Umstrittenes Pestizid Glyphosat: Bayer nutzt Greenpeace-Methode
Glyphosat ist EU-weit nur noch bis Mitte Dezember zugelassen. Der Leverkusener Agrarchemiekonzern wirbt für die Neuzulassung – mit einer Petition.
Das Herbizid darf in der EU nur noch bis zum 15. Dezember dieses Jahres gespritzt werden. In den kommenden Wochen müssen die EU-Kommission und die Mitgliedstaaten entscheiden, ob die Zulassung verlängert wird. Das Mittel steht in Verdacht, krebserregend zu sein. Die maßgebliche Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit, Efsa, hat vor Kurzem allerdings erst bekräftigt, dass sie keine inakzeptablen Gefahren sieht.
In seiner Petition „Glyphosat: Kein Verbot ohne Alternative“ ruft Bayer die Abgeordneten dazu auf, sich für eine Verlängerung der Genehmigung für Glyphosat einzusetzen: „Sorgen Sie für klare rechtliche Rahmenbedingungen und Planbarkeit, verhindern Sie Handelsbarrieren und ermöglichen Sie, dass Pflanzenschutzmittel mit dem Wirkstoff Glyphosat auch in Zukunft weiterhin sachgerecht angewendet werden können.“ Denn es gebe „in vielen Anwendungsgebieten keine wirtschaftliche Alternative zu Glyphosat“.
Für ein einzelnes Unternehmen ist es ungewöhnlich, sich politisch so offen einzumischen. Christina Deckwirth von der Organisation Lobbycontrol beobachtet, wie Firmen Politik beeinflussen: „Zur alten Schule des Lobbyismus der Wirtschaft gehört es eher, Abgeordnete zu Hintergrundgesprächen einzuladen, persönliche Kontakte zur Politik zu nutzen.“ Eine Petition zu starten, das sei eher ein „klassisches Ding von Nichtregierungsorganisationen, von NGOs“.
Bayer ahmt NGO nach
Auch Lobbycontrol macht das. Berühmt für Petitionen ist die Kampagnenorganisation Campact, die sich damit in alle möglichen Debatten einklinkt, etwa zum Klimaschutz oder zur Kindergrundsicherung, manchen darum auch als Empörungs- und Protestmaschine gilt. Beim Umweltverband Greenpeace läuft gerade auch eine Petition: „Glyphosat-Verbot jetzt!“ heißt sie. Bayer ahmt die Methode Greenpeace, also die der NGOs, nach und kämpft so gegen sie? „Verwerflich ist das nicht“, sagt Deckwirth, „aber es zeigt, wie wichtig Bayer Glyphosat ist.“ Der Druck: hoch.
„Wir nehmen Glyphosat bis Ende 2023 vom Markt“, haben SPD, Grüne und FDP in ihrem Koalitionsvertrag geschrieben. Die Efsa-Einschätzung ist umstritten. Umweltverbände wie der BUND beklagen Datenlücken im Efsa-Bericht, wie die Behörde auch selbst zugibt. Da geht es unter anderem um etwaige Risiken für die Ernährung der Verbraucher oder für die Artenvielfalt. Bis zu 40 Prozent der deutschen Äcker werden mit Glyphosat gespritzt, es zerstört alle störenden Gräser und Kräuter.
Seit 2019 ist der ehemalige Grünen-Politiker Matthias Berninger Cheflobbyist beim Bayer-Konzern. In der Petition heißt es weiter, ein generelles Verbot ab 2024 stelle „nicht nur Landwirtinnen und Landwirte sowie Winzerinnen und Winzer in Deutschland vor große Probleme. Auch würde es die Erzeugung heimischer Lebensmittel auf unseren Feldern einschränken. Wir fordern eine nichtideologische und evidenzbasierte Politik.“
Die Deutsche Bahn, die einst der größte Abnehmer von Glyphosat in Deutschland war, bekämpft die Pflanzen, die zwischen den Gleisen wachsen, mittlerweile auch anders: mit Mähermaschinen und der als umweltschonender geltenden Pelargonsäure, hergestellt etwa aus Rapsöl. Ökobauern kommen ganz ohne diese Ackerchemie aus. Bayer hält dagegen, Glyphosat gestatte eine Bodenbearbeitung ohne Pflug, was die Äcker vor Erosion schütze, das Bodenleben schone und die CO2-Speicherkapazität des Bodenreichs erhalte.
Bayer übernahm 2018 Monsanto
Der Agrarchemie-Konzern hat große Hoffnungen in den Stoff gesetzt. Er übernahm 2018 den US-Saatguthersteller Monsanto und damit auch den Unkrautvernichter für sagenhafte 63 Milliarden Dollar, erntete bisher aber vor allem Ärger. So schrieben Zehntausende in den USA ihre Krebserkrankung Glyphosat zu und klagten. Und auch wenn Bayer stets bestritten hat, dass Glyphosat krebserregend ist, hat das Unternehmen schon mehrere Milliarden Euro für Vergleiche ausgegeben.
Viele Landwirte dürfte Bayer aber auf seiner Seite haben, weil Glyphosat auch als effektiv und günstig gilt. Bayer hat die Petition nicht direkt beim Parlament eingereicht, sondern sammelt die Unterschriften auf einer eigenen Internetseite. So machen es die Nichtregierungsorganisationen zumeist auch. Die gesammelten Unterschriften würden dann öffentlichkeitswirksam an Bundestagsabgeordnete übergeben, sagt Deckwirth von Lobbycontrol. „Das schafft mehr Aufmerksamkeit, auch in der Öffentlichkeit.“
Hinweis: Eine frühere Version dieses Artikels war mit einem Foto bebildert, das zeigte, wie ein Landwirt in Niedersachsen Pflanzenschutzmittel auf blühenden Raps ausgebracht hat. Dabei handelte es sich nicht um Glyphosat. Um Missverständnisse zu vermeiden, haben wir das Foto geändert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Grünes Wahlprogramm 2025
Wirtschaft vor Klima
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Foltergefängnisse in Syrien
Den Kerker im Kopf
Parteiprogramme für die Bundestagswahl
Die Groko ist noch nicht gesetzt