Umweltfolgen des Kriegs in Gaza: Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
In Gaza sind Umwelt, Landwirtschaft und Infrastruktur wie Kläranlagen zerstört. Menschenrechtler*innen sprechen von „Hunger als Kriegswaffe“.
Genaue Belege sind für das Team schwierig. Bodenproben, die die Mitglieder im Oktober gesammelt hatten, konnten bis heute nicht wissenschaftlich untersucht werden. „Sie sollten in Laboren getestet werden“, sagt Umweltingenieurin Abeer Butmeh, die die Untersuchungen koordiniert hat, im Gespräch mit der taz. Doch die Labore in Gaza seien durch den Krieg zerstört. Butmeh selbst lebt nicht in Gaza, sondern in Nablus und arbeitet in Ramallah.
Dass Umwelt und damit auch die Landwirtschaft massive Schäden erlitten hat, bestätigen verschiedene Berichte der Vereinten Nationen (UN). Mitte November stellte ein Sonderausschuss des UN-Menschenrechtsbüros in einem Bericht sogar fest, die israelische Regierung setze Hunger als Kriegswaffe ein. Diese Methoden der Kriegsführung erfüllten die Merkmale eines Völkermordes.
Der Bericht dokumentiert die Entwicklungen zwischen dem 7. Oktober 2023 bis zum Juli 2024. Die nach dem Überfall der radikalislamischen Hamas auf den Süden Israels, bei dem mehr als 1.200 Menschen ermordet wurden und rund 200 Geiseln genommen wurden, erfolgten Bombardierungen der israelischen Luftwaffe hätten „eine Umweltkatastrophe ausgelöst, die dauerhafte Auswirkungen auf die Gesundheit haben wird“, heißt es darin. Nicht nur Häuser seien zerstört worden, sondern auch Wasser- und Abwassersysteme, Agrarflächen seien toxisch verschmutzt.
UN Bericht: toxische chemische Kontaminationen von Wasservorräten
Das UN-Umweltprogramm Unep hatte bereits im Juni einen Bericht zu den Umweltfolgen des Konflikts veröffentlicht. Darin konstatieren die Expert*innen nicht nur massive Zerstörungen, sondern auch toxische chemische Kontaminationen weiter Flächen und Wasservorräte.
„Die israelische Besatzung hat Entwicklungsprojekte in allen Gebieten Gazas ins Visier genommen“, sagt Umweltingenieurin Butmeh. Solar- und Kläranlagen seien komplett oder teilweise zerstört. „Manche Menschen trinken Salzwasser, weil es kein frisches Wasser gibt.“
Die Organisation Oxfam warnte in der vergangenen Woche, Israel habe die verfügbare Wassermenge in Gaza auf weniger als fünf Liter pro Tag und Person reduziert – das entspräche weniger als einer Toilettenspülung. Israel liefert mit drei Pipelines das Wasser nach Gaza. Mindestens eine davon ist beschädigt.
Tatsächlich soll die Umweltsituation in Gaza schon vor dem 7. Oktober 2023 „katastrophal“ gewesen sein, sagt Butmeh. Nachdem die Hamas die Kontrolle über Gaza übernommen hat, kontrollierte Israel über Grenzübergänge die Lieferungen von Nahrungsmitteln, Pestiziden oder Benzin. Im Jahr 2022 litten laut UN bereits rund 65 Prozent der Bevölkerung an mäßiger oder starker Ernährungsunsicherheit, Landwirte waren durch die seit 2007 verhängte israelische Blockade eingeschränkt.
Kriegsformen, die die Umwelt nachhaltig schädigen, sind völkerrechtlich verboten
„Gaza war unter einer See- und Landblockade. So gab es zu wenig Treibstoff für Kläranlagen. Unbehandeltes Abwasser landete im Meer oder verseuchte das Grundwasser“, erzählt Butmeh.
Kriegsformen, die die Umwelt nachhaltig schädigen, sind völkerrechtlich verboten. Ein Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen verknüpft nachhaltige Umweltschäden mit dem humanitären Völkerrecht. Wenn Mittel der Kriegsführung lang andauernde und schwere Schäden der natürlichen Umwelt verursachen, sind sie nicht zulässig. Die USA, der größte Waffenlieferant an Israel, haben dieses Zusatzprotokoll nicht ratifiziert.
Butmeh berichtet, dass auch die Gewalt durch israelische Siedler im Westjordanland nach dem 7. Oktober angestiegen sei. Siedler*innen zerstörten mit Baggern Dörfer und Felder, Bauern würden durch Straßensperren daran gehindert, an ihre Felder zu kommen. „In vielen Fällen werden Landwirte auch verhaftet, wenn sie auf ihren Feldern arbeiten. Israelische Soldaten oder bewaffnete Siedler sagen ihnen, das Land gehöre den Israelis.“ Ihre Tanten könnten beispielsweise nicht zu ihren Olivenhainen.
Israelische Behörden beschlagnahmen Felder
Die landwirtschaftliche Genossenschaft „Wurzeln des Himmels“ berichtet, dass ihre Felder von israelischen Behörden beschlagnahmt wurden. Sie hatte in der Nähe der nach internationalem Recht illegal von Israel gebauten Mauer Gemüse angebaut. Farmer aus der Nähe von Ramallah berichteten laut arabischen Medien, israelische Soldaten „kommen und schießen auf uns“.
Erneuerbare Energien, Wasseraufbereitung, ökologischer Anbau – in solche Projekte in Gaza flossen in den vergangenen Jahren Gelder der GIZ, der Weltbank und EU. Ob von den Anlagen noch etwas übrig ist, ist fraglich.
Umweltingenieurin Butmeh gibt trotzdem nicht auf. „Wir gehen weiter gegen die israelischen Verstöße vor, um unsere Projekte zu reparieren, umzusetzen und Umweltgerechtigkeit in Palästina zu erreichen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“