Umsetzung der Fahrverbote für Diesel: Die Straße der Sieger
Hamburg führt das Fahrverbot ein. In zwei Straßen. Mit vielen Ausnahmen und schlechten Kontrollen.
Auf dieser Straße stockt einem der Atem. In der Stresemannstraße in Hamburg, einer vielbefahrenen vierspurigen Bundesstraße, lernt man, wie Diesel riecht. 33.000 Autos zwängen sich hier derzeit durch, Tag für Tag. Um schnell wieder durchatmen zu können, treten Radfahrer in die Pedale, Fußgänger gehen im Schnellschritt. Nur die Autofahrer tippen auf die Bremse – zwei Blitzer disziplinieren sie. Die „Strese“, wie man in Hamburg sagt, ist so etwas wie eine verlängerte Autobahn in die City. Wenn die Lastwagen auf ihr von der A 7 Richtung Innenstadt fahren, wackeln in den Altbauten die Wände, Gläser klirren im Schrank.
Deshalb wird es hier ab Ende April „Durchfahrtsbeschränkungen“ für Diesel geben. So nennt das jedenfalls Jens Kerstan. Hamburgs grüner Umweltsenator vermeidet das böse Wort von den „Fahrverboten“ offiziell – mit Rücksicht auf seinen Koalitionspartner und Bürgermeister Olaf Scholz (SPD), der lange betont hatte, Fahrverbote seien in Hamburg nicht nötig.
Möglich sind sie seit einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom Dienstag und Hamburg ist die erste Stadt, die das Urteil umsetzt: Die Schilder sind bereits bestellt. Betroffen ist neben der Stresemannstraße auch die Max-Brauer-Allee, beide im Stadtteil Altona.
Etwa 20 weitere Städte in Deutschland dürften bald die älteren Diesel rausschmeißen – auch wenn die Bundesregierung noch so sehr betont, Verbote seien nicht die einzige Möglichkeit, die EU-Grenzwerte für Stickoxide zu erreichen.
Gelbe Blätter, rote Augen
Stickstoffdioxid führt bei Pflanzen zu gelben Blättern, beim Menschen zu geröteten Augen und Herz-Kreislauf-Problemen. Besonders leiden Asthmatiker und Senioren. Die Europäische Umweltagentur macht die Luftschadstoffe für 13.000 vorzeitige Todesfälle pro Jahr verantwortlich – allein in Deutschland. Und: Etwa zwei Drittel aller Stickstoffdioxid-Emissionen im Straßenverkehr stammen vom Diesel.
Deshalb wird die „Strese“ demnächst für alle Lastwagen, die die Euro-6-Norm nicht erfüllen, gesperrt, die Max-Brauer-Allee auch noch für alle entsprechenden Pkw. Eine harte Maßnahme, aber letztlich will das Bundesverwaltungsgericht mit den durch sein Urteil ermöglichten Dieselverboten schlicht EU-Vorgaben erfüllen – und diese gelten bereits seit 2010. 40 Mikrogramm Stickstoffdioxid pro Kubikmeter Luft sind danach im Jahresmittel erlaubt. 58 Mikrogramm erreichte Hamburg laut Umweltbundesamt im Jahr 2017.
Schon 1991 machte die „Strese“ bundesweit Schlagzeilen. Wochenlang wurde sie freitagabends von Anwohnern blockiert, nachdem ein Kind von einem Laster überfahren worden war. Seither gilt hier Tempo 30, Lkw dürfen nur die mittleren der vier Fahrbahnen benutzen.
Seit 1992 steht auch ein grüner Luftmesscontainer in der Stresemannstraße. Während die Stickstoffdioxidwerte bis zum Jahr 2000 stark sanken, stiegen sie in den Folgejahren stark an – eine Folge der Förderung des Dieselantriebs: zum Beispiel die Steuererleichterungen beim Kraftstoff und bei der Kfz-Steuer. Durch sie entgehen dem Staat jährlich acht Milliarden Euro.
In jüngster Zeit sanken die Werte in Hamburg und anderswo zwar wieder – aber nicht tief genug: In der Stresemannstraße waren es im Jahr 2017 laut Hamburger Abendblatt 48 Mikrogramm, in der Max-Brauer-Allee 46 Mikrogramm.
„Die Durchfahrtsbeschränkungen sind der entscheidende Schritt, um die Grenzwerte wieder einzuhalten“, meint Umweltsenator Kerstan. Und meint deshalb, dass nur Fahrverbote helfen. Sie sind Bestandteil eines Luftreinhalteplans, den der rot-grüne Senat im vergangenen Sommer bereits zum zweiten Mal fortgeschrieben hat. Darin stehen dutzende Maßnahmen, um die Luft sauberer zu machen: bessere Radwege, emissionsfreie Busse, aber auch eine Versorgung der Schiffe im Hafen mit sauberem Strom von Land – und eben Durchfahrtsverbote.
Aber: Für Anlieger der betroffenen Straßen wird diese Beschränkung nicht gelten. Auch Liefer-Lkw, die Feuerwehr und Müllautos sind von dem Verbot ausgenommen. Allein bei der Stresemannstraße geht der Senat davon aus, dass fast jede dritte Fahrt unter Ausnahmeregelungen fällt. Und die Beschränkungen sollen aufgehoben werden, sobald die EU-Vorgabe erreicht wird.
München denkt größer
Wer die Diesel „nur“ aus zwei Straßen fernhält, dürfte dafür sorgen, dass sich einige Fahrzeuge einfach auf Nebenstraßen verkrümeln – mit ihnen die Abgase. Auch deshalb wird zum Beispiel München wahrscheinlich einen anderen Weg gehen. In der bayerischen Landeshauptstadt sind die Stickoxidwerte doppelt so hoch wie erlaubt. Dort ist eine Verschärfung der gesamten Umweltzone in der Innenstadt geplant – es droht also ein komplettes City-Fahrverbot für ältere Diesel.
Aber auch dort wird es wieder jede Menge Ausnahmen geben. Und jede Menge Schilder. Die Münchner Stadtverwaltung hat ausgerechnet, dass für ein Fahrverbot 130.000 Schilder montiert werden müssen. Kostenpunkt: 18 Millionen Euro.
Ob in Hamburg, München, Stuttgart oder Düsseldorf, die Durchsetzung des Verbots wird komplex sein. „Wie die ohnehin überlastete Hamburger Polizei die Einhaltung der Dieselfahrverbote kontrollieren soll, steht vollkommen in den Sternen“, unkt schon die Hamburger CDU-Bürgerschaftsfraktion.
Jens Kerstan, Umweltsenator
Denn die bekannte rote, gelbe und grüne Feinstaubplakette, die über die Einfahrt in Umweltzonen entscheidet, zeigt nicht, ob ein Fahrzeug der Euro-6-Norm genügt – und damit die Stickoxidvorgaben einhält. Die Polizei wird die Diesel also einzeln rauswinken müssen, um einen Blick in die Fahrzeugpapiere zu werfen. „Wir werden das ähnlich kontrollieren wie bei Tempolimits: Nicht jeden Tag, sondern stichprobenmäßig. An manchen Tagen wird es aber auch Schwerpunkteinsätze geben“, sagt Kerstan.
Einfacher wäre die Kontrolle mit der Einführung einer „blauen Plakette“ zur Kennzeichnung emissionsarmer Autos. Dieser hat sich die Bundesregierung bisher allerdings versperrt. Immerhin will sie sich angesichts des neuen Urteils nun „alsbald“ mit der blauen Plakette beschäftigen.
Saubere Laster und Busse reichen aus
„Punktuelle Fahrverbote für wenige Straßenzüge sind auch Augenwischerei“, sagt Malte Siegert vom Naturschutzbund Hamburg, so sehr er das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts auch begrüßt: „Tatsache ist, dass angesichts eines unzureichenden Messnetzes das wahre, im innerstädtischen Bereich flächendeckende Ausmaß der Belastungen unter den Tisch gekehrt wird.“
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Im Falle der Stresemannstraße prüft der Senat gerade, was ein Durchfahrtsverbot auch für Diesel-Pkw bedeuten würde. Wahrscheinlich brächte es viel saubere Luft, ist aber nicht nötig, um den Grenzwert zu erreichen – und daher auch nicht verhältnismäßig. Saubere Laster und Busse reichen aus.
Der Hintergrund: Handwerker und Privatiers mit älteren Diesel-Pkws sollen nicht zu Umrüstung oder Neukauf gezwungen werden. Wer müsste das zahlen? „Wer seinen Diesel nachrüsten kann und will, der sollte einen Anspruch darauf haben, dass der Hersteller das übernimmt“, sagt Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD). Es dürfe nicht sein, dass nur noch über Plaketten diskutiert werde „und dabei die eigentlichen Verursacher des Problems aus dem Blick geraten“.
Die Verursacher – damit meint Hendricks die Autoindustrie, die im vergangenen Jahr erneut Rekordgewinne eingefahren hat. Allerdings, das sieht auch Hendricks so, gibt es derzeit wenig Handhabe, die Autohersteller gesetzlich zur technischen Nachrüstung zu zwingen. Der geschäftsführende Bundesverkehrsminister Christian Schmidt (CSU) wiederholt dazu wortgetreu die Aussagen von VW, Daimler und BMW: „Bevor wir in alte Autos investieren, sollten wir auf die Technologien der Zukunft setzen.“
Also müssen sich Eigentümer von ausgesperrten Dieseln wahrscheinlich selbst helfen. Mit einem neuen Auto. Auf jeden Fall ist das gut für die Industrie.
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