Umgang mit Rechten: Gewalt als Agenda
Gegen die Neue Rechte braucht es neue Strategien. Denn sie will das Gewaltmonopol des Staats nach ihren Vorstellungen ausweiten.
Vor fünf Jahren interviewten wir für die taz zwei Vertreter großer Antifagruppen. Sie hatten einen Kongress mit dem Titel „Antifa in der Krise“ organisiert. Was die Aktivisten damals sagten, nahm die heutige Debatte über den Angriff auf den Bremer AfD-Landesvorsitzenden Frank Magnitz vorweg: Es ging um die Frage, welche Rolle Gewalt im Kampf gegen rechts spielt.
Ihr Gegner, so sagten die beiden damals, habe sich verändert. Im Zuge der Eurokrise ab 2010 habe es heftige politische Verschiebungen gegeben. Überall gewännen rechtspopulistische Parteien, denen nicht ohne Weiteres beizukommen sei. Die „klassischen“, wie sie es nannten, Antifa-Strategien des Aufspürens, Outens und Angreifens von Nazis – sie seien gegen die aufkommenden Rechtspopulisten „vollkommen ungeeignet“.
Bis dahin war es vor allem um die NPD und deren Umfeld gegangen. Die machte nie einen Hehl daraus, dass sie die Demokratie verachtete. Die Antifa bekämpfte die Partei unter anderem dadurch, dass sie NPDler in deren Nachbarschaft, beim Arbeitgeber oder bei der Presse outete – etwa mit „Achtung, Nazi“-Flugblättern. Das brachte diesen oft erhebliche Probleme ein. Es galt als ausgemacht, dass die NPD auch die Partei rechter Schläger war. Dass Antifa-Aktivisten NPDler verprügelten traf deshalb oft auf gewisses Verständnis.
Beides ist bei der AfD nicht drin. Dort aktiv zu sein, ist gesellschaftlich nicht geächtet. Ein Outing ist deshalb sinnlos. Und für körperliche Gewalt gegen AfDler hat die Mehrheitsgesellschaft kein Verständnis – siehe Magnitz. Beides liegt daran, dass die AfD bislang jedenfalls zweierlei für sich reklamiert, was für die NPD nicht galt: Sich dem Grundgesetz verpflichtet zu fühlen – und selbst keine Gewalt auszuüben.
Der Staat soll die Gewalt erledigen
Die damalige Analyse der Antifa-Gruppen war deshalb richtig. Doch dem Bild, das die Partei von sich selbst zeichnet, muss in einem Punkt widersprochen werden. Die AfD lebt auch von ihrer Beteuerung, das staatliche Gewaltmonopol zu achten. Daraus schöpft sie Legitimität, darauf fußen ihre Opferinszenierungen und ihre Kampagnen gegen „linke Gewalt“.
Die Agenda der AfD aber ist darauf angelegt, die Nutzung des staatlichen Gewaltmonopols bis weit jenseits des heute Akzeptierten zu erweitern. Die Partei selbst will keine Gewalt ausüben – der Staat soll das für sie erledigen. Für ihre Bewertung spielt das bislang kaum eine Rolle.
In der Debatte über die Attacke auf Magnitz wurde das Gewaltmonopol vielfach beschworen. Eine Kombination aus Aufklärung, der Erfahrung der Weltkriege und des Nationalsozialismus haben die Nutzung dieses Gewaltmonopols in westlichen Demokratien zivilisatorisch eingehegt. Hier bedeutet demokratisch legitimiert nach der Erfahrung der Mehrheitsgesellschaften meist auch: moralisch legitim.
Dass Staaten mit ihrem Gewaltmonopol so umgehen, dass sich dies mit allgemeinen moralischen Vorstellungen verträgt, ist indes eher die Ausnahme als die Regel. Willkür, Entwürdigung, Unterdrückung Homosexueller, Folter, Verschwindenlassen – all dies geschieht auch in Staaten mit leidlich demokratisch gewählten Regierungen, seien es die Philippinen oder sei es Mexiko, die Türkei oder Russland.
Staatliche Gewalt ist nicht böse
Wer in Deutschland das staatliche Gewaltmonopol hochhält, verweist in der Regel auf dessen moralisch legitime Nutzung. Hier praktizierte Formen staatlicher Gewalt, etwa das Räumen bewohnter Häuser oder Abschiebung wird von der Mehrheitsgesellschaft nicht als Gewalt eingestuft. Weil sie demokratisch legitimiert sind, gelten sie auch als moralisch gerechtfertigt. Die implizite Folgerung daraus lautet: Weil staatliche Gewalt nicht böse ist, ist auch nicht böse, wer die Gewalt beim Staat belassen will – wie die AfD es für sich in Anspruch nimmt.
Das bedeutet nicht, dass diese Grundannahme nie irritiert würde. Die Irritation setzt meist umso früher ein, je weiter links jemand steht. Konservative sind tendenziell der Auffassung, der Staat dürfe ruhig etwas härter sein, während Linke der Meinung sind, er habe sich stärker zurückzuhalten.
Die Linke will, dass auch Dinge, die der Staat tut, als Gewalt benannt werden: Die Verhinderung von Seenotrettung auf dem Mittelmeer etwa, besonders hartes Vorgehen der Polizei gegen DemonstrantInnen, bestimmte Waffenexporte oder Vorfälle wie die kürzliche Abschiebung aus dem Kreißsaal einer Klinik.
Für manche sind sie eine abstrakte, für viele bereits eine reale Bedrohung. Sie sind Nachbarn, Familienmitglieder, Politiker*innen: Leute, die sich menschenfeindlich äußern, oder die schon über ein geschlossenes rechtsextremistisches Weltbild verfügen.
Soll man mit Rechten reden, muss man es überhaupt? Wie wehrt man sich, mit welchen Mitteln? Wie kann man der Gruppe ausweichen, wie sich dem Menschen annähern? Und wie schützt man sich, wenn die rechte Bedrohung allgegenwärtig ist?
In dieser Serie gehen wir auf die Suche nach Menschen, die über diese Fragen nachdenken, oder sie schon ganz konkret für sich beantworten mussten.
Bisherige Texte der Reihe:
Solche Vorfälle sind gesamtgesellschaftlich skandalisierbar. Der Staat gerät in solchen Fällen unter Rechtfertigungsdruck, und zwar auch deshalb, weil der bürgerliche Konservatismus zivilisatorischen Mindeststandards verpflichtet und auf diese festzunageln ist. Das unterscheidet ihn von denen, die weiter rechts stehen.
Die AfD verschleiert diesen Unterschied mit der Beteuerung ihrer Verfassungstreue. Bisher wird ihr – zu Recht – vor allem eine Verrohung der Sprache („Merkelnutte“, „Halbneger“, „Messermigration“) vorgeworfen. Doch darin scheint die Politik, die sie betreiben wird, wenn man sie lässt, bereits auf.
Die Agenda der Neuen Rechten ist darauf angelegt, die zivilisatorische Einhegung des Gewaltmonopols durch Gesetze und demokratische Kultur aufzulösen. Das heißt: die Nutzung des Gewaltmonopols auszuweiten und damit gegen Grund- und Minderheitenrechte zu verstoßen.
Im Bundestag wollte die AfD wissen, wie viele Menschen mit Behinderung „durch Heirat innerhalb der Familie entstanden“ seien und in wie vielen dieser Fälle es eine Migrationsgeschichte gebe. Der Bundestagsabgeordnete Thomas Seitz schwadronierte über die Wiedereinführung der Todesstrafe, auch wenn er dies kurz darauf als „Provokation“ abtat.
Aufschlussreich sind Passagen aus Büchern und Interviews des Thüringer AfD-Landesvorsitzenden Björn Höcke, die der Münsteraner Soziologe Andreas Kemper in den vergangenen Monaten herausgearbeitet hat. Kemper hat es, wie Anfang der Woche bekannt wurde, mit seinen Recherchen über Höcke sogar als Quelle in das jüngste Verfassungsschutzgutachten über die Partei geschafft.
Das Unterlaufen von Mindeststandards ist Programm
Höcke sieht Deutschland demnach als Kraftzentrum des europäischen Großraums, von dem die Zurückdrängung des Islams auszugehen habe. Höcke schwebt ein Generationen andauerndes, „großangelegtes Remigrationsprojekt“ vor, eine „Renovation“ des europäischen Kulturraums, zu der „gewaltsamste Verfahren“ nötig seien. Die Maßnahmen, die ergriffen werden müssten, würden unseren „eigentlichen Moralvorstellungen zuwider laufen“, so Höcke.
Erforderlich sei eine „wohltemperierte Grausamkeit“, denn „existenzbedrohende Krisen“ erforderten „außergewöhnliches Handeln“. Die Verantwortung dafür trügen diejenigen, die „die Notwendigkeit dieser Maßnahmen mit ihrer unsäglichen Politik herbeigeführt haben“. Der „Feind“ sei der „Menschenrechtsextremismus“, so stellte Höcke mit Verweis auf den AfDler Wolfgang Gedeon klar. Der wiederum hatte eine „existentielle Bedrohung der europäischen Völker und ihrer Kulturen“ behauptet.
Seitz hat wenig Einfluss und auch Höcke ist nicht bestimmend für die Partei. Doch was Rechtspopulisten tun, wenn sie die Macht erlangen, ist etwa in Ungarn zu besichtigen. Dort wird Flüchtlingen in sogenannten Transitzonen Nahrung verweigert, Obdachlosigkeit mit Gefängnis bestraft. Oder in Italien, wo die Regierung unverblümt darauf hinwirkt, dass Menschen in den Flüchtlingsbooten ertrinken.
Dieses Unterlaufen zivilisatorischer Mindeststandards ist hier Programm. Für zivilgesellschaftliche Korrektive sind solche Staaten kaum noch zugänglich. Daraus folgt nicht, dass es richtig wäre, die AfD so zu behandeln, wie die Kameradschaftsnazis, die Terror auf den Straßen verbreiten. Es folgt aber daraus zurückzuweisen, wenn die AfD sich auf die eigene Gewaltfreiheit beruft. Worauf sie hinarbeitet, ist eine gewaltvolle Politik, und zwar sowohl nach linken als auch nach bürgerlich-konservativen Maßstäben. Das klarzumachen ist keine Bürgerkriegsrhetorik, sondern wohl der einzige Weg, das Tor zur Hölle wieder zuzuschlagen.
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