Unabhängigkeitstag in Polen: Rechte marschiert in Warschau auf
Neofaschisten, Antisemiten, Nationalisten, Frauenhasser und Homophobe strömten in die Hauptstadt. An der Demo-Route wurden Häuser verbarrikadiert.
Trotzdem ging es hoch her. Böller krachten, Feuerwerkskörper flogen laut zischend durch die Luft. Im weiß-roten Meer aus Nationalfahnen waren auch viele Falanga-Flaggen der antisemitischen Militärorganisation der ONR (Obóz Narodowo-Radykalny, dt. Nationalradikales Lager, eine neofaschistische Organisation, die seit 1993 existiert und an die Tradition der gleichnamigen faschistischen Partei der Zwischenkriegszeit anknüpft; Anm. d. Redaktion) zu sehen, außerdem keltische Kreuze und White-Power-Transparente von Rassisten.
Der 11. November ist ein staatlicher Feiertag, an dem an die Wiedergewinnung der Souveränität Polens erinnert wird. In Westeuropa sind die drei Teilungen Polens in den Jahren 1772, 1793 und 1795 durch die Nachbarmächte Russland, Österreich-Ungarn und Preußen heute weitgehend unbekannt. Für die meisten Polen aber besteht das Trauma von 123 Jahren Unfreiheit bis heute fort.
Umso wichtiger wäre es, gemeinsam jedes Jahr aufs Neue die 1918 wiedergewonnene Freiheit und Unabhängigkeit zu feiern. Stattdessen setzten auch in diesem Jahr die in Polen regierenden Nationalpopulisten von der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) alles daran, dass die berüchtigte Allpolnische Jugend und das antisemitische National-Radikale Lager (ONR) den Feiertag am 11. November gestalten durften.
Da sie in den letzten Jahren eine Spur der Verwüstung sowie verletzte Polizisten und Unbeteiligte in Warschau hinterlassen hatten, verbot Warschaus Stadtpräsident Rafał Trzaskowski von der oppositionellen Bürgerplattform (PO) den diesjährigen Marsch. Auch die Sorge wegen einer weiteren Covid-19-Ausbreitung spielte dabei ein Rolle.
Der Verein des Unabhängigkeitsmarsches wollte sich dem Verbot nicht beugen und ging vor Gericht, doch Trzaskowski gewann den Prozess in allen drei Instanzen. Damit schien das Problem ausgestanden und Trzaskowski konnte mit einer kleinen antifaschistischen Gruppe seine Demonstration vor den Nationalisten anmelden.
Doch völlig unerwartet meldete sich plötzlich Jan Józef Kasprzyk, der Chef des von der PiS kontrollierten Kriegsveteranenverbandes, zu Wort. Er gab dem Marsch den formalen Status einer Staatsfeierlichkeit und sprach den Nationalisten das Recht zu, den nunmehrigen Staatsmarsch auszurichten. Zugleich sicherte der Veteranenfunktionär den Teilnehmern den Schutz durch Polizei und Kriegsgendarmerie zu.
Es ist klar, dass hinter dem Veteranenchef mehrere PiS-Minister stehen müssen, da er selbst keine Verfügungsgewalt über Polizei und Militär hat. Da auch in diesem Jahr mehrere Zehntausend Leute aus ganz Polen und dem Ausland anreisten, ist das Polizeiaufgebot riesig.
Trzaskowski hingegen musste unter anderem Hunderte Tonnen an Pflastersteinen abtransportieren lassen, die bereits am Straßenrand für die Instandsetzung einer der große Magistralen Warschaus aufgetürmt waren. Häuser und Schaufenster entlang der Marschstrecke wurden mit Holz- und Stahlplatten verrammelt. Es ist wenig wahrscheinlich, dass die PiS-Regierung der Stadt Warschau die Kosten dafür erstattet.
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