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Umweltbehörde kennt Baumbestand nichtAbgeholzt und wegsortiert

Kommentar von Marta Ahmedov

In Hamburg wurden 30.000 Bäume gefällt und nicht nachgepflanzt. Recherchiert hat das ein Abgeordneter. Die Umweltbehörde selbst hat keinen Durchblick.

In irgendeiner Statistik stehen auch sie: gefällte Bäume 2020 in Hamburg-Lemsahl-Mellingsted Foto: dpa | Hans-Jürgen Ehlers

E ine Zahl machte in Hamburg in der letzten Woche Schlagzeilen: 30.000 Bäume wurden von 2015 bis 2022 gefällt und nicht nachgepflanzt. Das ist nicht nur deshalb interessant, weil die allermeisten Menschen Bäume mögen und es doof finden, wenn sie futsch gehen. Interessant ist vor allem, wie diese Zahl überhaupt ans Licht kam.

Der Baumbestand wird in Hamburg nämlich keineswegs einheitlich oder gar zentral erfasst. Straßenbäume, Privatbäume und Bäume in öffentlichen Grünanlagen sind drei verschiedene Kategorien, in denen gezählt wird – und zwar je nach Kategorie bei der Umweltbehörde oder den sieben Bezirksämtern.

Der Bürgerschaftsabgeordnete Sandro Kappe (CDU) hat sich hinter das Thema geklemmt und Dutzende Kleine Anfragen zum Baumbestand gestellt. Über 200 Zeilen umfasst die Excel-Tabelle, in der er die Ergebnisse fein säuberlich zusammengetragen hat. Das Ergebnis: Zwischen 2015 und 2022 ist ein Loch von 29.016 Bäumen entstanden. Dabei fehlen noch Zahlen über Bäume auf Privatgrundstücken in Wandsbek und Harburg, weil die Bezirksämter diese nicht erheben. Mit dieser Dunkelziffer muss das Defizit laut Kappe bei mindestens 30.000 Bäumen liegen.

Wie es dazu kommen konnte? Die Umweltbehörde betont in ihrer Antwort auf eine taz-Anfrage, dass der grüne Senator 2015 ein „schweres Erbe“ angetreten habe und das jährliche Defizit gegenüber den Jahren vor 2015 schon deutlich gesenkt wurde.

Hamburgs 30.000-Bäume-Loch kommt nur überraschend, weil die Behörde ihre Zahlen nicht im Griff hat

Kurios ist, dass der Straßenbaumbestand in den vergangenen Jahren laut Behörde sogar „aus diversen Gründen angestiegen“ sein soll – obwohl in den vergangenen zehn Jahren kontinuierlich mehr Straßenbäume gefällt als gepflanzt wurden. Kappe kennt zumindest einen Grund dafür, wie die Behörde zu einer positiven Bilanz kommt: In den letzten Jahren widmete sie Bäume aus öffentlichen Grünflächen kurzerhand zu Straßenbäumen um. „Umwidmungen machen schätzungsweise den kleinsten Teil der Menge an neu hinzugekommen Straßenbäumen aus“, kontert die Umweltbehörde. Trotzdem bleibt unklar, woher die neuen Straßenbäume kommen.

Die Straßenbäume sind jedoch keineswegs das größte Problem in Sachen Baumschwund: Die mit Abstand meisten Bäume werden nicht von der Stadt, sondern auf privaten Grundstücken gefällt. Selbst ohne die beiden größten Hamburger Bezirke Harburg und Wandsbek gehen 19.237 der verlorenen Bäume darauf zurück, dass Stadt­bür­ge­r*in­nen sich mit einer Ausgleichszahlung von der Pflicht freikauften, von ihnen gefällte Bäume nachzupflanzen.

CDU-Politiker Kappe findet, dass die Stadt die Ausgleichszahlungen nutzen sollte, um Bäume auf öffentlichen Flächen nachzupflanzen. Das ist nicht so leicht, sagt die Umweltbehörde. Denn „neben den verfügbaren Mitteln sind es personelle Kapazitäten, die Verfügbarkeit von Pflanzfirmen und den passenden Gehölzen in den Baumschulen sowie geeignete freie Baumstandorte“, von denen die Nachpflanzungen abhingen.

Aber selbst das verfügbare Geld reicht hinten und vorne nicht: Der Senat sieht für die Nachpflanzung von Straßenbäumen jedes Jahr 500.000 Euro vor. Ein neuer Straßenbaum kostet im Mittel etwa 2.750 Euro. Der Etat reicht jährlich also gerade einmal für 181 Straßenbäume – obwohl pro Jahr durchschnittlich mehr als zehnmal so viele gefällt werden. Selbst mit den Ausgleichszahlungen von Privatpersonen schafft die Stadt es aber nicht, die gefällten Straßenbäume nachzupflanzen – von den verlorenen Privatbäumen ganz zu schweigen.

Es wirft kein gutes Licht auf die Umweltbehörde, dass die Zahlen über die Bäume in Hamburg so schwer zugänglich und undurchsichtig sind. Ihr „Bäumchen wechsel dich“-Spiel dürfte dabei eher dazu beitragen, dass man den Baum vor lauter Statistik nicht mehr sieht, als den Baumbestand in Hamburg zu schützen.

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11 Kommentare

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  • Jeder Bestand, insbesondere junge



    Bestände, aber auch ältere, müssen



    regelmäßig durchforstet werden, damit



    der Wald wachsen bzw. kranke Bäume



    (zB. durch Borkenkäfer) den Bestand nicht gefährden können.



    Das „Zählen“ von Bäumen gibt keinen



    Hinweis auf ausreichende und gesunde



    Waldbestände.

  • Irgendwie haben die den Ernst der Lage nicht begriffen.

  • Was ist mit Wirtschaftswald, da zählt man ja auch nicht einzelne Bäume, das wird in Flächenmaßen und nach Holzertrag erfasst.



    Ansonsten ist ein großes Problem, dass nicht rechtzeitig nachgepflanzt wird, viel zu alte und zu große Bäume, die oft kaum den Stürmen und der Trockenheit trotzen können werden fanatisch geschützt statt frühzeitig mal einen alten Baum zu fällen bevor er zur Gefahr wird und ein paar kräftige Jungbäume nachzupflanzen.

  • Wenn nicht mal mehr Platz in Hamburg vorhanden ist um verloren gegangene Bäume nach zu pflanzen, dann sollte ein Stop von Flächen für die Ausweisung neuer Baugebiete erfolgen.

    Alles andere wird den Hamburgern die Natur unterm Arsch wegziehen.

    • @Rudolf Fissner:

      Platz wäre da. Es soll nur kein Geld ausgegeben werden. Platz zum Bauen wäre auch mehr als genug da - insbesondere in gut situierten Gegenden. Aber Sozialwohnungsbau isr nicht sexy und mit dieser Klientel möchte es sich keiner verscherzen. Immerhin muss der Labrador vom Au-Pair Mädchen ja irgendwo Gassi geführt werden.

      • @BrendanB:

        Das Thema ist Stattgrün!

        Stattgrün für Wohnungsbau platt zu machen (Sie bevorzugt in gut situierten Lagen) wird sicher nicht zu mehr Grün bzw. Bäumen führen und immer auch negative Folgen für nicht so gut situierte Bürger haben

  • Es reicht doch, Gesetze und Regelungen zu designen und zu verwalten - dran halten soll sich gefälligst das Fußvolk.

  • Also Bestand, Zugänge und Abgänge sind irgendwie nebulös bis unbekannt, aber wenn jemand auf dem privaten Grundstück einen Baum fällt muss die Zahlung exakt nachgehalten werden. Schließlich geht's ums Geld.

    • @Der dreckich Katz:

      Wenn auf dem eigenen Grundstück ein Baum gefällt werden soll, muss ein Antrag gestellt und genehmigt werden. Anschließend muss innerhalb von zwei Jahren eine Ersatzpflanzung (+ Pflege) auf dem (oder einem anderen) Grundstück mit einem geeigneten Laubbaum nachgewiesen werden. Ersatzweise kann eine Ausgleichspflanzung geleistet werden, in der Regel sind das 300-400€. Geld wird also damit nicht verdient.

      • @Dorian Müller:

        Hier gibts eine schöne Replik:



        social.tchncs.de/@...112760745445048337

        Wenn im Regenwald eine Baumpflanzung wirklich so günstich ist, warum nicht so:



        10% der Ausgleichszahlung zum Baumpflanzen in gut kontrollierten Aufforstungen von Regenwald.



        Ein Regenwaldbaum wächst schneller und puffert mehr CO2.



        Fürs Stadtklima denn Umbau in Schwammstadt, ENTSIEGELUNG! und gerne auch Baumpflanzungen. Man sollte mit Fonds arbeiten. Dann wird nachhaltig, als Gesammtpaket.

      • @Dorian Müller:

        "Geld wird also damit nicht verdient."

        Warum eigentlich nicht? Die Ausgleichszahlung sollte dazu dienen, dass die Stadt den Baum pflanzt, wenn es der Privatier nicht möchte.