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Umgang mit TrauerDeutschland, warum weinst du nicht?

Spanien weint gemeinsam um die Opfer der Überschwemmungen. In Deutschland gäbe es genug Gründe, gemeinsam zu trauern. Warum gelingt uns das nicht?

Spanien weint und trauert Foto: Susana Vera/reuters

I n Spanien herrscht Staatstrauer. Nach den verheerenden Unwettern mit Stark­regen und Überschwemmungen im Süden und Osten des Landes, die bereits knapp hundert Menschen das Leben und viele mehr ihre Lebensgrundlage gekostet haben, hat die spanische Regierung drei Tage Staatstrauer ausgerufen.

Ein Zeichen der Ehrerbietung für all jene, die durch die Naturkatastrophe Verluste erlebt haben. Ein nationaler Akt des Respekts, der Zusammenhalt demonstriert.

Symbolpolitik, die in keiner Weise ersetzt, was an Hilfe und Prävention geleistet werden muss, die aber dennoch ein positives Wir-Gefühl stärken kann.

Deutschland kennt so etwas nicht. „Das Institut der ‚Staatstrauer‘ gibt es in der Bundesrepublik nicht“, heißt es seitens des Innenministeriums. „Nicht zuletzt die föderale Struktur“ des Landes mache es unmöglich, „diese Form kollektiver staatlicher Trauer zu verordnen“. Klappe zu, Affe tot. Ende der Diskussion.

Wir haben Feiertage, die an historische Ereignisse und deren Opfer erinnern (zu Recht) oder nur bestimmte Teile des Lande betreffen, aber uns fehlt die Fähigkeit, gemeinsam innezuhalten und Trauer anzuerkennen, wenn sie akut ist.

Wir analysieren und denken – aber wir fühlen nicht

„Warum weinst du nicht, Deutschland?“, fragte die Journalistin Büşra Delikaya drei Jahre nach dem Terrorattentat in Hanau in einem Artikel. Dieselbe Frage hätte man auch nach Halle stellen können, nach dem Attentat in Berlin und unlängst in Solingen. Nach den Taten des NSU, dem Hochwasser im Ahrtal, der Pandemie, nach dem 7. Oktober bis heute und vielleicht zuallererst nach dem Zweiten Weltkrieg.

Die Psychoanalytikerin Margarete Mitscherlich attestierte der deutschen Bevölkerung eine kollektive „Unfähigkeit zu trauern“. Wir sind stolz darauf, dass wir dichten und denken, und auf deutsche Innovationen. Ich sage nicht, dass all das nicht wichtig ist. Es sind elementare Bestandteile der Handlungsfähigkeit. Dennoch muss Zeit sein für das gemeinsame Fühlen, um die Trauer verarbeiten zu können, damit sie sich nicht als Trauma manifestiert. Damit sie nicht in Affekten zutage tritt, die nach Schuldigen verlangen und uns dabei voneinander entfernen.

Dieselbe Frage hätte man nach Halle stellen können, den Taten des NSU usw.

Aktuell findet in Mexiko der día de los muertos statt, bei dem jährlich der Toten gedacht, getanzt, gegessen, gelacht und geweint wird. So kann Trauer auch aussehen.

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Sophia Zessnik
Redakteurin für Theater
Sophia Zessnik ist seit 2019 bei der taz und arbeitet in den Bereichen Kultur und Social Media. Sie schreibt am liebsten über Alltägliches, toxische Männlichkeit und Menschen im Allgemeinen. In ihrer Kolumne „Great Depression“ beschäftigt sie sich außerdem mit dem Thema psychische Gesundheit.
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15 Kommentare

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  • Was soll das heißen, dass Deutschland angeblich nicht trauert?



    Was soll da wieder projeziert werden?



    Wer sagt was "richtige" Trauer ist?

  • Was bedeutet denn die Staatstrauer in Spanien jetzt konkret?



    Verhalten sich die Menschen anders, gibt es irgendwelche Veranstaltungen, ich habe da keine Vorstellung was da passiert.



    Was ich aus Deutschland kenne, an irgendwelchen Tagen wird geflaggt, bei Gedenktagen halbmast und maximal hält der Bundespräsident eine Rede.



    Vielleicht kann man da was von Spanien lernen.

  • Nunja, etwas küchenpsychologisch betrachtet könnte man vermuten, dass den Deutschen die Trauer um ihren geliebten Führer halt verwehrt wurde. Das hinterlässt sicher seinen Spuren.

    • @Dorothea Pauli:

      At



      Ähem, ich trauer nicht um den "Führer"...

    • @Dorothea Pauli:

      1. Die Trauer um den Führer erscheint mir immer eine Spur zu abstrakt. Andererseits könnte das schlicht eine Folge der Verdrängung der Zuneigung zum Führer sein – plötzlich war die Liebe zu ihm verboten und die Kinder können sich das nicht mehr vorstellen. Die Leerstelle bleibt.

      2. Wir haben auch gelernt, dass es im nationalen Kontext keine Unschuld mehr gibt – der unschuldige Deutsche ist als Kategorie tot. Wir fürchten womöglich, dass es hinsichtlich solcher Klimaereignisse keine Unschuldigen mehr geben könne – zumindest nicht, bis wir das Thema nicht aus der allg. Verdrängung geholt haben und handeln.

  • Das ist eine interessante Forderung.



    Im Zusammenhang mit Moral und Trauer sprechen viele JournalistInnen "der Politik" ja mittlerweile die Kompetenz ab.



    Das, was hier eingefordert wird, wird unter dem Titel "Sonntagsreden" abgewatscht.



    Dabei braucht es eben genau auch diese Sonntagsreden.



    Jahrhunderte lang haben hierzulande die Kirchen sonntags den Menschen Moral vorgebetet und Alte Weisheiten, wie aus der Bibel, auf aktuelle Probleme, Sorgen und Trauer angewandt.



    Die Kirche verliert an MitgliederInnen und so auch an Bedeutung für die Gesellschaft.



    Der Politik sprechen Viele reflexhaft die Kompetenz ab.



    Das ist ein Fehler, denn er unterstützt von links die rechtsextremen Bestrebungen die Demokratie zu hinterfragen, lächerlich zu machen und letztlich zu zerstören.



    Das ist mittlerweile keine bloße Theorie mehr, sondern eine reale Gefahr. Trump ist eine der größten Gefahren für die Demokratie. Aber auch die kleine "afd" sorgt bereits für große Probleme. DIE halten Sonntagsreden ganz anderer Art!



    Ich erlebe Trauer auf Beerdigungen, auf Demos und nach der Flut an der Ahr. Das gemeinsame demonstrieren und sogar Arbeiten gegen "die Flut" ist noch ein Schritt weiter in Zusammenhalt.

  • Ich denke wir sind im Grunde schon distanzierter als andere Gesellschaften. Es gibt über uns ja auch das Klischee das wir schwer als Freunde zu gewinnen wären.



    Und dann kommt dazu das "Deutsch sein" nicht unbedingt verbindet. Ich mein, wer ist das schon wirklich gern?



    Anders als unsere Vorfahren die unbedingt zusammen gehören wollten, haben wir den Hintergrund der Geschehnisse der Zeiten danach, und das verbindet höchstens im negativen Sinn.

    Schlimm daran finde ich, das diese Einstellung auch in staatliches Handeln übergeht. Eine gewisse "Kühle" und entsprechend kalter Umgang ergibt sich daraus.

    Was haben die Hinterbliebenden der Opfer vom Breitscheidplatz nochmal an Hilfe bekommen? Irgendwo hatte ich mal gelesen es deckte etwa die Beerdigungskosten.



    Auch wenn Geld den geliebten Menschen nicht wiederbringt, die wegfallende Sorge darum, würde in der Trauerphase bestimmt helfen nicht im Kopf nur bei der Arbeit / dem Geschäft zu sein.

    Aber man kann die Behörden sogar verstehen warum sie nicht mehr zahlen. Das würde nämlich auch wieder für Kritik sorgen, alla "warum kriegt sowas nicht jeder".



    (Gönnt man sich nicht, dafür sind wir einfach zu distanziert zueinander...)

  • Nur beim Thema Hass gegen Ausländer halten Deutsche zusammen.

    • @Merke:

      Plakative Äußerungen helfen nicht weiter.

    • @Merke:

      Ist das so?

      Wäre es wie Sie sagen, gäbe es hier schon seit Jahren niemanden mehr der nicht weiß ist und seit vielen Generationen hier wohnt. Es gäbe wohl täglich 100.000de gravierende Vorfälle. Eine Solidarität wie 2016 unmöglich, eine Million Ukraine unmöglich.

      Es gibt die deutschen die sind wie sie sagen, aber das unsere Gesellschaft von Hass durchsetzt ist gegen Ausländer ist so abstrus und spaltete unnötig..... Haben Muslime einen gemeinsamen Hass gegen deutsche, weil es ein paar Extremisten gibt?

    • @Merke:

      Ihr Satz bezeugt, dass wir uns liebergegenseitig zerfleischen, als aufeinander zuzugehen. Jeder unterstellt jedem Hass. Die einen hassen Ausländer, die anderen hassen ihre Herkunft, die nächsten hassen einfach alle. Aber niemand fragt mal nach, ob es wirklich Hass ist, der die anderen antreibt.

      • @Herma Huhn:

        Es sollte ja nicht Hass auf andere Menschen, gar ganze Gruppen sein, die uns antreibt, inhumane Zustände und Ideologien abzulehnen, zu verurteilen und gegen sie vorzugehen, sondern die Empörung gegen eben diese Zustände.



        Hass macht bekanntlich blind, aber neben dem Zulassen von Trauer - und ich bedanke mich ausdrücklich für das starke Plädoyer von Sophia Zessnik - darf es auch eine gehörige Portion Wut sein, die uns antreibt. Und die Liebe auf das Leben (schön pathetisch formuliert, nicht wahr?).



        Und da ich ein hoffnungsloser Optimist (oder Naivling?) bin, glaube ich daran, dass die Kombination dieser drei Kräfte genau die explosive Mischung ergibt, die die Welt tatsächlich verändern könnte.

  • Gefühle sind in Deutschland nun mal immer noch tabu. Das macht man mit sich selbst aus. Wer hier Gefühle hat, ist "empathisch". Ausserdem reisst man sich zusammen. Ich führe das auf die protestantische Tradition zurück und auf Spuren des preußischen Militärstaats und des NS-Staats.

    • @Ray No:

      Schlimm ist ja, dass "empathisch" mittlerweile wie ein Schimpfwort gebraucht wird.



      Das hat vielleicht auch mittelbar was mit dem NS-Staat zu tun, nämlich dem Krieg, da wurde ja von denen die Gräuel erlebt oder ob jetzt freiwillig oder gezwungenermaßen verübet haben kaum drüber gesprochen und das ganze nicht verarbeitet, ob jetzt aus Scham, Trauer oder um die eigene Rolle zu verschleiern. Meine Eltern und auch die Großeltern (beide Generationen schon verstorben) haben glücklicherweise keine unmittelbaren Kriegsfolgen wie direkte Bombardierung oder Vertreibung und Opfer in der Kernfamilie, erlebt, halt nur die "schlechte" Zeit nach dem Krieg, daher schätze ich mal nur einen ganz kleinen Rucksack mitbekommen zu haben.

    • @Ray No:

      Daran musste ich auch denken. Frau Zessniks Ausführungen ergänzen gut die Theorie der „autoritären Persönlichkeit“, den Typus des von Heinrich Mann literarisch treffend beschriebenen Untertanen.



      Den Typus gibt es vielleicht nicht nur in Deutschland, er ist international, aber hierzulande tritt er offensichtlich kollektiv auf. Das hat natürlich mit der kollektiven deutschen „Unfähigkeit zur Trauer“ (Mitscherlich) zu tun.



      Zuweilen denke ich, es besteht doch eine Art Wesensverwandtschaft zwischen Deutschen und Russen?