünftige Antworten bietet - die Linke (mit Abstrichen, als Opposition, noch die Grünen). Fast wider Willen, würde ich sagen.

  • Die historische Erfahrung sagt, dass es den Kindern fast immer besser geht, wenn nicht gerade ein Weltkrieg dazwischen kommt.



    Wer das Gegenteil befürchtet, dem geht es entweder jetzt schon schlecht, oder hat Sorge, selbst in nächster Zeit aktuell zu verarmen und abzusteigen.



    Die Spannung entsteht nach meiner Beobachtung daraus, dass diese Sorge bei weitem nicht von allen geteilt wird. Sowohl die Autorin als auch ich müssen vermutlich nicht unbedingt bangen, ob wir unseren Lebensstandard nächstes Jahr halten können.



    Wenn alle besorgt sind, verbindet das und schafft vielleicht sogar Aufbruchstimmung. Da das nicht so ist, kommen wir Unbesorgt(er)en tendenziell arrogant rüber, und das schafft Aggression - gegenüber variablen Gruppen, die vermeintlich oder wirklich etwas haben, was man nicht (mehr sicher) zu haben meint.



    Eine Patentlösung gegen Sorgen gibt es natürlich nicht, denn dahinter verbergen sich eine große Bandbreite an echten, möglichen und vermeintlichen Problemen.



    Was auf jeden Fall Spannungen abbaut: Mehr Verständnis. Mehr Ernstnehmen der Sorgen anderer, die einen selbst nicht umtreiben. "Selbst dran schuld" und "musst dich halt umstellen" sind gesellschaftliches Gift.