Umweltschutz-Debatte in der SPD: Wie grün dürfen die Roten werden?
SPD-Umweltpolitiker und die Basis fordern mehr Klimaschutz von ihrer Partei. Doch die Führung bremst, um nicht die letzten Anhänger zu verlieren.
Es ist eben vier nach zwölf. Für die Umwelt sowieso. Und vielleicht auch für die SPD.
In Laatzen berät die SPD, wie es weitergehen soll. Eingezwängt in die gehasste Groko in Berlin, deprimiert von schlechten Umfragen, auf der Suche nach Ideen für das neue Parteiprogramm. Eingeladen hat Matthias Miersch, Vizevorsitzender der Bundestagsfraktion, hier ist sein Wahlkreis. Er sagt: „Bestimmte Fragen haben wir nie geklärt. Das müssen wir dringend nachholen.“ Er meint damit Klimaschutz und Umwelt.
Miersch steht vor einer roten Wand mit SPD-Logo in seiner alten Schule. In dieser Aula hat er vor 30 Jahren sein Abiturzeugnis in die Hand gedrückt bekommen. Heute geht es um die Reifeprüfung für seine Partei. Er nennt die Debatten „Wennigser Gespräche“. In Wennigsen, gleich um die Ecke, wurde 1945 die SPD wiedergegründet. Mehr Symbolik geht nicht.
Die Basis will eine klare Linie
„Die SPD stand immer für den Fortschritt“, sagt der jugendlich wirkende 49-Jährige. Er zitiert Umfragen, die besagen, dass für SPD-Mitglieder die Themen Umwelt und Klimawandel nach Jobs an zweiter Stelle stehen. Er sammelt Unterstützer, sie führen eine Kampagne, die sich zu einem Aufstand gegen die Parteioberen ausweitet. Denn die Sozialdemokraten sind bei dieser Frage tief gespalten. Soll sich die Partei der Arbeit ernsthaft für die Ökologie öffnen? Fragt man die 120 Besucher in Laatzen, ist die Antwort: ja. Anderswo ist das nicht so klar.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Eigentlich, sagt Miersch, sei die SPD die ideale Partei, um die Aspekte der Nachhaltigkeit – Wirtschaft, Ökologie, Soziales – umzusetzen. In der Praxis ist das Gegenteil der Fall: „Keine Partei scheint bei dem Thema so zerrissen wie wir.“
Stephan Weil, der SPD-Ministerpräsident von Niedersachsen, sagt es so: „Wir dürfen Umweltpolitik nicht nur durch die Ökobrille sehen.“ Auch Weil ist nach Laatzen gekommen. Er kritisiert die Konservativen („denken nicht ans Klima“) und die Grünen („stoppen die Kohle, denken erst später an die Folgen“) und ist dann bei seinem eigentlichen Thema: der Autoindustrie. Die dürfe man nicht überfordern. „Da sind Matthias Miersch und ich nicht einer Meinung. Es ist nicht gut, erst CO2-Ziele festzulegen und dann zu fragen, wie das gehen soll.“ Stephan Weil regiert ein Land mit Tausenden gut bezahlter Jobs bei VW. Da sitzt er auch im Aufsichtsrat. Das Sein bestimmt das Bewusstsein.
Hier die Ökos, da die Betriebsräte. „Es gibt in der Umweltpolitik keine Klarheit in der SPD“, sagt auch Barbara Hendricks, Exumweltministerin. Klarheit aber hätte die Basis gern beim SPD-„Debattencamp“. Am vorigen Wochenende haben sich etwa 200 Interessierte ins ehemalige Funkhaus in Berlin-Köpenick gedrängt. Der Putz blättert dort von der Wand, das Licht ist diffus, die SPD will Mut und Ideen tanken. Eine Stunde lang geht es um Klimaschutz, die anwesende Basis ist eindeutig öko-rot: Kostenloser Nahverkehr, Subventionen für Diesel streichen, ein Preis aufs CO2, alles Konsens.
Martin Schulz verzichtete auf ein Ökoprofil
Kai Niebert sitzt auf dem Podium. Der junge Chef des Deutschen Naturschutzrings ist Sozialdemokrat und einer von Mierschs Verbündeten. Er fordert unter großem Beifall: „Die SPD muss in der Umweltpolitik wieder Eier haben.“ Auf dem Tisch liegt ein Aufruf: „Umwelt- und Klimaschutz, soziale Gerechtigkeit und wirtschaftliche Vernunft zusammendenken!“ Darin fordern 45 SPD-Umweltpolitiker von ihrer Partei: „Die ökologischen Grenzen sind unverrückbar.“ Der Übergang zu einer „postfossilen, nachhaltigen Entwicklung“ biete große Chancen für neue und nachhaltige Beschäftigung“. Alles keine Ökorevolution, aber für manche Sozis starker Tobak. Ein Mann aus dem Publikum ruft ins Mikro: „Der Parteivorstand ist noch nicht so weit wie die Gesellschaft.“
Die Sozialdemokraten sitzen zwischen Baum und Borke. Sie stellen mit Svenja Schulze die Umweltministerin in einer Koalition, die das Klimaziel für 2020 aufgibt, schlecht die Energiewende managt und die Autokonzerne schützt. Im letzten Wahlkampf verzichtete Kanzlerkandidat Martin Schulz auf jedes Ökoprofil. In der Fraktion fehlt ein Schwergewicht zu diesen Themen, wie es unter Rot-Grün Hermann Scheer war, der das „Erneuerbare Energien-Gesetz“ durchs Parlament boxte. Generalsekretär Lars Klingbeil meint, als Volkspartei müsse man „ein überzeugendes Angebot für die Mehrheit machen, also auch bei Umwelt- und Klimapolitik“.
Allerdings wehrt sich die SPD-Führung schon lange dagegen, „grüner zu sein als die Grünen“, wie Altkanzler Gerhard Schröder sagt. Sigmar Gabriel, auch mal Umweltminister, meint, „Umwelt- und Klimaschutz waren uns manchmal wichtiger als Industriearbeitsplätze“. Brandenburgs SPD-Ministerpräsident Dietmar Woidke hängt an der Kohle und warnt in dramatischen Worten vor der Machtübernahme der AfD.
Und SPD-Chefin Andrea Nahles brüskiert die Ökos, wenn sie sagt, für eine „Blutgrätsche gegen die Braunkohle steht die SPD nicht zur Verfügung.“ Nicht zuletzt stemmt sich Michael Vassiliadis, Chef der mächtigen Gewerkschaft IGBCE und bestens in der SPD verdrahtet, gegen mehr Grün im Rot. Ein Kohleausstieg koste Arbeitsplätze, er glaube nicht an einen CO2-Preis, sondern eher an staatliche Interventionspolitik und mehr Innovation.
Wirklich mal was Neues
Beim Debattencamp nennt sich Vassiliadis selbstironisch „Darth Vader“. „Der wurde am Ende auch bekehrt“, entgegnet Niebert. Die grünen Roten wollen einen Kohleausstieg mit der Botschaft an die Regionen: „Wir lassen euch nicht allein.“ Sie wollen ein Ende für den Verbrennungsmotor um 2030 und Zukunftsjob bei E-Autos. Die Sanierung der Gebäude solle die Mieten nicht weiter hochtreiben, eine gute alte SPD-Forderung. Und sie fordern ein „riesiges, in sich stimmiges Investitionsprogramm“, so Niebert.
Falls das geplante Klimaschutzgesetz im nächsten Jahr nicht vernünftig werde, entscheide sich auch daran das Schicksal der Koalition, warnt Matthias Miersch. Das wäre wirklich mal was Neues: Wenn die Sozialdemokraten eine Regierung wegen Umweltfragen platzen ließe.
Ob es der SPD in Neuwahlen helfen würde, steht auf einem anderen Blatt. Im September fragte der ARD-„Deutschlandtrend“ danach, welche Partei „gute Umweltpolitik betreibt“. Die Grünen bekamen 61 Prozent. Die SPD bekam 6.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Sensationsfund Säbelzahntiger-Baby
Tiefkühlkatze aufgetaut