Umstrittenes Lithium aus Serbien: Der Schatz vom Jadar-Tal
Lithium wird bislang vor allem außerhalb Europas gewonnen. Dabei gibt es Vorkommen auch in Serbien. Doch der geplante Abbau stößt auf Widerstand.
„Wir werden hier nicht weggehen“, sagt der Landwirt Petković. Er trägt einen Anstecker an der Brust: „Wir geben Jadar nicht auf“, steht darauf. Im Jadar-Tal leben vor allem Bauern, die Mais und Weizen anbauen oder Milchwirtschaft betreiben und damit sich selbst und die Umgebung ernähren. Wegen des tiefen Grundwassers sei die Gegend selbst bei Trockenheit ertragreich, sagen Bewohner:innen und Umweltschützer:innen. Sollte der Bergbau in ihr Dorf kommen, fürchten viele hier nicht nur, dass ihnen ihr Land weggenommen wird, sondern auch die Verpestung des fruchtbaren Bodens.
Für Petković, Karečić und ihre Nachbar:innen geht es bei der Frage des Lithiumabbaus in Serbien um ihre Lebensgrundlage. Für die Europäische Union hingegen geht es im Jadar-Tal auch um die Verkehrswende und den Klimaschutz. Das Lithium, das hier lagert, brauchen europäische Hersteller nicht nur für Laptops und Handys, sondern auch für E-Autos und die Speicherung erneuerbarer Energien. Bislang wird der Bedarf vor allem durch Lithium aus Südamerika, Australien oder China gedeckt, wo die größten Vorkommen liegen. Doch die EU will unabhängiger werden – und hofft dabei auf das Jadar-Tal, dessen Lithium laut Rio Tinto für eine Million Elektrofahrzeugbatterien pro Jahr reichen soll.
Die EU-Kommission hat das Projekt deshalb von Anfang an unterstützt. Doch massive Umweltproteste, bei denen Zehntausende Menschen im ganzen Land Straßen und Autobahnen blockierten, zwangen die serbische Regierung Anfang vergangenen Jahres dazu, das Projekt auf Eis zu legen – zumindest vorerst. Präsident Alexandar Vučić verkündete, nach den Wahlen im April 2022 solle die neue Regierung endgültig in der Angelegenheit entscheiden. Viele Kritiker:innen sahen in dem Schritt nur ein Wahlkampfmanöver. Kurz nach seiner Wiederwahl verkündete Vučić, der Stopp sei sein „größter Fehler“ gewesen. Schließlich versprach er sich 1 Milliarde Euro an Wirtschaftsleistung für Serbien durch das Bergbauprojekt. Würden auch eine Batteriefabrik und eine Produktionsstätte für E-Autos im Land entstehen, könne man sogar mit bis zu 20 Milliarden rechnen.
Der Ausverkauf hat begonnen
Tatsächlich kommt wieder Bewegung in die Sache. Die neue Energieministerin Dubravka Đedović Negre gilt als Befürworterin des Bergbauprojekts und macht in den Medien bereits kräftig Werbung dafür. Im Jadar-Tal hat der Ausverkauf längst begonnen. Zwischen Bauernhöfen, Heuballen und Schafen auf den Straßen stehen immer wieder verlassene Häuser mit verwilderten Gärten. Absperrungen und rote Schilder davor zeigen, dass Rio Tinto die Gebäude und Grundstücke bereits gekauft hat – laut den Bewohner:innen zum Dreifachen des üblichen Preises. Vielen Häusern fehlt das Dach. Ein Anwohner berichtete Reporter:innen des Radiosenders Deutsche Welle, dass der Konzern Geld drauflegt, wenn die ehemaligen Besitzer:innen das Dach selbst abdecken. Er nennt das „psychologische Kriegsführung“ gegen diejenigen, die noch da sind.
Auch Zlatko Kokanović sollte sein Grundstück verlassen. Im Oktober 2021 sei Rio Tinto auf den Landwirt zugekommen, der sich als Tierarzt auch um die Tiere der Nachbarschaft kümmert. Doch statt zu verkaufen, organisierte er lokale Proteste gegen den Lithiumabbau in seinem Dorf und fuhr sogar nach Belgrad, um mit Tausenden anderen dagegen zu protestieren, dass Serbien „eine Kolonie“ werde, ausgebeutet von internationalen Konzernen.
Kokanović trägt an diesem Tag ebenfalls den Protestanstecker an der Brust, als er in seinem Wohnzimmersessel sitzt und von den Strapazen der letzten Monate berichtet. „Die Leute hier stehen unter Druck, ihre Grundstücke und Häuser zu verkaufen“, sagt Kokanović. Rio Tinto würde damit drohen, dass sie sonst der Staat enteigne – zu einem viel niedrigeren Preis. So hätten einige eingelenkt und dem Konzern schon 45 Häuser samt Grundstücken überlassen. Laut dem Umweltnetzwerk Mars sa Drine muss Rio Tinto insgesamt 600 Hektar Land von 335 Landbesitzer:innen kaufen.
Doch selbst wer sich entschließt zu bleiben, fürchtet mit dem Start des Bergbaus fatale Folgen für die Umwelt. Kokanović nennt die Mine eine „ökologische Bombe“. Eines seiner Bedenken: Durch den Einsatz von täglich 1.000 Tonnen Schwefelsäure beim Abbau von Lithium aus Hartgestein entstehe giftiges Abwasser, das die beiden Flüsse Jadar und Korenita verpesten würde.
Toxine könnten in Flüsse gelangen
Darin sieht auch das Umweltnetzwerk Mars sa Drine, das sich an den landesweiten Demonstrationen beteiligt hatte, eine große Gefahr. Das Jadar-Tal sei Überschwemmungsgebiet. So würden Toxine über die Flüsse Jadar und Korenita in die Donau, Sava und Drina gelangen und damit nach Bosnien und Herzegowina und Rumänien. Wegen Extremwetter infolge des Klimawandels steige diese Gefahr. Auch die Grundwasserreserven der Region seien durch Arsen gefährdet. Das Netzwerk kritisiert den Konzern Rio Tinto wegen dessen lückenhaften Scoping-Berichts, der keine Informationen über die Aufbereitungsanlage und das Abfallmanagement enthalten habe.
Die serbische Regierung habe den Raumplan trotzdem bewilligt. Wo die Mülldeponie entstehen soll, sieht man von der Dorfkirche aus. In der weiten Ebene, wo heute Felder liegen und durch die auch einer der Flüsse fließt, sollen einmal 1,3 Millionen Tonnen Müll pro Jahr gelagert werden – insgesamt 90 Millionen Tonnen, solange in der Mine gearbeitet wird. Darauf angesprochen, sagte Rio Tinto der taz: „Die Annullierung der Projektlizenzen hatte zur Folge, dass wir keine Gelegenheit hatten, die Umwelt- und Sozialverträglichkeitsprüfung für das Projekt zu veröffentlichen.“
In Kokanović' Wohnzimmer haben sich mittags Nachbarn und Verwandte eingefunden. Sie diskutieren aufgeregt um den Fernseher stehend. Der Sender N1 berichtet, dass das slowakische Unternehmen InoBat Auto mit der serbischen Regierung eine Absichtserklärung für den Bau einer Batteriefabrik im Norden des Landes unterzeichnet hat. Ein Investor bei InoBat ist ausgerechnet Rio Tinto. Die Absichtserklärung zur „Finanzierung und Fertigstellung dieser Anlage“ habe man bereits im Mai 2021 abgeschlossen, so Rio Tinto zur taz. Außerdem habe man vereinbart, gemeinsam an „einer Wertschöpfungskette für Elektroautobatterien in Europa zu arbeiten.“
Vučić hatte bereits in der Vergangenheit den Bau von Fabriken für Batterien und zur Herstellung von E-Autos in Serbien angekündigt – neben dem Abbau von Lithium im Land. Außerdem soll der Staat laut slowakischer Agentur TASR 419 Millionen Euro aus dem Haushalt beisteuern. „Unser Staat hilft nicht den Menschen, sondern arbeitet eng mit Rio Tinto zusammen“, sagt Kokanović. Nicht nur die Dorfbewohner:innen werten das als schlechte Nachricht. Expert:innen und die Opposition sehen in der Ankündigung einen weiteren Schritt in Richtung Lithiumabbau in Serbien.
Bereit zum Kämpfen
Dass es endlich weitergeht, darauf scheint Rio Tinto nur zu warten. Das Büro im Dorf hat das Unternehmen trotz des offiziellen Stopps nie geschlossen. Auch an diesem Nachmittag brennt Licht und Branko Đurđević ist im Einsatz. Der junge Mann hat keinen leichten Job. Seine Aufgabe sei es, sich mit der lokalen Gemeinschaft auszutauschen. Er ist derjenige, der die Dorfbewohner:innen überzeugen muss, ihre Grundstücke zu verkaufen. Đurđević stammt selbst aus der Gegend und lebt im Dorf. Auf die Frage, wie es sich hier für ihn mit all dem Gegenwind lebt, sagt er: „Die Ablehnung der Mine ist nicht so groß, wie man denken mag. Viele Leute im Dorf sind beeindruckt von all den Sicherheitsmaßnahmen und dem Schutz der Natur, die wir unternehmen.“ Er selbst will im Dorf bleiben, wenn die Lithiumgewinnung startet.
Doch er muss sich auf weitere Gegenwehr einstellen. Die Banner mit der Aufschrift „Bergwerk nein, Leben ja“ haben die Dorfbewohner:innen nie abgehängt. Eine Volksinitiative mit 40.000 Stimmen, die ein Verbot des Lithiumabbaus in Serbien fordert, wurde dem Parlament im Sommer übermittelt. Kommt das Anliegen nicht bald auf dessen Tagesordnung, wollen die Bewohner:innen wieder auf die Straßen gehen. Auch Umweltorganisationen und die Abgeordnete Ivana Parlić von der Oppositionspartei Narodna Stranka haben neue Proteste angekündigt. „Wir machen uns bereit zu kämpfen“, sagt Kokanović mit entschlossener Miene. „Rio Tinto wird hier niemals aktiv werden.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Streit in der SPD über Kanzlerkandidatur
Die Verunsicherung
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden